Spitzentreffen in Berlin:Durchregieren auf französisch

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Paris will Europas Stabilitätspakt neu definieren, um künftigen Wirtschaftskrisen vorzubeugen. Doch Berlin geht das alles viel zu schnell.

Michael Kläsgen, Paris

Frankreich will Europas Stabilitätspakt neu definieren und die Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedsstaaten angleichen, um künftigen Wirtschaftskrisen in der EU vorzubeugen. Die französische Regierung präzisierte im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung erstmals Frankreichs Vorstellungen zur umstrittenen EU-Wirtschaftsregierung.

Zupacker vom Dienst: Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy will beim Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel in Berlin für die Idee einer europäischen Wirtschaftsregierung werben. (Foto: rtr)

Das Thema wird ein wichtiger Bestandteil der Gespräche zwischen dem französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy und Bundeskanzlerin Angela Merkel an diesem Montag in Berlin sein. Ihr Treffen war ursprünglich am vorigen Montag geplant, wurde dann aber kurzfristig von Merkel abgesagt, was Paris als Affront empfand.

Wettbewerbsunterschiede einfach ausgleichen

Frankreichs Pläne zur Angleichung der Wettbewerbsfähigkeit bieten weiteren Konfliktstoff. "Wir brauchen unbedingt einen gemeinsamen Pakt, den ich weiterhin Stabilitäts- und Wachstumspakt nenne, der aber weitere Komponenten enthält, allen voran die sehr sorgfältige Überprüfung der Wettbewerbsfähigkeit jedes Mitgliedslands sowie der Abstände der Wettbewerbsfähigkeit zwischen den Ländern", sagte Finanzministerin Christine Lagarde und fuhr fort: "Daraus ergibt sich logischerweise eine Wirtschaftspolitik, die es erlaubt, die Wettbewerbsunterschiede anzugleichen und die Wirtschaftspolitiken zu harmonisieren, und zwar mit der Möglichkeit eines gegenseitigen Ausgleichs."

Mangelnde Wettbewerbs- und Exportfähigkeit wird als entscheidender Grund gesehen, warum verschuldete Staaten wie Griechenland und Spanien in den vergangenen Monaten so stark unter Druck gerieten und die Währungsunion reformbedürftig ist. Lagarde ließ offen, ob sie unter gegenseitigem Ausgleich einen Finanztransfer zwischen ärmeren und reicheren Ländern versteht. Sie ging auch nicht näher darauf ein, was sie mit dem Angleichen der Wettbewerbsfähigkeit meint: ein Nivellieren der Länder oder ein Anpassen an das wettbewerbsfähigste Land in der Eurozone oder Union.

Aus deutscher Sicht besteht hier mit der größte Klärungsbedarf. Mitte März hatte Lagarde den deutschen Außenhandelsüberschuss kritisiert, der maßgeblich auf die hohe Wettbewerbsfähigkeit deutscher Firmen zurückzuführen ist. Die Bundesregierung reagierte mit Unverständnis. "Dass Länder, die in der Vergangenheit über ihre Verhältnisse gelebt und ihre Wettbewerbsfähigkeit vernachlässigt haben, jetzt mit dem Finger auf andere zeigen, ist unfair", sagte Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP).

Im Februar hatte Sarkozy Merkel erstmals überzeugen können, sich für die Gründung einer europäischen Wirtschaftsregierung auszusprechen. Frankreich dringt seit mehr als 20 Jahren darauf. In Deutschland galt sie bis zum Ausbruch der Griechenland-Krise als Tabu. Nach den Worten Lagardes schwebt Frankreich vor, daraus weit mehr als bloß ein Organ zur Koordinierung der nationalen Politiken zu machen. "Wir müssen ernsthaft über die Notwendigkeit einer Wirtschaftsregierung nachdenken, die echte Steuerungsfunktionen übernimmt und sich nicht nur mit der Banken- und Finanzmarktaufsicht befasst, sondern eine koordinierende und effiziente Exekutive ist." Konkrete Pläne seien noch im "Entwicklungsstadium", teilte das Ministerium mit, sollen aber in den nächsten Tagen vorgelegt werden.

Immer schön flexibel bleiben

Auf die Frage, ob die Wirtschaftsregierung die Staaten der Eurozone oder der EU umfassen soll, sagte Lagarde sinngemäß, dass Europa da flexibel bleiben müsse. Hinzu komme, dass nicht alle Länder Europas den gleichen Ansatz oder die gleiche Analyse wie Frankreich hätten. Deshalb könne Paris "im Moment noch keine genauen Antworten darüber geben, wie die Rolle der Europäischen Zentralbank definiert sein soll, wie viele Länder an der Wirtschaftsregierung teilnehmen und wo die 'neue Hauptstadt' Europas liegt".

Besonders wichtig erscheint Paris der Aufbau einer europaweiten Buchführung über Defizite und langfristige Schulden der einzelnen Länder, um zu vermeiden, dass Länder wie Spanien und Irland, die vor zwei Jahren noch als vorbildlich galten, plötzlich in der Krise stecken. Paris will deshalb Frühwarnsysteme und Sanktionen gegen Staaten einführen, die gegen die Regeln verstoßen, und zwar ohne den Lissabon-Vertrag zu verändern. Weitgehend einig ist sich Frankreich mit Deutschland darüber, die Finanzmärkte zu regulieren (Ratinagenturen, Derivate, Hedgefonds). Laut der Agentur AFP wollen sich die EU-Regierungen bei ihrem Gipfel diese Woche für die Einführung einer europäischen Bankenabgabe aussprechen.

Frankreichs Premierminister François Fillon bestätigte, dass Frankreich bis 2013 ganze 100 Milliarden Euro sparen will. Etwa die Hälfte der Einsparungen soll durch eine Senkung öffentlicher Ausgaben und die Streichung von Steuerfreibeträgen erzielt werden, die andere Hälfte durch höhere Einnahmen aufgrund der anziehenden Konjunktur. Frankreich ist das einzige große EU-Land, das bislang nicht konkretisiert hat, wie es sein Defizit abbauen will.

© SZ vom 14.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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