Nach Kündigungen:Was ist los bei SAP?

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Bill McDermott steht seit 2010 an der Spitze von SAP, seit einem Unfall trägt er in der Öffentlichkeit eine getönte Brille. (Foto: Uwe Anspach/dpa)
  • Bei SAP herrscht Unruhe: Drei hochrangige Manager haben gekündigt und viele der 96 000 Mitarbeiter fragen sich: Wurden sie vergrault?
  • Gleichzeitig soll der ehrgeizige SAP-Chef Bill McDermott seine Mitarbeiter unter enormen Erfolgsdruck setzen.
  • Das Unternehmen und der Chef selbst weisen die Vorwürfe zurück: "Es gibt und gab keine Probleme im Vorstand."

Von Stefan Mayr, Stuttgart

In der Zentrale des Softwareherstellers SAP in Walldorf gibt es viele Obstschalen voller Äpfel. Als kostenlose Aufmerksamkeit und gesunder Imbiss für zwischendurch. Der Clou: Jeden Apfel ziert das SAP-Logo. Nicht einfach aufgeklebt, sondern quasi in die Schale eingebracht. Mit roten, essbaren Buchstaben auf gelbem, essbarem Hintergrund will das Management seinen Mitarbeitern zeigen, dass es für sie weder Mühen noch Kosten scheut. Aber zuletzt sind in den Chefetagen noch viel exotischere Früchte aufgetaucht, die weniger Freude auslösen: Wassermelonen.

"Es gab Watermelon-Reporting", behauptet eine Führungskraft, die namentlich nicht genannt werden will. "Außen grün und innen knallrot." Soll heißen: Es sollen Projektfortschritte falsch nach oben berichtet worden sein. Zahlen, die die Realität nicht korrekt widergespiegelt hätten. Grund dafür sei angeblich der große Erfolgsdruck, den der Vorstandsvorsitzende Bill McDermott ausübt. "Die Manager sind in einer Dilemma-Situation", sagt die Führungskraft, "entweder sie schmeißen hin, oder sie liefern die geforderten Zahlen, die eigentlich unerreichbar sind." Schwere Vorwürfe, die zur jüngsten Fluktuation passen: Seit Februar haben die zwei Vorstände Bernd Leukert und Robert Enslin das Unternehmen verlassen, zudem ging Top-Manager Björn Goerke. Diese Abgänge lösten Unruhe aus im wertvollsten börsennotierten Unternehmen Deutschlands. Viele der 96 000 Mitarbeiter fragen sich: Wurden die Manager vergrault? Führt der exzentrische Chef aus den USA SAP in die richtige Richtung?

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Die Meinungen hierzu gehen auseinander. Der Aktienkurs gab nach dem Abschied des dritten Top-Mannes nur kurz nach. Danach schnellte er, befeuert von den jüngsten Quartalszahlen, sogar auf den Rekordwert von 117 Euro hoch. Doch im Inneren des Unternehmens aus dem badischen Städtchen Walldorf ist die Stimmung weniger euphorisch. "Das ist Fehlsteuerung durch Management", sagt der SAP-Mitarbeiter, der bei vielen wichtigen Besprechungen am Tisch sitzt. "Wenn jemand so unter Druck gesetzt wird, dass er falsche Zahlen berichtet, dann ist da auch der Chef mitschuld." Bill McDermott spreche zwar immer von seinem "Team", aber wenn ein Mitglied dieses Teams die anderen nicht ehrlich informiert, dann sei das eben kein gutes Team mehr und der oberste Chef hierfür verantwortlich. McDermott schaue "viel zu sehr auf Leistungskennzahlen" und verliere "das Große und Ganze aus dem Blick". Nicht mehr die Kunden seien das Wichtigste, sondern die Gewinne, kritisiert der Mitarbeiter.

Auch das SAP-Fachmagazin E3 sieht die jüngsten Abgänge, die jeweils sehr kurzfristig kamen, kritisch. "Die jahrelange Personalplanung bei SAP implodiert", schreibt das Blatt. Überhaupt habe McDermott das Unternehmen auf einen gefährlichen Pfad geführt: "Bill McDermott verabschiedet sich von der SAP'schen Ingenieurskunst, was fatale Folgen hat." Statt die Produkte selbst entwickeln zu lassen, habe der Chef etliche Unternehmen und deren Programme zugekauft. Diese seien aber "erst rudimentär mit dem SAP-Kernsystem synchronisiert". E3 sschreibt von einem "Integrationsmanko" und mutmaßt, es gebe "Leichen im SAP-Keller", die vor allem an SAP-Mitgründer und Aufsichtsratschef Hasso Plattner nicht "ausgeplaudert" werden dürften.

Mit den Abgängen sei aber nur "die kurzfristige Gefahr gebannt", dass Plattner erfährt, "dass die von McDermott zusammengekauften Cloud-Lösungen nicht wirklich harmonieren wollen und dass die Orchestrierung noch Jahre dauern kann." Jahre, in denen die Wettbewerber Salesforce, Microsoft und IBM "uneinholbar entfliehen" könnten. Wie der sieben Milliarden Euro teure Zukauf Qualtrics "jemals" in die SAP-Software integriert werden soll, sei für die "allermeisten" SAP-Experten "ein ganz großes Walldorfrätsel". Nicht alle von ihnen hätten dem Vorgänger Leukert diesen schweren Job zugetraut, schreibt das Magazin. Und: "Ob es sein Nachfolger Jürgen Müller schaffen wird, ist noch lange nicht entschieden."

McDermott weist alle Vorwürfe zurück: "Es gibt und gab keine Probleme im Vorstand"

Das Unternehmen und Bill McDermott weisen die Vorwürfe zurück. "Es gibt und gab keine Probleme im Vorstand", betont McDermott. Wenn zwei Vorstände, "die zusammen 50 Jahre für SAP gearbeitet haben, nach langer Zeit etwas neues planen, dann ist das völlig normal." Überhaupt steige die operative Marge, SAP sei "stärker als je zuvor". Ein Sprecher bezeichnet den Vorwurf des fehlerhaften Reportings als "reine Spekulation" und die Kritik des E3-Magazins als falsch. Seit März laufe die erste Lösung auf der SAP-Datenplattform. Im zweiten Quartal "werden weitere folgen". Das Unternehmen prüfe "das richtige Timing für den Umstieg auf die SAP-Datenbank kontinuierlich".

Ist die Integration der Zukäufe also nur eine Frage des Zeitplans? Oder gibt es doch echte Probleme? Marco Lenck, Sprecher aller deutschsprachigen SAP-Anwender, bestätigt "gewisse Integrationsschwierigkeiten". Diese seien zwar "im Rahmen des Üblichen", aber aus Kundensicht "nicht zufriedenstellend". Das habe sein Verein Deutschsprachige SAP-Anwendergruppe (DSAG) der Firma auch mitgeteilt. Die DSAG vertritt nach eigenen Angaben etwa 60 000 Mitglieder und 3500 Unternehmen, dazu gehörten "fast alle" Dax-Unternehmen.

Neben den drei Spitzen-Managern sollen in den kommenden Monaten auch etwa 4400 weitere Mitarbeiter SAP verlassen. Das Unternehmen bietet großzügige Vorruhestandsregelungen oder Abfindungen, hierfür steht fast eine Milliarde Euro bereit. McDermott will damit das Personal verjüngen und auf die Produkte der Zukunft zuschneiden. Auch dieses Programm löst bei Personal und Kunden Unruhe aus. "Viele Know-how-Träger verlassen SAP", sagt DSAG-Chef Lenck. Dieser Prozess dürfe "nicht zu umfangreich" werden. Noch sei die DSAG "nicht besorgt", aber Lenck fordert: "Wir brauchen auch weiterhin versierte Ansprechpartner für SAP-Kunden, wenn es um die Bestandsprodukte geht."

Die ausgeschiedenen Vorstände Bernd Leukert und Robert Enslin äußern sich zu den Gründen ihres Abschieds nicht. "Bitte haben Sie Verständnis, dass ich mich nicht über mein Ausscheiden aus dem SAP-Vorstand äußere", teilt Leukert mit. Enslin hinterließ auf der Internet-Plattform Linkedin immerhin einen Lobgesang auf SAP: "Ich werde für immer einer der leidenschaftlichsten und lautesten Unterstützer von SAP bleiben." SAP-Boss McDermott selbst deutete in einer Rundmail an alle Mitarbeiter an, Enslin habe einfach eine neue Herausforderung gesucht. Tatsächlich wechselte Enslin zu Google Cloud, dort ist er als Präsident des Bereichs "Global Customer Operations" tätig.

Um Missverständnisse auszuschließen, wurde in diesem Artikel eine Formulierung geändert: Die Führungskraft, die nicht genannt werden will, kritisiert, dass "Projektfortschritte" falsch nach oben berichtet wurden. Vorher stand an dieser Stelle, es seien "falsche Zahlen" berichtet worden. Dies könnte so interpretiert werden, dass bei SAP die veröffentlichten Finanzzahlen falsch sind. Diesen Vorwurf wollte die SZ aber nicht erheben. Wir bitten, diese Ungenauigkeit zu entschuldigen.

© SZ vom 02.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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