Wenn Frank Bsirske als Arbeitnehmervertreter zu Tarifverhandlungen antritt, sucht er die Öffentlichkeit. Wenn die Rolle des Verdi-Chefs aber die des Arbeitgebers ist, findet er Publikum nicht so gut. Anfang März waren die Verhandlungen für die 4000 Beschäftigten der Gewerkschaft zu Ende gegangen. Der Betriebsrat hatte, um seine Forderungen durchzusetzen, Flugblätter mit der Parole "Jetzt reicht's!" gedruckt und zur Demo aufgerufen; wie Gewerkschafter eben so sind.
Am 17. März blickte Bsirske vor dem Gewerkschaftsrat - einer Art kleinem Parteitag - auf die Taktik des Betriebsrats zurück. Der Süddeutschen Zeitung liegt die Mitschrift vor. Bsirske sagte: "Ich will keinen Zweifel daran lassen, dass von einer ganzen Reihe Akteure hier Grenzen überschritten worden sind und das nicht folgenlos bleiben kann." Wer glaube, dies wiederholen zu können, werde sich täuschen: "So viel sei in aller Deutlichkeit gesagt."
Kann Bsirske keine Kritik vertragen? Im Verdi-Vorstand ist Isolde Kunkel-Weber für diese Verhandlungen zuständig. Sie versucht, den Eindruck zu zerstreuen, hier drohe ein Gewerkschaftschef seinem Betriebsrat. Das Besondere an den Verdi-internen Verhandlungen war, dass sie parallel zur Tarifrunde im Öffentlichen Dienst liefen und die Beschäftigten ihren Chef hinstellten als jemanden, der Wein predigt und Wasser reicht. Zahlreiche Medien griffen das auf. Kunkel-Weber sagt: "Hier wurde ein Reputationsschaden billigend in Kauf genommen. Das ist ungerecht, und deshalb lassen wir das nicht mehr zu."
Spezielle Konstellation
Das Ziel der Angriffe ist Günther Anderer, der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats. Er schlug für seine Kollegen 240 Euro sowie 2,4 Prozent Gehaltserhöhung heraus, und er hat die Äußerungen Bsirskes so verstanden, wie sie wohl gemeint waren, als diffuse Drohung. Er hat dem Chef gesagt, was er davon hielt: "Nicht so toll." Anderer sagt, alle Verdi-Beschäftigten seien doch Mitglieder der Gewerkschaft, sie fühlten sich ihr verpflichtet. Zu Tarifrunden gehöre, dass es rumpelt - "aber danach ist es vorbei, und die Uhr wird wieder auf Null gestellt."
Interne Tarifrunden bei Gewerkschaften finden immer in einer sehr speziellen Konstellation statt. Zwar gibt es einen bundesweiten "Verband der Gewerkschaftsbeschäftigten" (VGB). Aber nur 500 der 10.000 beim DGB und seinen acht Gewerkschaften beschäftigten Menschen sind dort Mitglied. Damit fehlt diesem Verband die so genannte "Mächtigkeit", um Tarifverhandlungen führen zu dürfen. Mit der Folge, dass es beim Arbeitgeber Gewerkschaft stets die Betriebsräte sind, die Arbeitsbedingungen und Geld aushandeln; eine Besonderheit in der Tariflandschaft.
Und heikel sind diese Verhandlungen deshalb, weil Betriebsräte nach dem Gesetz immer auch dem Betriebsfrieden verpflichtet sind - und es für einen Arbeitgeber wie Bsirske besonders unvorteilhaft wäre, stünde er als knickrig da. Vorstandsmitglied Kunkel-Weber zählt daher auf, was bei Verdi alles üblich sei, anders als bei anderen Arbeitgebern: 35-Stunden-Woche vom 50. Lebensjahr an, Aufstockung des Krankengeldes auf das Netto-Gehalt (nach drei Jahren Betriebszugehörigkeit), neun freie Tage für jeden Gewerkschaftssekretär, als pauschaler Überstundenausgleich.
Ihr Chef machte sich vor dem Gewerkschaftsrat freilich auch Gedanken darüber, ob es sinnvoll ist, dies öffentlich herauszustreichen: Es könne ja "Postillen" geben, die dann fragten, wie dies angehen könne: "dass die Arbeitsbedingungen sind, wie sie sind, und das alles von Kolleginnen und Kollegen aus Einzelhandel und Bewachungsgewerbe mit ihren Beiträgen bezahlt werden soll".
Die Sache mit der "Orientierungsmarke"
Die Konsequenz aus dem Streit könnte sein: dass es bei Verdi künftig gar keine Tarifrunde mehr gibt - sondern dass sich die Gewerkschaft am Durchschnittsergebnis orientiert, das sie in ihren Branchen erzielt. So ähnlich machen es auch andere. Die Gewerkschaft der Polizei hat mit ihrem Betriebsrat vereinbart: Das Ergebnis, das sie jeweils mit dem Bund erzielt, wird intern übertragen. Die IG Metall verhandelt mit ihrem Betriebsrat zwar jedes Mal neu, nimmt dabei aber die Tarifverträge in ihren Branchen als "Orientierungsmarke", wie es dort heißt.
Kunkel-Weber sagt dazu: "Diese Idee ist charmanter geworden." Nachdem Betriebsrat Anderer bei der jüngsten Auseinandersetzung 2,4 Prozent erzielt hat, erhalten die Verdi-Beschäftigten bis Mai 2011 nun eine Erhöhung, die um 0,6 Prozent höher ausfällt als beim Bund. Nun will er aber zunächst Abstand gewinnen. "Danach können wir uns das mal durch den Kopf gehen lassen", sagt er.