Gleichstellung:Gender Pay Gap bremst Frauen noch bevor sie arbeiten gehen

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Viele Frauen antizipieren die spätere Lohnlücke - und werden dann noch von der Wirklichkeit enttäuscht. (Foto: Maskot/imago images)

Bereits Abiturientinnen erwarten, später einmal weniger zu verdienen als Abiturienten - und überschätzen trotzdem ihre Gehaltsaussichten.

Von Lena Böllinger

"Man kommt sich auf dem Gebiete der Frauenfrage immer wie ein Wiederkäuer vor", schrieb die berühmte Frauenrechtlerin Hedwig Dohm Ende des 19. Jahrhunderts. Schon damals forderte sie ökonomische Gleichstellung der Frauen und noch heute belegt Studie um Studie, was alle wissen: Frauen verdienen weniger als Männer. Der Gender Pay Gap ist ein altbekanntes und ungelöstes Problem. Frauen verdienen in Deutschland pro Stunde durchschnittlich 18 Prozent weniger als Männer.

Dieses Problem wirkt sich schon sehr früh auf die Lebensplanung junger Frauen aus - noch bevor sie überhaupt richtig Geld verdienen. Das zeigt nun eine gemeinsame Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) und des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), die der Süddeutschen Zeitung vorab vorliegt. Der Studie zufolge rechnen Frauen bereits kurz nach dem Abitur mit einem niedrigeren Gehalt als Männer. Junge Frauen erwarten, dass sie mit 35 Jahren in einem Vollzeitjob mit Hochschulabschluss rund 16 Prozent weniger Lohn bekommen werden als Männer. Auch junge Frauen mit Berufsausbildung rechnen mit 13 Prozent weniger Lohn. Schülerinnen und Schüler verschiedener Berliner Schulen haben an der Befragung teilgenommen, kurz nach dem Abitur 2014. In der Langzeitstudie wurden auch weitere Befragungen durchgeführt, deren Analyse noch aussteht.

Trotz ihrer bereits eher verhaltenen Erwartungen überschätzen Frauen ihre konkreten Gehaltsaussichten. Sie antizipieren die spätere Lohnlücke und werden selbst dann noch von der Wirklichkeit enttäuscht. Ein Beispiel: Abiturientinnen erwarteten nach einem Bachelorabschluss ein Nettoeinkommen in Höhe von 2529 Euro. Tatsächlich verdienten Frauen im relevanten Alter mit Bachelorabschluss zum Zeitpunkt der Befragung durchschnittlich nur 2070 Euro. Männer verdienten 2739 Euro und erwarteten 3104 Euro. Beide Geschlechter verkalkulieren sich also - aber Frauen stärker als Männer.

Junge Frauen rechnen schon damit, wegen familiärer Pflichten weniger zu verdienen

Die Abiturientinnen rechnen mit Einkommenseinbußen aufgrund familiärer Verpflichtungen, sagen die Autorinnen und Autoren der Studie. "Das bedeutet, dass Frauen, die sich neben dem Beruf genug Zeit für die Familie wünschen, deutlich niedrigere Einkommenserwartungen haben," sagt Andreas Leibing von der Abteilung Bildung und Familie im DIW. "Im Gegensatz dazu erwarten Männer, bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf keine Kompromisse machen zu müssen." Ein Grund könne darin liegen, dass Männer und Frauen unterschiedliche Vorstellungen davon haben, was "genügend Zeit für die Familie" bedeutet.

Die Studie warnt, dass diese negativen Erwartungen dazu führen könnten, dass Frauen sich schon früh gegen ein Studium entscheiden oder schlechtere Einstiegsgehälter verhandeln. Auch sei es möglich, dass Frauen bestimmte Karrieren von vornherein verwerfen. Die Studie spricht gar von einer "selbsterfüllenden Prophezeiung".

Heißt das, dass Frauen ein bisschen selber Schuld tragen am schlechteren Kontostand, weil sie ein niedriges Einstiegsgehalt verhandeln oder für die Familie aus dem Job aussteigen? So will Andreas Leibing die Studienergebnisse auf keinen Fall verstanden wissen. "Die Frauen sind nicht Schuld am Gender Pay Gap. Soziale Normen und Rollen könnten aber durchaus relevant sein. Wenn die eigene Mutter wenig verdient hat oder vorwiegend zu Hause blieb, kann sich das auf die Einkommenserwartung der Töchter auswirken", sagt er. Der Fokus dürfe allerdings nicht allein auf den Frauen liegen. Auch Männer seien in der Verantwortung, mehr Familienarbeit zu übernehmen.

Die Autorinnen und Autoren der Studie empfehlen daher, die Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit weiter zu verbessern und Anreize zur gleichmäßigeren Aufteilung der Familienarbeit zwischen Männern und Frauen zu schaffen, etwa die Kindertagesbetreuung auszubauen.

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