Es ist genau Mitternacht, als François Hollande das Kanzleramt verlässt. Die Kanzlerin begleitet ihn noch zum Haupteingang. Es ist eine kühle Nacht in Berlin, Angela Merkel friert offenkundig ein wenig in ihrem gelben Blazer, man sieht das aus der Entfernung an den hochgezogenen Schultern. Der Wind zerzaust ihre Haare, als sie dem Franzosen hinterherwinkt, der in Richtung Flughafen Tegel davonfährt.
War dieser Abend der Auftakt zur Entscheidung über Griechenlands Zukunft in der Euro-Zone? Vieles spricht dafür. Ein Treffen mit Hollande und Jean-Claude Juncker, dem Präsidenten der EU-Kommission, stand ursprünglich auf dem Programm. Zu dritt konferierten sie planmäßig mit hochrangigen Wirtschaftsvertretern, serviert wurde ein Abendessen, bei dem über die Lage in Europa und das Investitionspaket der Europäischen Union gesprochen werden sollte. Doch Regierungssprecher Steffen Seibert hatte sich schon in den vergangenen Tagen erkennbar gewunden, wenn er auf die Frage antworten sollte, ob die drei Politiker auch noch im kleinen Kreis über Griechenland reden würden.
Merkel will das Thema Griechenland aus dem Weg haben
Die Zeit bis zur fälligen Rückzahlung von Krediten wird knapp, der Druck auf alle Beteiligten ist groß - und Angela Merkel, die Gastgeberin des G-7-Gipfels am kommenden Wochenende, hätte das Thema Griechenland zumindest vorübergehend gerne aus dem Weg, wenn sie die Staats- und Regierungschefs am Sonntag auf Schloss Elmau in Bayern empfängt.
Tatsächlich wurde dann am Montagabend über Griechenland gesprochen - und das nicht nur im kleinen, sondern in einem recht großen, wahrscheinlich sogar im entscheidenden Kreis. Denn zu Merkel, Hollande und Juncker gesellten sich überraschend noch der Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, und die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde - die wichtigsten Europäer an einem Tisch, nur Alexis Tsipras fehlte, der griechische Ministerpräsident, an dem nun alles hängt.
Zweieinhalb Stunden saß man zusammen. Das Treffen erinnerte an eine ähnliche Begegnung auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, ebenfalls nachts im Kanzleramt, damals aber noch mit Nicolas Sarkozy als französischem Präsidenten und Jean-Claude Trichet für die EZB. Solche Gipfel werden fällig, wenn die Dinge spitz auf Knopf stehen. Wenn eine Entscheidung her muss, um fast jeden Preis.
Sollte sich der IWF zurückziehen, wäre das brenzlig für Merkel
Um 0:30 Uhr holen Mitarbeiter des Kanzleramts die französische Flagge ein, doch in Merkels Büro brennt noch Licht. Acht Minuten später verlässt Mario Draghi das Amt. Christine Lagarde bleibt offenkundig noch, was durchaus Symbolkraft hat, denn der IWF hat zu erkennen gegeben, sich aus dem Rettungsprogramm für Griechenland zurückzuziehen. Das aber würde nicht nur Europa und Athen vor ganz neue Probleme stellen, es wäre auch für die deutsche Kanzlerin politisch äußerst brenzlig. Die Beteiligung des IWF war immer eines der wichtigsten Argumente Merkels, wenn es darum ging, ihre eigenen Leute im Bundestag von immer neuen Hilfsprogrammen für Athen, beziehungsweise deren Verlängerung zu überzeugen.
Während drinnen noch geredet wird, schickt ein Regierungssprecher drei ebenso lange wie dürre Sätze:
Merkel, Hollande, Juncker, Draghi und Lagarde hätten sich "über den aktuellen Stand der laufenden Gespräche zwischen den Institutionen und der griechischen Regierung ausgetauscht", heißt es. Die Institutionen, das sind EZB, IWF und EU-Kommission, auch als Troika bekannt, die auf griechischen Wunsch aber nicht mehr so heißen soll. Man sei sich einig gewesen, so heißt es weiter, "dass nun mit großer Intensität weitergearbeitet werden muss". Soll heißen: Noch ist Griechenland nicht aufgegeben. "Die Gesprächspartner waren in den letzten Tagen in engstem Kontakt und wollen dies auch in den nächsten Tagen bleiben - sowohl untereinander als natürlich auch mit der griechischen Regierung."
Kompromissbereitschaft bei Tsipras
Schon vor dem Treffen hatte es geheißen, Tsipras zeige Entgegenkommen, unter anderem bei der Frage einer Erhöhung des Rentenalters. Zu dieser Konzessionsbereitschaft würde passen, dass er in der französischen Zeitung Le Monde einen Artikel veröffentlichte, in dem er auf nicht näher benannte neoliberale Elemente schimpfte, die eine Einigung blockierten. Der Artikel könnte ein Ablenkungsmanöver gewesen sein, um die eigenen Parteigänger zu beruhigen, die Tsipras zu Hause unter Druck setzen. Angeblich wollen Merkel und ihre Gesprächspartner aus dem Kanzleramt nun einen letzten Vorschlag unterbreiten, zu dem sich die Griechen verhalten sollen. Bestätigt aber ist das nicht.
Um 0:58 Uhr fahren die letzten Limousinen vor dem Kanzleramt davon. Das Treffen ist beendet. Aber die Entscheidung steht noch aus.