Kommentar:Schulden als Droge

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Illustration: Bernd Schifferdecker (Foto: N/A)

In der Corona-Krise macht der Staat gerade gewaltige Schulden. Was heute richtig ist, ist morgen garantiert falsch. Aber werden die Politiker nach der Bundestagswahl die Kraft haben umzusteuern? Wenn nicht, muss womöglich das Bundesverfassungsgericht einschreiten.

Von Marc Beise, München

Das Schwierigste in der Politik ist ein Kurswechsel, zumal wenn es gilt, den eigenen Kurs zu korrigieren. Es stellen sich den Akteuren dann brennende Fragen: Soll man? Darf man? Kann man? Ein solcher Kurswechsel bahnt sich nach der Bundestagswahl am 26. September in der Wirtschaftspolitik an, die in den letzten Jahren der Ära Merkel leider nur noch ein kraftloses Sowohl-als-auch ist.

Nicht mal der Kandidat der Kanzlerinnen-Partei, Armin Laschet, bestreitet, dass die Zeit des Aussitzens und des Stillstands ein Ende haben muss, dass die Wirtschaftspolitik klare Positionen braucht. Erst recht sehen das alle anderen Parteien so: Es geht um Wachstumspolitik, um Sozialpolitik, um Klimapolitik, und je nach Partei soll es vom einen mehr und vom anderen weniger sein.

Ein solches Ringen um die richtigen Prioritäten wäre für viele Politiker und übrigens auch Bürger eine ziemlich neue Erfahrung. Sie kennen es seit Jahren nicht anders, als dass Absprachen zwischen den Regierungsparteien CDU, CSU und SPD nach dem Muster des größten gemeinsamen Nenners getroffen werden: Will der eine hierfür (Steuer-)Geld ausgeben, nimmt sich der andere dasselbe Recht woanders, und der Dritte ist auch eifrig dabei; nur eines kommt praktisch gar nicht mehr vor, was eigentlich die Aufgabe von Politik wäre: sich zwischen Alternativen zu entscheiden.

Die soziale Marktwirtschaft ist in der Defensive

Wirtschaften heißt: unendliche Bedürfnisse und begrenzte Mittel in Einklang zu bringen? Das gilt für Politiker schon lange nicht mehr - und erst recht nicht seit dem Ausbruch des Coronavirus. In dem Bemühen, die virologisch begründeten Einschränkungen des Arbeits-, Handels- und Produktionslebens finanziell abzufedern, sind alle Schranken gefallen, Geld ist da für jede Hilfsmaßnahme, und die Schulden stiegen auf lange nicht für möglich gehaltene Höhen. An den Staat werden immer höhere Ansprüche gestellt, und die soziale Marktwirtschaft, die vor allem auf die Eigeninitiative der Bürger und Unternehmen baut, ist in der Defensive.

Die meisten Ökonomen halten diese Ausweitung staatlicher Aktivitäten für richtig, und sie haben angesichts der Dramatik der Krise recht, zumal es sich die Bundesrepublik angesichts für sie niedrigster Zinssätze leisten kann, sich hoch zu verschulden, ohne dass ihre Bonität an den internationalen Finanzmärkten darunter nennenswert leidet. Alles gut also soweit - nur muss die Neuverschuldung nach der Krise zügig wieder zurückgeführt werden, wenn der Staat sich nicht zulasten späterer Generationen strangulieren will.

Ein paar Dinos ermahnen zur Solidität

Einige Spitzenpolitiker früherer Zeiten haben jetzt in einem wuchtigen Aufruf zu weniger Schulden und mehr Solidität in der Finanzpolitik aufgerufen, darunter sind die beiden ehemaligen Kanzlerkandidaten von Union und SPD, Edmund Stoiber und Peer Steinbrück. Es ist bezeichnend, wie wenig diese Argumente der "Dinos" in der aktuellen Politik bisher verfangen. Der Zeitgeist steht ganz offensichtlich auf staatliche Eingriffe und finanzielle Großtaten. Schuldenbremse, was war das noch mal?

Das ist aber immerhin ein Verfassungsgebot, das nur im Moment der Pandemie ausgesetzt ist. Der Moment der Entscheidung wird kommen, und je später er kommt, desto schwerer wird die Abkehr von der Droge "Geld für alles" fallen. Denn erst wenn weniger Geld im Spiel ist, müssen Politiker Mut zeigen und notfalls unpopulär sein. Sie sollten sich dann eher für Investitionen entscheiden, die Wachstum generieren, als für weitere Sozialausgaben, die immer drückender auf den Etats liegen. Sollten lieber Ausgaben kürzen als höhere Steuern einführen, die die Leistungsbereitschaft hindern. Sollten tatsächlich für jedes neue Gesetz ein anderes abschaffen, um nicht noch mehr Bürokratie zu genieren. Das alles ist, zugegeben, einfach gesagt und schwer getan. Es wird den verantwortlichen Politikern keinen Spaß machen und ihnen wenig Sympathie einbringen.

Wer diesen Kurs aber für richtig hält und Zweifel hat, dass die Politik das schafft, der kann immerhin aufs Bundesverfassungsgericht hoffen. Es kann sein, dass die höchsten Richter eines Tages ihre Zurückhaltung in Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik ablegen und mit harter Hand einige Grenzen einziehen. Immerhin haben sie das - für viele ziemlich überraschend - gerade bei der Klimapolitik getan. Haben in dem Beschluss von Ende April den Klimaschutz zu einer Frage der Freiheit kommender Genrationen erklärt hat und dem heutigen Gesetzgeber aufgegeben, härtere Umweltmaßnahmen zu beschließen. Es ist durchaus eine Überlegung wert, ob nicht das vom Verfassungsgericht ausgerufene Ziel der Generationengerechtigkeit auch für die Finanzpolitik gelten muss.

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