Kolumne: Das deutsche Valley:Ministerin gesucht

Lesezeit: 3 min

(Foto: Bernd Schifferdecker/Bernd Schifferdecker)

Was macht eigentlich ... Svenja Schulze? Über eine Ministerin, die so viel beizutragen hätte zur notwendigen Verknüpfung von Digitalisierung und Umweltschutz - und fast verschollen ist.

Von Marc Beise

In Corona-Zeiten schnurrt das Bundeskabinett auf wenige Politiker zusammen, die ständig gefragt sind: die Kanzlerin, klar. Finanz- und Wirtschaftsminister. Natürlich der Gesundheitsminister, ja, der vor allem: Spahn, Spahn, Spahn. Für die Umweltministerin sind das schlechte Zeiten, und erst recht für eine, die sich vor dem Ausbruch der Pandemie gerade erst ein wenig nach vorne gearbeitet hatte.

Gestatten also: Svenja Schulze, 52, aus Nordrhein-Westfalen. In der SPD seit dem Jahr ihres Abiturs, eine der erfahrensten Politikerinnen der Partei. Aber selbst wer in den Bundesländern zur Führung gehört, ist deshalb bundesweit noch lange nicht bekannt. Und so begann die langjährige NRW-Wissenschaftsministerin in Berlin mit der Berufung in die Bundesregierung im Jahr 2018 sozusagen bei null.

Immerhin war ihr neues Amt eines mit Potenzial, weil ja ziemlich parallel zur Amtsführung der Ministerin der Umweltschutz in Deutschland dort ankam, wo ihn die Grünen schon vor 40 Jahren gerne gehabt hätten: in der Mitte von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Dass der Klimaschutz eilt, hat sich endlich rumgesprochen. Auch in der Wirtschaft ist, wenn Befragungen und der eigene Eindruck nicht brutal täuschen, der Knoten geplatzt, und es gibt wirklich immer mehr Unternehmen, die ernsthaft darum kämpfen, umweltverträglicher zu arbeiten - und sei es um den Preis höherer Kosten.

Auf diesem Fundament aufzusetzen, konnte Svenja Schulze leichtfallen. Und tatsächlich nahm sie nach verhaltenem Start gerade Fahrt auf - als die Pandemie über das Land kam. Und plötzlich interessierten nicht mehr Klimaziele und Kohleausstieg, sondern Lockdown und Impfstrategie.

Wie wäre es, wenn Bundesumweltministerin Svenja Schulze aktiv für eine Wiederentdeckung der Umweltpolitik werben würde, penetrant, immer wieder? (Foto: Britta Pedersen/dpa)

Allenfalls noch ein anderer der früheren Dauerbrenner schafft es derzeit, überhaupt wahrgenommen zu werden, und er könnte von der Pandemie sogar erst so richtig profitieren: die Digitalisierung. Es ist ja offensichtlich, dass die Corona-Bekämpfung vor allem deshalb nicht funktioniert, weil Deutschland digital nicht fit ist. Corona-App, Gesundheitsämter, Impforganisation - alles leidet unter früheren Versäumnissen.

Die Ministerin im Online-Forum

Weil diese Erkenntnis sich durchsetzt, könnte doch die Klimapolitik hier in der öffentlichen Wahrnehmung andocken. Mit neuer digitaler Technik kann man schließlich deutlich besser Ressourcen schonen, und für immer mehr Unternehmen "rechnet" es sich sogar, ihre Umweltbelastung zu senken. So freut man sich in diesen tristen Corona-Tagen über die Ankündigung eines Online-Forums zum Thema "Next Decade of Action: Digitalisierung + Nachhaltigkeit", das im - natürlich digitalen - Postfach gelandet ist. Also mal reingeguckt, und da ist sie: Svenja Schulze , die Bundesumweltministerin.

Aber halt, die Diskussionsrunde ist schon weiter, debattiert werden gar nicht die Chancen, sondern die Gefahren der Digitalisierung. Gerade berichtet Tilman Santarius, Professor für Nachhaltige Digitalisierung an der TU Berlin, von seiner Forschung, die belege, dass mehr Digitalisierung nur vordergründig weniger Umweltbelastung bringe, weil das Einsparpotenzial aufgefressen werde durch mehr Konsum und Produktion.

Dem widerspricht der Technikchef des Digital-Giganten Google, der Schweizer Urs Hölzle. Er zitiert Studien, wonach der Stromverbrauch durch den Wandel in der Produktion sinkt. Und kündigt für sein Unternehmen an, dass es bis 2030 gar kein CO₂ mehr verbrauchen will, nie, zu keiner Sekunde.

Das ist ein wichtiger Unterschied. Klimaneutral zu werden, versprechen gerade etliche Betriebe, aber vielfach müssen sie sich das am Ende (noch) durch Kompensationszahlungen erkaufen. Das ist besser als nichts, aber noch besser ist es eben, seine Prozesse so durchzuorganisieren, dass man immer mit alternativen Energien zurechtkommt.

Das will Hölzle, aber dem Professor reicht das nicht. Er fordert von den Unternehmen, auch dafür zu sorgen, dass andere weniger Strom verbrauchen. So solle Google, verwegene Idee, seine Algorithmen so bauen, dass klimabewusste Aspekte vorrangig aufploppen und die Nutzer sozusagen subkutan bilden.

Wenn die Pandemie besiegt ist, stirbt die Umwelt noch immer

In diesem Streit will sich Svenja Schulze erkennbar nicht festlegen. Sie konzediert, dass die digitalen Techniken und Infrastrukturen einen erheblichen und wachsenden ökologischen Fußabdruck hinterlassen. Damit sie nicht zum Brandbeschleuniger der ökologischen Zerstörung werden, brauche die Digitalisierung Leitplanken, dafür sei die Politik da.

Sie verweist auf die "Umweltpolitische Digitalagenda" mit 72 Einzelmaßnahmen, die sie im März 2020 vorgelegt hat, gerade eben noch, bevor die Politik ganz auf Corona drehte. Deren Ziel ist es, die beiden Megatrends miteinander zu verknüpfen. Schulze lobt sich dafür, dass sie deutsche EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 genutzt habe, auch dort einiges voranzubringen: die erzwungene längere Lebenszeit bei digitalen Endgeräten. Das Ziel, Rechenzentren bis 2030 klimaneutral zu machen. Einen besseren europäischen Datenaustausch, solche Sachen.

Okay - aber wie wäre es, wenn die Bundesumweltministerin aus solchen Foren raus- und in die Bundespressekonferenz reinginge und aktiv für eine Wiederentdeckung der Umweltpolitik werben würde, penetrant, immer wieder? Denn eines ist doch klar: Wenn die Pandemie besiegt ist, stirbt die Umwelt noch immer. Und wer, wenn nicht die zuständige Ministerin, könnte da im letzten halben Jahr der Ära Merkel noch ein paar Pflöcke einschlagen für die nächste Regierung. Ganz selbstlos sozusagen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: