Neuer Mercedes-Sponsor:"Die Grenfell-Community hat Besseres verdient"

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Im Grenfell Tower im Westen von London brach 2017 ein Feuer aus. 72 Menschen starben. (Foto: Daniel Leal /AFP)

Eine Firma, die mit dem tödlichen Feuer im Londoner Grenfell Tower in Verbindung steht, sponsert nun das Mercedes-Rennauto von Lewis Hamilton. Überlebende der Brandkatastrophe sind empört.

Von Alexander Mühlauer, London

Am 14. Juni 2017 stand der Grenfell Tower wie eine riesige Fackel in der Londoner Nacht. Ein Feuer war ausgebrochen und riss 72 Menschen in den Tod. Die Bewohner wurden im Schlaf überrascht, nur wer in den unteren Stockwerke lebte, konnte sich retten. Die Brandkatastrophe in North Kensington war eine nationale Tragödie. Noch immer läuft eine staatliche Untersuchung, die Antworten geben soll, wie dieses Unglück geschehen konnte.

Lange Zeit war es still um den Londoner Wohnturm gewesen, doch nun haben sich Überlebende und Angehörige von Menschen, die bei dem Feuer ums Leben gekommen sind, an die Öffentlichkeit gewandt. Der Grund ist allerdings nicht die schleppende Aufklärung, sondern ein Formel-1-Auto. Den Rennwagen des siebenfachen Weltmeisters Lewis Hamilton soll nämlich von diesem Wochenende an das Logo eines neuen Sponsors zieren, der mit dem Feuer im Grenfell Tower in Verbindung steht: Kingspan.

Der Hersteller von Baustoffen soll, so der Vorwurf der Überlebenden der Brandkatastrophe, für einen Teil der nicht sachgemäßen Isolation des Grenfell Towers verantwortlich gewesen sein. Die Kritiker forderten deshalb Hamiltons Rennstall auf, aus dem Sponsoren-Deal mit Kingspan auszusteigen. In einem Brief an Toto Wolff, den Chef des Mercedes-AMG Petronas Formel-1-Teams, schrieb eine Gruppe Überlebender: "Kingspan hat eine zentrale Rolle dabei gespielt, den Schmerz und das Leid zu verursachen, die wir heute empfinden." Die Gruppe, die sich Grenfell United nennt, forderte Wolff auf, die Zusammenarbeit mit Kingspan "unverzüglich zu beenden".

Die Unterzeichner des Briefs weisen darauf hin, dass die unabhängige Untersuchung des Richters Martin Moore Bick bereits festgestellt habe, dass die von Kingspan zur Dämmung eingesetzten Phenolharzplatten "zur Geschwindigkeit und zum Ausmaß der vertikalen Feuerausbreitung" beigetragen hätten. Das Unternehmen habe eigene Brandschutz-Tests manipuliert, um seine Produkte besser verkaufen zu können.

Der britische Wohnungsbauminister zeigt sich "tief enttäuscht" von Mercedes

Der Brief zitiert auch E-Mails eines Kingspan-Managers, die im Rahmen der Untersuchung veröffentlicht wurden. Darin antwortete er auf Fragen eines potenziellen Kunden nach der Brandschutz-Sicherheit der Dämmplatten mit unflätigen Beschimpfungen und drohte damit, wenn der Betreffende nicht vorsichtig sei, würde man ihn verklagen.

Nach allem, was die Untersuchung bislang herausgefunden hat, waren Dämmplatten der Firma Arconic die Hauptursache für die rasche Ausbreitung des Feuers im Wohnturm. Auch Isolierungen des Unternehmens Celotex trugen dazu bei, aber eben auch "eine kleine Menge von Kingspan-Platten, die als Isolierung verwendet wurden". So lautet jedenfalls das Ergebnis von Richter Martin Moore Bick.

Kingspan erklärte nun in einer Stellungnahme, dass das Unternehmen bei der Konstruktion des Fassadensystems des Grenfell Towers keine Rolle gespielt habe: "Unser Produkt K15 machte etwa fünf Prozent der Dämmung aus und wurde ohne Wissen von Kingspan als Ersatzprodukt in einem System verwendet, das nicht den Bauvorschriften entsprach." Ansonsten verwies Kingspan auf die neue Partnerschaft mit dem Mercedes-AMG Petronas Formel-1-Teams, das "die ehrgeizigen Nachhaltigkeitsziele beider Organisationen widerspiegelt".

Der britische Wohnungsbauminister Michael Gove mag daran offenbar nicht glauben. Am Donnerstag meldete er sich via Twitter zu Wort. Er sei "tief enttäuscht", schrieb Gove, dass Mercedes das Sponsoring von Kingspan angenommen habe, solange die Grenfell-Tower-Untersuchung noch laufe. Und dann fügte er noch hinzu: "Ich werde an Mercedes schreiben und darum bitten, die Entscheidung zu überdenken. Die Grenfell-Community hat Besseres verdient."

Formel-1-Manager Wolff meldete sich am Freitag selbst zu Wort. In einem Brief an Grenfell United entschuldigte er sich, dass die Ankündigung der Zusammenarbeit mit Kingspan zu zusätzlichem Schmerz geführt habe. Dies sei nicht beabsichtigt gewesen. Ansonsten berief sich Wolff auf die Stellungnahme von Kingspan. Auf die Forderung, den Sponsoren-Deal zu beenden, ging er nicht ein. Er bot aber an, sich persönlich mit den Überlebenden der Brandkatastrophe zu treffen.

Dem Vernehmen nach soll zumindest Lewis Hamilton nicht in die Sponsoring-Entscheidung eingebunden gewesen seien. Das wäre auch ein Wunder gewesen, hatte der Brite doch am dritten Jahrestag des Unglücks auf Instagram geschrieben: "Wir gedenken der 72 Menschen, die wir verloren haben, und ihrer Angehörigen, sowie aller, die von dieser Tragödie betroffen sind. #justiceforgrenfell." Man tritt Hamilton wahrscheinlich nicht zu nahe, wenn man behauptet, er hätte seinem Arbeitgeber wohl nicht dazu geraten, mit Kingspan Geschäfte zu machen.

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