NGOs:Ohnmächtige Helfer gegen böse Konzerne?

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NGOs können Menschen zuweilen für komplizierte Themen interessieren und mobilisieren - wie zuletzt für die Freihandelsabkommen TTIP und Ceta. (Foto: AFP)

Dieses Image trifft nicht immer zu. Aktivisten haben sich einen Platz in Politik und Wirtschaft erkämpft - zum Ärger mancher Kritiker, die NGOs am liebsten verbieten würden.

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Für die Aktivisten hätte es eigentlich kaum besser laufen können. Da gibt die deutsche Organisation Facing Finance einen Bericht heraus, in dem sie schwere Vorwürfe gegen das Schweizer Rohstoffunternehmen Glencore erhebt. Darin ist die Rede von Umweltzerstörung, Menschenrechtsverletzungen, Gesundheitsgefährdung, Korruption und Steuervermeidung. Starker Tobak also.

Glencore droht umgehend mit horrenden Schadenersatzforderungen, sollten die Vorwürfe nicht zurückgezogen werden. Die Aktivisten geben klein bei - vergessen aber nicht, dies öffentlich zu machen und die Medien einzuschalten. Schon ist die Welt um eine neue "David gegen Goliath"-Geschichte reicher.

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Und wieder einmal wird ein altbekanntes Klischee bedient: das von den ohnmächtigen Helfern und den bösen Konzernen. Doch stimmt dieses Bild wirklich noch? - Wohl eher nicht. Denn die wenig bekannte Menschenrechtsorganisation hat so binnen weniger Tage einen Bekanntheitsgrad erreicht, der weit über die Landesgrenzen hinausreicht.

Ein Effekt, der mit klassischer Werbung so nie erreichbar wäre.

Darüber, ob die Aktivisten diesen Effekt geschickt einkalkuliert haben, lässt sich nur spekulieren. Wie auch darüber, warum der größte Rohstoffhändler der Welt mit gut 170 Milliarden Dollar Jahresumsatz sich mit dieser Drohung eine solche Blöße gibt. Schließlich stört sich der Konzern sonst auch nicht an seinem schlechten Ruf. Eines zeigt die Sache jedoch deutlich, dass sich selbst mit kleinen Aktionen große Aufmerksamkeit erzielen lässt, ohne eine teure Kampagne.

NGOs entstehen, wo die Politik Menschen bevormundet

Doch was macht eine NGO eigentlich genau aus? Die meisten Menschen haben nur eine ungefähre Vorstellung. Sie verstehen darunter Umwelt- und Tierschützer, Menschenrechtler oder Hilfsorganisationen, die den Hunger bekämpfen. Das Kürzel NGO ist die englische Abkürzung für non-governmental organization. Die deutsche Übersetzung Nichtregierungsorganisation klingt nicht weniger sperrig.

Die Weltbank legt den Begriff sehr weitläufig aus. Sie versteht darunter Organisationen, "die durch ihre Aktivitäten versuchen, Leid zu mindern, die Interessen der Armen in der Öffentlichkeit zu vertreten, die Umwelt zu schützen, grundlegende soziale Dienste zu leisten oder Aktionen für Entwicklungsvorhaben zu initiieren". Die EU wählt dagegen den Non-Profit-Ansatz, der besagt, dass im Zentrum der Aktivitäten nicht wirtschaftliche Gewinnziele stehen dürfen.

Tatsächlich sind NGOs längst zu wichtigen Meinungsmachern und Interessenvertretern geworden, national und global. Sie nehmen Einfluss auf Wirtschaft und Politik. Und das ist gut so. NGOs übernehmen damit eine wichtige Aufgabe in einer offenen demokratischen Gesellschaft. Großen Erfolg haben sie vor allem dort, wo die Politik Lücken lässt. Die entstehen dann, wenn sich Menschen durch ihre gewählten Interessenvertreter nicht ernstgenommen oder gar bevormundet fühlen.

Ein Beispiel dafür ist der Widerstand gegen die Freihandelsabkommen TTIP und Ceta. Selten war ein Protest so gut organisiert. Mehr als 500 Organisationen haben sich europaweit in der Bürgerinitiative "Stopp TTIP" zusammengeschlossen. Der Fall zeigt, welchen Einfluss NGOs gewinnen können, wenn sie sich zusammenschließen. Aber egal, ob man nun für oder gegen solche Verträge ist, ein Gutes hatte die Sache für beide Seiten. Die EU-Kommission hat aufgrund des wachsenden Drucks für mehr Transparenz gesorgt und einen längst fälligen Dialog gestartet. Sie hat sich darum bemüht, zu erklären, warum sie solche Freihandelsverträge für wichtig hält. Ein Verdienst, der auch auf das Konto der Aktivisten geht.

Die Aufstieg der NGOs geht einher mit einer durchaus bedenklichen Entwicklung. Es zeigt sich immer deutlicher, dass das Vertrauen vieler Bürger in die Politik schwindet. Entscheidungen werden heute viel kritischer hinterfragt oder gar abgelehnt, als in der Zeit vor dem Internet. Jeder kann sich inzwischen rund um die Uhr im Netz informieren, wenn er will. Er muss dafür keine Zeitung lesen und auch nicht fernsehen. Doch nicht alles, was im Netz steht, ist sachlich korrekt.

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Kritiker werfen Aktivisten oft vor, sie würden in der Sache nicht genug differenzieren und falsche Behauptungen in die Welt setzen, um irrationale Ängste zu schüren. Wie die, dass Europäer unter TTIP amerikanische Chlorhühnchen essen müssten. Ein Einwand, der in diesem Fall absolut berechtigt ist.

Tatsache ist aber auch, dass dies kein Phänomen ist, das sich allein auf NGO-Vertreter beschränkt. Auch Politiker und Wirtschaftsbosse setzen auf griffige und verkürzte Parolen, wenn es opportun erscheint. Die oft wiederholte Aussage etwa, dass Freihandel per se gut für Europa sei und damit auch TTIP, lässt wenig Raum für eine differenzierte Betrachtungsweise. Tatsächlich gibt es gute Gründe, gegen TTIP zu sein und Freihandel trotzdem für eine gute Sache zu halten.

Dank der NGOs interessieren sich Bürger für Freihandel

Dass sich einmal so viele Menschen für ein so dröges und kompliziertes Thema wie Freihandelsverträge interessieren, schien vor einigen Jahren noch undenkbar. Es lässt sich nicht wegdiskutieren, dass NGOs einen wesentlichen Beitrag zur Meinungsvielfalt leisten. Sie sind ein Ventil für all diejenigen, die zwar wählen gehen, sich aber trotzdem oft von der Politik abgehängt fühlen, wenn es um wichtige Entscheidungen geht.

So gesehen hat sich durch die außerparteilichen Organisationen eine Form von demokratischer Mitsprache entwickelt, die so neu gar nicht ist. Schon die alten Griechen versammelten sich regelmäßig auf ihren Plätzen, um öffentlich über politische Entscheidungen zu diskutieren. Jeder konnte sich so unmittelbar Gehör verschaffen. Diese Veranstaltungen waren nichts für Zartbesaitete.

Unterschriftenlisten oder Protestaufrufe erfüllen heute einen ähnlichen Zweck. Selbst eingefleischte CDU- und SPD-Wähler haben auf Stopp-TTIP-Listen unterschrieben, obwohl ihre Parteien das Abkommen grundsätzlich befürworten - eine Möglichkeit, der Stammpartei zumindest einen Denkzettel zu verpassen, ohne gleich die Gesinnung wechseln zu müssen.

Die Windungen des früheren Bundeswirtschaftsministers Sigmar Gabriel bei Ceta, dem Abkommen mit Kanada, machen deutlich, dass sich selbst große Parteien wie die SPD dem Druck von Wählern und NGOs nicht entziehen können. Aus der klaren Zustimmung Grabriels zu Ceta entwickelte sich im Laufe der Zeit ein Ja mit großem Aber.

Je mehr Einfluss unabhängige Organisationen auf Politik und Wirtschaft gewinnen, desto lauter werden aber auch die Stimmen ihrer Kritiker. Immer wieder taucht die Frage nach der demokratischen Legitimierung auf. Richtig ist, dass Regierungen sich darauf berufen können, von einer Mehrheit des Volkes gewählt zu sein. Für NGOs gilt das nicht. Trotzdem verfügen auch sie über eine Berechtigung, getragen durch die Mitglieder ihrer Organisationen und all jene, die ihre Protestaufrufe unterzeichnen. Die Forderung, NGOs zu reglementieren, ist durchaus berechtigt. Zum Beispiel wenn es um Transparenz geht, die Aktivisten gern von Unternehmen einfordern. Dabei werden strenge Kriterien angelegt, die so manche Organisation selbst nicht erfüllen kann.

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Eine NGO, die diese Problemzone nicht im Griff hat, darf sich nicht wundern, wenn sie mit ihren eigenen Argumenten konfrontiert und geschlagen wird. Die Finanzen von Nichtregierungsorganisationen müssen klar und detailliert offengelegt werden. Auch um zu verhindern, dass sie unter den Einfluss von Geldgebern aus Wirtschaft oder Politik geraten und versteckt deren Interessen verfolgen. Transparenzregister, wie sie die EU führt, sind dabei eine Hilfe. Organisationen können sich dort auf freiwilliger Basis eintragen lassen, noch besser wäre allerdings ein Pflichtregister einzuführen, nicht nur für NGOs, sondern für alle Lobbyverbände und deren Vertreter. Vorstöße in dieser Richtung sind immer wieder auch am Widerstand Deutschlands gescheitert.

Was fehlt, ist ein Pflichtregister für alle Organisationen

Weil sie unbequem sind und zu einem Problem für die Regierenden werden können, müssen NGOs weltweit damit rechnen, verboten oder unter strenge Kontrolle gestellt zu werden, wie zum Beispiel in der Türkei oder in Russland. Aber selbst die EU ist da keine Ausnahme, wie etwa der Fall Ungarn zeigt. Konservative EU-Abgeordnete aus Deutschland und Österreich drängen die Kommission dazu, kritischen Organisationen den Geldhahn zuzudrehen. Etwa dann, wenn sie wie bei TTIP und Ceta gegen die Interessen Brüssels agieren. Derlei Forderungen sind freilich absurd. Wer braucht schon Aktivisten, die EU-Kommissaren nach dem Mund reden?

Eine funktionierende Demokratie kann und muss aushalten, dass NGOs sich einmischen und widersprechen. Sie sind eine Bereicherung und Zeichen für Pluralität und Meinungsfreiheit in einer aufgeklärten Gesellschaft. Aktivisten sind die Lobbyvertreter vieler Bürger, die sonst keine andere Möglichkeit haben, sich Gehör zu verschaffen. Zugleich bilden sie ein wichtiges Gleichgewicht zu den Lobbyisten aus Industrie und Wirtschaft, die in Politzentren wie Brüssel ohnehin in der Überzahl und finanziell viel schlagkräftiger aufgestellt sind.

Neue Taktik: Gegner zu Verbündeten machen

Das Beispiel der Menschenrechtsaktivisten, die sich mit dem Rohstoffkonzern Glencore angelegt haben, macht deutlich, dass klein nicht zwangsläufig ohnmächtig bedeutet. Die meisten Konzerne würden heute vermutlich ganz anders reagieren, als Glencore dies getan hat. Denn die Zeiten, in denen NGOs als Feind betrachtet werden, sind in vielen Unternehmen passé.

Diese Abwehrhaltung ist der Erkenntnis gewichen, dass es besser ist, den vermeintlichen Gegner zum Verbündeten zu machen. Etwa wenn es darum geht, Lieferketten in der Textilindustrie transparenter zu machen und Arbeitsbedingungen in Herstellerländern wie Bangladesch zu verbessern, um nur ein Beispiel zu nennen. Das heißt nicht, dass damit alle Probleme auf einen Schlag gelöst wären. Doch Kooperationen mit NGOs können dabei helfen, Lösungen zu finden, auch im Sinne derjenigen, die sonst keine Fürsprecher haben.

© SZ vom 10.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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