Straßenverkehr:Wenn der Lkw zur Todesfalle wird

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Zusammenstöße zwischen Lastwagen und Radfahrern enden für die Radler oft tödlich. Innovative Technik könnte das verhindern. (Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa)
  • Union und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, Abbiegeassistenten für Busse und Lkw verpflichtend zu machen. Doch eine neue Regelung lässt auf sich warten.
  • Mit einem ungewöhnlichen fraktionsübergreifenden Antrag erhöhen Abgeordnete nun den Druck auf die Regierung.

Von Markus Balser, Berlin

Blick nach rechts, Blick nach links, Blick in die Spiegel: Wenn im Stadtverkehr die Ampel an der Kreuzung auf Grün springt, beginnt für Lkw-Fahrer die Anspannung. In kürzester Zeit müssen Fahrer den Verkehr vor und neben ihnen beobachten.

Jeder Fehler kann verheerende Folgen haben. Schon 23 Mal wurden Radfahrer allein in diesem Jahr beim Abbiegen im toten Winkel von Lkw erfasst und starben. So zeigt es die traurige Unfallstatistik des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC). Erst vor zwei Wochen wurde in Berlin ein Achtjähriger vor den Augen seiner Mutter überrollt.

Die Fahrer haben kaum eine Chance, die Radler im toten Winkel zu bemerken. Seit Jahren fordern Fahrrad- und Logistikverbände deshalb, elektronische Lkw-Abbiegeassistenten zur Pflicht zu machen.

Angeblich erfüllt kein System alle Anforderungen

Es geht um Systeme, die den Fahrer automatisch laut davor warnen, dass sich Fußgänger oder Fahrräder neben den Brummis bewegen und notfalls auch selbst bremsen. Eigentlich hatte die große Koalition auch längst beschlossen, zu reagieren. Union und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass für neue Lastwagen und Busse Abbiegeassistenten vorgeschrieben werden. Doch eine neue Regelung lässt auch einige Monate nach dem Regierungsstart noch auf sich warten.

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Den Bundestagsabgeordneten dauert das zu lange. Mit einem ungewöhnlichen fraktionsübergreifenden Antrag erhöhten die Regierungsfraktionen von Union und SPD zusammen mit den oppositionellen Grünen am späten Donnerstagabend im Parlament den Druck auf die Regierung.

Das Papier fordert die Bundesregierung auf, national eine schnelle Einführung elektronischer Abbiegeassistenten zu prüfen, umzusetzen und zu fördern - wenn eine europäische Lösung nicht bald vereinbart wird. Auch der Bundesrat hatte sich bereits für eine Nachrüstpflicht für ältere Fahrzeuge ab 7,5 Tonnen ausgesprochen. Und auch Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) ist eigentlich für die Technik - am liebsten mit einer europäischen Lösung.

Doch bis dahin ist es offenbar noch ein weiter Weg. Laut Verkehrsministerium gibt es schlicht noch kein System, das alle Anforderungen erfülle, heißt es aus dem Ministerium. Zudem gibt es Widerstand auf EU-Ebene. Die Europäische Kommission hatte bereits im Mai zwar einen Gesetzesvorschlag vorgelegt, wonach "alle neuen Fahrzeugmodelle" mit fortschrittlichen Sicherheitssystemen wie Notbremsassistenzsystemen und Spurhalteassistenten ausgestattet werden sollen. Alle neuen Lkw und Busse sollten zusätzlich eine elektronische Fußgänger- und Radfahrererkennung bekommen. Doch gegen eine Nachrüstpflicht gibt es in einigen Hauptstädten erhebliche Bedenken. Bis alle Lkw mit den Hilfsmitteln ausgerüstet würden, könnte es so Jahre dauern.

Kosten von 2300 Euro

Die ersten Unternehmen schaffen allerdings bereits Fakten. Sie führen vorhandene Systeme ein oder entwickeln selber welche. Bislang bietet nur Daimler den Totwinkelwarner für rund 2300 Euro an. Doch viele Käufer sparen sich die vergleichsweise kleine Summe bei Anschaffungspreisen von 150 000 Euro für einen Laster lieber. Die Ausstattungsquote liegt bei Daimler bei gerade mal zwölf Prozent bei Nutzfahrzeugen. Die Lebensmittelkette Edeka wurde in Bayern dagegen aktiv und rüstete einen Teil ihrer Flotte mit einem selbst entwickelten System aus.

Am Tag der Abstimmung rollten nun schwere Brummis vor den Bundestag. Die Abgeordneten wollten sich von Herstellern aber auch von Nutzern zeigen lassen, was möglich ist. Und so fuhren auch einige nachgerüstete orange Müllwagen der Berliner Stadtreinigung neben den Reichstag. 300 Fahrzeuge sollen in Berlin mit den Warnern ausgestattet werden. "Die Systeme helfen, auch wenn sie noch nicht perfekt sind, sagt Thomas Fritzsche, Fahrtrainer der BSR.

Fachleute gehen davon aus, dass ein breiterer Einsatz der elektronischen Helfer Leben retten könnte. Denn die Unfallforschung der Versicherer (UDV) hat in einer Studie ermittelt, dass 40 Prozent aller Unfälle von Lkw und Radfahrern durch elektronische Assistenten verhindert werden könnten. Stattdessen würden immer mehr Lastwagen zur "Todesfalle für Radfahrer", warnt SPD-Fraktionsvize Sören Bartol.

Die Abgeordneten lassen kaum einen Zweifel daran, welchen Auftrag die Regierung am Donnerstag bekommt. Der Einbau bei neuen Lkw, aber auch die Nachrüstung bei älteren Fahrzeugen solle verpflichtend werden, fordert die SPD-Verkehrsexpertin Kirsten Lühmann. Der Grünen-Verkehrspolitiker Stefan Gelbhaar will keine weiteren Verzögerungen akzeptieren. Nachrüstungen müssten unverzüglich mit einer bundesweiten Initiative starten.

© SZ vom 29.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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