Zulieferindustrie:Auf dem Weg zum Elektro-Riesen

Lesezeit: 4 min

Eine Mitarbeiterin von Vitesco prüft eine Komponente. (Foto: Vitesco Technologies)

Als Schaeffler Continental kaperte, tobte eine heftige Schlammschlacht. Die Übernahme von Vitesco scheint nun geräuschlos zu gelingen. Warum?

Von Uwe Ritzer, Nürnberg

Als der Wälzlagerhersteller Schaeffler sich 2008 an die Continental AG anpirschte, um den dreimal so großen Zulieferkonzern zu kapern, war das der Start einer schmutzigen Übernahmeschlacht. "Egoistisch, selbstherrlich und verantwortungslos" handele Schaeffler und rechtswidrig noch dazu, giftete der wenig später abgelöste Conti-Vorstandschef Manfred Wennemer. Die IG Metall brachte sich in Stellung, weil Schaeffler ganz sicher die Mitbestimmung des börsennotierten Dax-Konzerns zerstören und durch die eigene, autokratische Führungsstruktur ersetzen wolle. Schaeffler habe den Milliardendeal finanziell nicht im Kreuz, hieß es aus Finanzkreisen. Am Conti-Sitz Hannover wurde gestreut, Conti solle zerlegt und die Einzelteile lukrativ verkauft werden, mit dem Verlust Tausender Arbeitsplätze als Kollateralschaden. Es gab den Versuch, die Finanzaufsicht auf Schaeffler zu jagen und in Hintergrundgesprächen wurde gestreut, Maria-Elisabeth Schaeffler und ihr Sohn Georg seien größenwahnsinnige Provinzheinis, die nicht wüssten, auf was sie sich da einlassen. Umgekehrt drohten ihre Manager, Conti zur Not auch feindlich zu übernehmen, was das vergiftete Klima weiter anheizte.

15 Jahre später haben sich die Unternehmer aus Herzogenaurach bei Nürnberg abermals an einen Konzern angeschlichen und ihn mit einem Übernahmeplan überrumpelt. Doch dieses Mal herrscht Ruhe. Was vor allem daran liegen dürfte, dass Vitesco Technologies, das Objekt Schaefflerscher Begierde, ohnehin schon zu 49 Prozent der Familie gehört. Am 9. Oktober kündigte deren Vertrauter und Vorstandschef Klaus Rosenfeld die geplante Verschmelzung beider Firmen an. Ziel sei, einen Zulieferriesen für E-Mobilität mit 120 000 Beschäftigten, 25 Milliarden Euro Umsatz und mehr als 100 Fabriken zu schaffen, um in der Weltliga mitzuspielen. Niemand geriet darüber in Schnappatmung wie weiland bei Continental. Vielmehr deutet drei Wochen später alles darauf hin, dass der Deal locker über die Bühne gehen wird.

Allein schon, weil weder von der Gewerkschaft IG Metall, noch von den Betriebsräten beider Unternehmen Ärger droht. Gewiss, sie wollen Standorte und Arbeitsplätze gewährleistet wissen. Die Arbeitnehmervertreter bei Vitesco wünschen sich überdies, dass ihnen jemand erklärt, wie die von Rosenfeld prognostizierten 600 Millionen Euro Ergebnisverbesserung durch die Fusion zustandekommen sollen, "ohne, dass dies zu Lasten deutscher Standorte geht".

Die industrielle Logik jedoch, nämlich die mechanischen Kompetenzen und ersten größeren Projekte in Sachen E-Mobilität von Schaeffler mit den Kompetenzen von Vitesco in Sachen elektronische Antriebstechnologie zu kombinieren und in gemeinsame Komponenten und Systeme für Automobilwirtschaft und Industrie fließen zu lassen, stellt niemand in Frage.

Nicht einmal Stilfragen werden thematisiert. Dass Schaeffler sich heimlich an Vitesco angeschlichen hat, wird am Konzernsitz in Regensburg nicht als feindlicher Akt angesehen. "Natürlich" hätte er sich "eine frühere Einbindung gewünscht", sagte Vitesco-Chef Andreas Wolf der FAZ. "Aber es ist ja jetzt keine feindliche Übernahme durch unseren Großaktionär geplant." Schaeffler habe eben das Risiko abgewogen, "dass die Pläne durch ein Leak vorab bekannt werden. Und dieses Risiko wurde offenbar größer eingeschätzt." Dass der Vitesco-Vorstand das Übernahmeangebot von einem Sonderausschuss des Aufsichtsrats prüfen lässt, ist nicht als Akt der Gegenwehr zu verstehen, sondern rechtlichen Gegebenheiten geschuldet. Wolf: "Der Vorstand prüft das Angebot, ob es im Interesse aller Stakeholder ist, und der Aufsichtsrat ist parallel dazu verpflichtet, seine Meinung dazu zu bilden." Darüber vor allem, ob die von Schaeffler gebotenen 91 Euro pro Vitesco-Aktie - ein Aufschlag von 20 Prozent zum Durchschnittskurs der drei Monate zuvor - werthaltig genug seien für die Aktionäre.

Ein bisschen Poker werde es da vielleicht noch geben, sagen in den Deal involvierte Kreise. Die Vitesco-Aktionäre David Einhorn und Harris Associates signalisierten bereits, dass sie gerne mehr hätten als 91 Euro. Dass die Übernahme am Geld scheitert, oder sich auch nur gravierend verzögert, ist aber unwahrscheinlich. Auch vom Kartellamt droht kein Veto. Ausschlaggebend ist aber vor allem die Familie Schaeffler als größte Aktionärin der einen Firma (Vitesco) und Mehrheitsaktionärin der anderen (Schaeffler). "Georg Schaeffler hat im Tandem mit Rosenfeld den Deal sehr gut vorbereitet", sagt ein Insider. "Dass die Schaefflers den Zusammenschluss wollen, ist das gewichtigste Argument, an dem am Ende keiner vorbeikommt."

Am 15. November wird Schaeffler das offizielle Übernahmeangebot veröffentlichen. Dann haben die Vitesco-Aktionäre vier Wochen Zeit, ihre Papiere zum Preis von 91 Euro zu verkaufen. Oder aber, sie verzichten auf den damit verbundenen Aufschlag und werden so Aktionäre des neuen Unternehmens. Die Firma Schaeffler will sich ihrerseits bei einer außerordentlichen Hauptversammlung Mitte Februar für den Kapitalmarkt hübscher machen. Bislang wird nur ein Viertel des Unternehmens an der Börse gehandelt, ausschließlich in Form von nicht-stimmberechtigten Vorzugsaktien. Das schränkt den Einfluss von Investoren fast auf null ein, was ein wesentlicher Grund dafür ist, dass die Firma alles andere als ein Börsenliebling ist.

Experten halten Schaeffler für unterbewertet. Beim Börsengang 2015 mit einem Stückpreis von 12,50 Euro gestartet, dümpelte die Schaeffler-Aktie in der vergangenen Woche bei fünf Euro, nicht einmal ein Drittel des Allzeithochs von 16,53 Euro am 19. Januar 2018. Die Anteilsscheine nun in stimmberechtigte Vorzugsaktien umzuwandeln, soll Schaeffler für Investoren attraktiver machen. Gleichzeitig soll dadurch die Verschmelzung mit Vitesco börsentechnisch einfacher werden.

In Sachen Vitesco sollen nach dem Willen im Hause Schaeffler die Hauptversammlungen beider Unternehmen im Frühjahr 2024 den Weg freimachen. Bis zum Jahresende sollen beide Firmen dann verschmolzen werden. Für Schaeffler würde sich dann ein Kreis zur hart umkämpften Continental-Übernahme von 2008 schließen. Denn was sich heute Vitesco Technologies nennt, war bekanntlich bis Herbst 2019 als Continental Powertrain Teil des Konzerns. Entsprechend ihrem Anteil an Conti fiel der Familie Schaeffler auch bei der Ausgründung der Antriebssparte als Vitesco knapp die Hälfte der Aktien dort zu. Was vor 15 Jahren zwar erklärtes Schaeffler-Ziel war, seither aber nicht gelang, dürfte nun eine Nummer kleiner funktionieren: Zwei Unternehmen bündeln ihre Kompetenzen in der Erwartung, gemeinsam erfolgreicher zu sein.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusTwitter-Kauf
:Wie Elon Musk 28 Milliarden Dollar vernichtet hat

Vor einem Jahr hat der reichste Mensch der Welt Twitter gekauft. Bislang ist der Deal ein miserables Geschäft - für alle Beteiligten.

Von Max Muth

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: