Politische Sprache klingt häufig auch deshalb so inhaltsleer, weil Politiker Angst haben, etwas Falsches zu sagen. Umso erfrischender, wenn einer ungeschützt die Wahrheit sagt, wie zum Beispiel gerade Wolfgang Schäuble.
Am Rande der Währungskonferenz in Washington meinte der Finanzminister auf die Frage, wann denn Deutschland seine Schulden zurückgezahlt haben werde: "Hoffentlich nie!" Zum letzten Mal sei das Land 1948 schuldenfrei gewesen, also nach Krieg und Diktatur. Ein Finanzminister, der nicht schuldenfrei werden möchte - ein Skandal? Natürlich nicht. Schäuble hat eine Selbstverständlichkeit gesagt, die nur leider oft vergessen wird.
Die Furcht, dass "wir nie unsere Schulden zurückzahlen können", wird seit Jahren an Deutschlands Stammtischen genährt. Viele Politiker bedienen diese Furcht. Dabei reicht es vollkommen aus, wenn der Staat einen Teil der Schulden zurückzahlt - und es muss noch nicht einmal der größere Teil sein. Jede Regierung wird, wenn sie vorausschauend plant, große Investitionen auf Kredit finanzieren und auf diese Weise einen Teil der Kosten auf künftige Steuerzahler verlagern, die ja den Nutzen haben werden. Sichere Staatsanleihen sind ein unverzichtbares Instrument des Finanzsystems. Wo würden Lebensversicherungen das Geld ihrer Kunden anlegen, gäbe es keine Bundesanleihen?
Die Schuldenquote ist entscheidend
Worauf es alleine ankommt, ist, dass der Schuldendienst den Staat nicht überfordert. Die Messzahl dafür ist die Schuldenquote, der Anteil der Schulden am Bruttoinlandsprodukt. In Deutschland liegt er heute bei 81 Prozent. Das ist zu hoch, vor allem, weil viele künftige Verpflichtungen, etwa für Beamtenpensionen, in diesem Schuldenberg gar nicht enthalten sind. Aber die Zahl muss niemals auf null sinken. Die alte Bundesrepublik hatte kurz vor der Wiedervereinigung eine Quote von 40 Prozent.
Das Wichtigste dabei: Die Schuldenquote ist ein Bruch, bei dem die Politiker nicht nur den Zähler (die Schulden), sondern auch den Nenner (die Wirtschaftsleistung) beeinflussen können. In den Debatten um die Staatsschuld wird dieser Nenner meist ignoriert.
Deutschland wächst derzeit langsamer als die meisten Industrieländer außerhalb der Euro-Zone. Das hat zum Teil mit der Demografie zu tun. Deutschlands Bevölkerung schrumpft, anders als die Frankreichs oder der USA. Zum Teil hat die Schwäche aber auch politische Ursachen. So ist es unpopulär geworden, mehr Wachstum zu fordern; auch gibt es keine systematische Wirtschaftspolitik, auch dann nicht, wenn das Wirtschaftsministerium in FDP-Händen ist.
Lebensgefährliche Hysterie
Die privaten Investitionen sind im internationalen Vergleich außerordentlich niedrig, ohne dass dies jemanden erkennbar stören würde. Dabei ist Konsolidierung unendlich viel schwerer und kann im Extremfall scheitern, wenn man den Nenner des Bruchs, also die Wirtschaftsleistung, vergisst. Die internationale Kritik an den konsolidierungswütigen Deutschen hat hier ihren berechtigten Kern.
Der Blick über den Atlantik mag den Zusammenhang illustrieren. Eigentlich müsste man sich um Amerikas Schuldenquote (derzeit über 100 Prozent) keine Sorgen machen, weil die Wirtschaft trotz aller Krisen dynamisch genug ist. Die USA hätten ausreichend Zeit, ihr langfristiges Problem - die Finanzierung des Sozialstaats - zu lösen, wenn denn nicht das politische System so dysfunktional wäre. Nicht die heutigen Schulden sind das Problem, sondern der hysterische Streit um die Schuldengrenze. Wenn Politiker mutwillig den Staatsbankrott riskieren, dann wird auch die dynamischste Wirtschaft überfordert.
Hysterie beim Thema Staatsschulden kann lebensgefährlich sein. Deshalb nützt es, gelegentlich an einfache Wahrheiten zu erinnern, wie Schäuble es getan hat.