Solarenergie:Selbst ist die Stadt

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Die Berliner Reichstagskuppel im Abendlicht. Die Stadt könnte die Sonnenenergie mehr nutzen, sagen Experten. (Foto: imago)

Deutschlands Metropolen könnten ihren Energiebedarf zu 100 Prozent durch Solaranlagen decken - rein theoretisch. In der Praxis stößt die Idee auf einige Schwierigkeiten.

Von Jochen Bettzieche

Die Sonne liefert Energie. Rund um die Uhr und mehr, als die Menschheit braucht. Nach Angaben der Desertec-Foundation erhalten allein die Wüsten der Erde in nur sechs Stunden die Energie von der Sonne, die die Menschheit in einem Jahr benötigt. Nur gibt es in Mitteleuropa keine Wüsten. Braucht man auch nicht. Maria Götzel von der Berliner Agentur Peak Ace hat sich mit dem Thema näher beschäftigt und durchgerechnet: "Rein rechnerisch könnten die meisten deutschen Großstädte mit einer Solarzellenbebauung von fünf bis zehn Prozent ihrer Stadtfläche mit Solarstrom versorgt werden."

Nicht alle Dächer sind für Fotovoltaik geeignet, und nicht jeder Eigentümer macht mit

Laut Götzel benötigt beispielsweise Berlin 8,4 Prozent des Stadtgebiets für Photovoltaikanlagen, München 8,8 Prozent und Freiburg gerade Mal 2,8 Prozent. Als Bedarf setzt sie dabei 7,2 Megawattstunden pro Jahr und Einwohner an, als Ertrag 200 Kilowattstunden pro Quadratmeter Solarmodul und Sonnenstunde, ein hoher Wert. Der Bundesverband Solarwirtschaft verweist auf eine aktuelle Publikation des Fraunhofer-Instituts für solare Energiesysteme. Danach kommt ein Modul derzeit nur auf 150 Kilowattstunden pro Sonnenstunde, "Spitzenmodule" auf 180 Kilowattstunden, schreiben die Wissenschaftler. Unterschiedliche Einschätzungen gibt es auch beim Energiebedarf. Laut Götzel brauchen die 1,46 Millionen Einwohner Münchens etwa 10,5 Milliarden Kilowattstunden, nach Angaben der Stadtwerke München (SWM) sind es lediglich sieben bis acht Milliarden.

Dennoch, die Grundidee ist interessant: Städte versorgen sich mit Hilfe von Solarmodulen auf den Dächern zu 100 Prozent selbst mit Energie. Ohne Emissionen, ohne Überlandleitungen. Eine gute Idee, die technisch aber derzeit nicht umzusetzen ist. Je nach Stadt scheitert so ein Vorhaben schon an der benötigten Fläche. "Ich kenne aus Veranstaltungen zum Thema Solarcity nur die Annahme, der zufolge bei solarer Nutzung aller geeigneten Berliner Dächer rund 25 Prozent des Berliner Energiebedarfes via Photovoltaik gedeckt werden könnten", sagt beispielsweise Alexander Schitkowsky, technischer Leiter der Berliner Stadtwerke. Simon Schäfer-Stradowsky, Geschäftsführer des Instituts für Klimaschutz, Energie und Mobilität in Berlin, geht von 30 Prozent aus. Aber dann ist auch Schluss.

Denn Dach ist nicht gleich Dach. So muss die Statik eines Gebäudes darauf ausgelegt sein, die zusätzliche Last der Solarmodule zu tragen. "Abgesehen davon sind sicherlich viele, aber nicht alle Dächer in München für Photovoltaik geeignet - sei es aufgrund von Dachgröße, Verschattung, der richtigen Ausrichtung oder der Dachneigung", erklärt Thomas Lüers, Leiter Dezentrale Energielösungen bei den Stadtwerken München. Das gilt auch für andere Städte.

Hinzu kommt der Denkmalschutz. Auf historischen Gebäuden dürfen Solaranlagen oft nicht installiert werden. Nach Angaben der Stadt München stehen im dortigen Stadtgebiet derzeit 6776 als Einzeldenkmal geschützte Gebäude.

Ein weiteres Hindernis ist die Eigentümerstruktur. Niemand kann gezwungen werden, eine Photovoltaikanlage auf seinem Dach zu installieren. Das bedeutet, dass sich die Energieversorger mühsam Flächen sichern müssen. Oder die Eigentümer werden selbst zum Betreiber eines Kraftwerks auf dem Dach. Beides wird insbesondere dann schwierig, wenn das Gebäude mehreren Parteien gehört, betont Lüers: "Der notwendige, einstimmige Eigentümer-Beschluss zur Nutzung durch eine Photovoltaikanlage ist schwierig herbeizuführen."

Für Schitkowsky ist die Rechnung beim heutigen Stand der Technik rein bilanziell. Selbst wenn eine Stadt auf ihren Dächern wirklich viel Energie gewinnt, muss sie noch von außen zukaufen. Denn die Solarmodule liefern nur tagsüber Strom. Viele Geräte wie zum Beispiel Straßenbeleuchtungen benötigen aber nachts Strom. Die Ausbeute des Tages können die Gemeinden aber bisher nicht in ausreichenden Mengen speichern. "Das wird zwar mit dem Ausbau der Speichertechnologien und gegebenenfalls über Power-to-Heat- oder Power-to-Gas-Projekte ein Stück weit besser", erwartet Schitkowsky. Mittelfristig und langfristig brauche man aber weitere Stromquellen.

Auch die Stadtwerke München haben nicht genügend Speicher für die bayerische Landeshauptstadt. Zwar betreiben sie das Pumpspeicherkraftwerk Leitzach. "Hier kann allerdings nicht die gesamte, für eine Millionenstadt notwendige Menge Energie zwischengespeichert werden", sagt Lüers.

Die Solarthermie nutzt ebenfalls das Sonnenlicht. Aber die Anlagen erzeugen Wärme, keinen Strom

Wissenschaftler der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW) führen einen weiteren Faktor an, der Probleme bereiten könnte: die Lastdichte. Das ist laut Bundesnetzagentur die Jahreshöchstlast im Stromnetz pro Quadratkilometer - und die ist in Städten höher als auf dem flachen Land. Kein Wunder, in dünn besiedelten, ländlichen Gegenden wohnen in Deutschland keine zehn Personen auf einem Quadratkilometer. In den Metropolen sind es dagegen Tausende, und die benötigen deutlich mehr Strom. Das Stromnetz ist folglich stärker belastet. "Aufgrund der hohen Lastdichte bleibt die Frage offen, ob sich Metropolen eigenständig mit Solarstrom versorgen können", schreiben die Wissenschaftler der HTW.

Und dann ist da noch die Konkurrenz auf dem Dach, die Solarthermie. Diese Anlagen nutzen ebenfalls das einfallende Sonnenlicht. Aber sie erzeugen Wärme, keinen Strom. Der Bundesverband Solarwirtschaft verweist auf eine Studie, wonach die geeignete Fläche zu 34 Prozent für Solarthermie genutzt wird.

Trotz dieser technischen Herausforderungen ist das Potenzial für die Photovoltaik in zahlreichen deutschen Städten groß. Das Ziel muss ja nicht gleich hundert Prozent Eigenversorgung heißen. Laut Schitkowsky beträgt der Anteil des im Stadtgebiets erzeugten Solarstroms weniger als ein Prozent des Energiebedarfs, weit weniger als die eigentlich machbaren 25 bis 30 Prozent.

© SZ vom 04.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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