Eine Barbie-Puppe hat immer ein Lächeln auf den Lippen. Und wie das bei einem eingefrorenen Lächeln so ist, kann sich dahinter ein Abgrund verbergen. So auch bei der hübschen Plastikfrau. Denn ein Aspekt soll bei der Barbie künftig noch wichtiger sein als ihr makelloses Aussehen. Nämlich das, was sie hören kann. Mattel, der Hersteller des Fräuleinwunders fürs Kinderzimmer, hat der Puppe ein ganz und gar nicht damenhaftes drittes Ohr spendiert, ein Mikrofon. Damit hört die Puppe, die sinnigerweise "Hello Barbie" heißt, ihren kleinen Besitzern zu. Was die Kinder so brabbeln, schickt Barbie an den Hersteller, und der wertet die Kinderworte aus. Was wünscht sich der oder die kleine Besitzerin der Puppe? Oder, anders gefragt: Welche herrliche Erfindung könnten die Mattel-Verkäufer den Eltern des Kindes als nächstes verkaufen? Also Marktforschung live. Es ist aber auch: Spionage im Kinderzimmer.
Damit die Kleinen brav mit ihrer Puppe reden, hat sie auch einen Lautsprecher, über den sie den Kindern Fragen stellt: "Du hast mir gesagt, dass du gerne auf einer Bühne stehst, möchtest du vielleicht Tänzer werden? Oder Politiker?"
Barbie-Puppe als selbstlernende Maschine
Mattel vermarktet die Puppe als clevere Unterhaltung für Kinder. Datenschützer sind hingegen entsetzt und verliehen dem Hersteller deshalb gemeinsam mit Menschenrechtlern für die Spionin im Kinderzimmer den "Big Brother Award", eine Auszeichnung für den katastrophalen Umgang mit Daten in der digitalen Gesellschaft. Auch deshalb gibt es dieses Barbie-Modell bislang nur in den USA, wo Datenschutz einen anderen Stellenwert hat als in Europa.
Die Barbie-Puppe ist einer der cleversten Spione im Kinderzimmer. Sie erinnert sich an Unterhaltungen mit dem Kind, sie lernt dazu, und sie tarnt das finanzielle Interesse ihres Schöpfers als freundschaftliches Interesse ihrer selbst. Das ist zunächst mal technisch eine gewaltige Leistung. Lernende Maschinen mit simulierter Erinnerung und Spracherkennung waren noch vor fünf Jahren so teuer, dass sie kein Spielehersteller auch nur als Möglichkeit eines Produkts in Betracht gezogen hätte. Ein Kind muss nicht dumm sein, um auf diese Technik hereinzufallen, es reicht, ein Kind zu sein.
Playstation, Fernseher und Computer: Spielzeuge überwachen Kinder
Barbie mag eine besonders hinterlistige Spionin im Kinderzimmer sein, aber sie ist bei Weitem nicht die Einzige. Vielmehr steht sie an der Spitze eines Trends: Datenerhebung mit allen möglichen Mitteln erobert die Kinderzimmer, der Widerstand der Datenschützer ist in weiten Teilen gebrochen, die Hersteller sind auf der Zielgeraden. Dabei durchläuft der Spielwarensektor die gleiche Veränderung wie andere Branchen. Die Hersteller versuchen, so viel wie möglich über ihre Kunden zu erfahren, um deren Bedürfnisse künftig im Voraus zu erahnen. Amazon macht das seit vielen Jahren für seine beliebte "Kunden, die dieses Produkt kauften, kauften auch . . ."-Funktion, aber mittlerweile berechnet auch die Polizei, wo in naher Zukunft Einbrecher auftauchen, Industrieanlagen werden mit Hilfe von Wetter- und Energiekostenprognosen gesteuert, um möglichst effizient und günstig zu produzieren; Banken und Versicherungen berechnen mit cleveren Computerprogrammen und Millionen Kundendatensätzen längst, wer welchen Kredit bekommt und wem welche Versicherung verweigert wird. So lassen sich Absatz und Gewinn in bislang ungeahnte Höhen treiben. Und jetzt also: die Spielzeugindustrie.
Spielekonsolen wie die Playstation registrieren das Spieleverhalten des Nachwuchses, Fernseher und Computer mit eingebauter Kamera beobachten ihn, und Spielzeug wie die Barbie belauscht ihn.
Dann ist da noch der kleine Dinosaurier "Cognitoy", bei dem die Anspielung auf das Wort "kognitiv" Programm ist. Der Dino steigert im Gespräch mit Kindern die semantischen Anforderungen und überwacht, wie schnell die Kleinen klüger werden. Für diese Meisterleistung arbeitet der Dino mit der Technologie von Watson, einem Supercomputer von IBM, der künstliche Intelligenz auf ein neues Level gehoben hat. Sowohl der Dino als auch Barbie sind immer online, zeichnen aber nicht ständig auf. Das Kind muss erst einen Knopf drücken. Aber welches Kind verzichtet darauf, einen Knopf zu drücken?
Nicht nur beim Nachwuchs finden die Hersteller geschickt den richtigen Zugang, um maximale Interaktion zu ermöglichen. Die zweite Zielgruppe der neuen Spielzeuggeneration sind, wie immer, diejenigen, die es bezahlen: die Eltern. Sie haben einerseits die Hoffnung, ihr Kind beschäftigen zu können, andererseits ein Gefühl von Sicherheit und nicht zuletzt auch den Glauben, den Nachwuchs mit modernen Methoden zu erziehen.
Ersteres erledigen Produkte wie der Tablet-Computer Tabeo, der in bunten Farben schon die jüngsten Kinder ansprechen soll, oder, weniger offensichtlich, der Stift Tiptoi von Ravensburger, der Motive aus dafür vorgesehenen Bilderbüchern erklärt und kommentiert, sobald das Kind diese per Stift berührt. Künstlich intelligente Technik wird so zur Beschäftigungstherapie und auch zur Erziehungsinstanz.
Die Eltern reden mit Siri, die Kinder mit dem Supercomputer
Die größere Nachfrage besteht im Bereich Sicherheit. Die sprechende, lauschende Barbie zum Beispiel bietet die Option, das Gespräch mit den Kindern nicht nur an Mattel und weitere Firmen zu schicken, sondern auch an die Eltern selbst. So können besorgte Mütter und Väter sicher sein, dass die Gedanken des Kindes für sie stets so transparent sind wie Angela Merkels Telefongespräche für die NSA. Und falls das Kind schon laufen kann, können die Eltern ihm noch die Uhr "Freedom4Kids" ums Handgelenk binden, bei der das Gegenteil der Produktbezeichnung Programm ist. Die Kinderuhr informiert die Eltern über den Aufenthaltsort des Kindes und auch darüber, wie schnell es sich bewegt. Noch unauffälliger sind spezielle, sehr kleine Chips mit derselben Funktion, die Eltern an jedem beliebigen Ort verstecken können, im Schulranzen, im Teddybär, sogar in der Kleidung des Kindes.
Und je älter das Kind wird, desto wahrscheinlicher nutzt es bald auch Computer, die sich nicht mehr in Kuscheltieren oder bunten Hüllen verstecken. 20 Prozent aller Sechs- bis Siebenjährigen nutzen ein Smartphone, bei den Zehn- bis Elfjährigen sind es schon 57 Prozent. Ein Smartphone vereint und potenziert als leistungsstarker Computer in der Hosentasche sämtliche Möglichkeiten der digitalen Spielzeuge.
Neben dem grundsätzlichen Trend zur Digitaltechnik tragen weitere gesellschaftliche Veränderungen zur Ausbreitung der Spionagetechnik im Kinderzimmer bei. Die Ablösung der Großfamilie, in der wesentlich mehr Augen auf ein Kind gerichtet waren, als dies im Durchschnitt heute der Fall ist, einerseits, aber auch die gesunkene Risikobereitschaft vieler Eltern. Die vieldiskutierten Helikopter-Eltern, die wie Hubschrauber über ihrem Kind kreisen, nehmen dankbar jede Technik an, die an ihrer Stelle oder mit ihnen zusammen kreisen. Hinzu kommt auch, dass der Einsatz von künstlicher Intelligenz und das Abschöpfen privater Daten durch Regierungen und Konzerne für den Nachwuchs zum Alltag gehören. Wenn die Eltern mit Apples Sprachcomputer im iPhone, Siri, sprechen, warum sollte sich dann ein Kind gegen ein Gespräch mit seinem freundlichen Dinosaurier entscheiden?
Abgehört als Kind, Rückschlüsse für das ganze Leben
Die Entwicklung von Überwachungstechnik in anderen Bereichen wie zum Beispiel bei Sicherheitsbehörden und Geheimdiensten zeigt, dass in aller Regel sämtliche Möglichkeiten der Technik ausgeschöpft werden: Abgehört wird, was abgehört werden kann. Dabei ist zum Zeitpunkt des Abschöpfens oft noch gar nicht klar, welche Möglichkeiten die Daten später bieten werden. Im Falle verwanzter Kinderzimmer dürften sie nahezu unbeschränkt sein. Wer einen Menschen bereits in frühen Jahren durchleuchtet hat, kann durchaus Rückschlüsse für das restliche Leben der Person ziehen. Gut möglich also, dass die Firmen dahinter früher oder später mit dem Verkauf der Daten mehr Geld verdienen, als mit dem Spielzeug, das sie eigentlich verkaufen. Die Daten selbst können für nahezu jede Firma der Welt interessant sein, die Dienstleistungen oder Produkte für Endkonsumenten anbietet.
Wer als Teenager besonders wild Fahrrad gefahren ist, zahlt vielleicht mehr für die Fahrschule, die 30-jährige Bankerin, die als kleines Mädchen stets den Porsche im Videospiel gefahren hat, möchte womöglich einen echten kaufen, und wer mit zwölf Jahren hervorragend im Ego-Shooter war, der will vielleicht mit 17 zur Bundeswehr. So wächst eine Generation heran, für die es ganz normal ist, dass sich ihre Umgebung an sie anpasst - auf Basis der Daten, die sie von frühester Kindheit an preisgegeben hat. Manches wird für sie teurer, manches günstiger sein als für ihre Freunde. Manchen werden Kredite verwehrt bleiben, die andere bekommen. Manche werden vielleicht früh Besuch von der Polizei bekommen, weil es ihnen schon beim Spielen schwerfiel, die Regeln einzuhalten. Ob es so dramatisch wird, ist nicht abzusehen. Klar ist nur: Die Spielzeugfirmen werden gut daran verdienen.