Es hat sehr viel Symbolik, wenn an diesem Montag die Beschäftigten des Siemens-Gasturbinenwerkes in Berlin eine Menschenkette um ihren Betrieb bilden werden. "Wir umarmen unser Werk", so das Motto der Aktion. Dass Arbeitnehmer ihr Werk umarmen, weil Siemens gerade weltweit an die 7000 Jobs streichen will, die Hälfte davon in Deutschland, ist die eine Sache. Dass auch der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) bei der Umarmung Teil der Menschenkette sein möchte, noch mal eine andere: Für Siemens wird der jüngste Sparplan in der Kraftwerks- und Antriebssparte zu einem sozialpolitischen Spießrutenlauf.
Dem Siemens-Vorstand wäre es so am liebsten: reden, verhandeln, einen Kompromiss finden. Personalchefin Janina Kugel setzt auf freiwillige Abschiede, auf Abfindungen, Weiterqualifizierungen, Altersteilzeit. Je mehr freiwillig gehen, desto weniger Menschen muss gekündigt werden.
Siemens:Siemens ist von einem Kompromiss weit entfernt
Trommeln, Pfiffe, Wut: In ganz Deutschland protestieren Siemensianer gegen die Kürzungspläne des Vorstandes. Der muss jetzt verhandeln - unter extrem schlechten Vorzeichen.
Die IG Metall will da nicht mitmachen. "Wir werden dann mit der Siemens-Führung über die Schließungspläne verhandeln, wenn diese zurückgenommen werden. Vorher gibt es nichts zu besprechen", sagte Siemens-Aufsichtsrat und IG-Metall-Vorstandsmitglied Jürgen Kerner der Süddeutschen Zeitung. Die Kürzungspläne waren vor einigen Wochen über die Medien publik geworden, über Details hatte der Vorstand Betriebsräte und Beschäftigte dann Ende vergangener Woche informiert. "Sollte der Vorstand bei seinen Plänen bleiben, werden wir mit den uns als Gewerkschaft zur Verfügung stehenden Mitteln weitermachen", droht Kerner. "Dann schließen wir auch einen Arbeitskampf, also Streiks, als letztes Mittel nicht aus."
"Summen, über die sich jeder Mittelständler freuen würde"
Streiks - das wäre das Letzte, was Siemens-Chef Joe Kaeser in diesen Zeiten gebrauchen könnte. Der Vorstandsvorsitzende ist gerade dabei, den Konzern komplett umzubauen. Zuletzt wurde für das Zug-Geschäft ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem französischen TGV-Hersteller Alstom beschlossen, in den nächsten Monaten steht der Börsengang der Medizintechniktochter an - alles in allem ein ungünstiger Zeitpunkt, um den Konflikt mit den Beschäftigten eskalieren zu lassen. Andererseits: Das Geschäft mit Großturbinen in der Kraftwerkssparte läuft wegen der Energiewende und einer immer geringeren Nachfrage schlecht, und nichts deutet darauf hin, dass sich dies in Zukunft verbessern wird. Noch macht der Konzern im Kraftwerksbereich Gewinne - allerdings gehen diese stetig zurück. Dennoch: "Die Kraftwerkssparte verdient immer noch Summen, über die sich jeder Mittelständler freuen würde", sagt Kerner.
Was die Siemens-Mitarbeiter in diesen Tagen besonders geärgert hat: die Art und Weise, wie der Vorstand seine Botschaften zuletzt verbreitet hat. "Ich erwarte, dass Herr Kaeser nicht nur bei der Queen und bei Wladimir Putin auftritt, sondern vor allem auch bei seinen Beschäftigten", sagt Kerner. "Einen Kürzungsplan kann man nicht wie am Freitag per Videobotschaft den Belegschaften an den Standorten verkünden."
Siemens will die Standorte Leipzig und Görlitz komplett schließen, andere Fabriken stehen auf der Kippe; an vielen Orten sollen Hunderte Jobs wegfallen. Zuletzt gab es Proteste und Demonstrationen unter anderem in Berlin, Görlitz und Leipzig; Politiker warnten vor den politischen Folgen der Kürzungen besonders im Osten. Die Berliner Bundestagsabgeordnete und stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Eva Högl forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Wochenende auf, den drohenden Stellenabbau bei Siemens zur Chefsache zu machen - vor allem angesichts der Milliardengewinne, die der Konzern immer noch macht. "Es gibt Alternativen zu diesem Stellenabbau, und die Politik kann dafür Unterstützung anbieten", sagte Högl der B.Z. am Sonntag.
An diesem Donnerstag wollen sich die Siemens-Betriebsräte im Berliner Estrel-Hotel treffen und über das weitere Vorgehen beraten. Über 2000 Demonstranten werden hier erwartet - noch sieht nichts nach einer Entspannung aus. Im Gegenteil.