Ein Meisterstück ist das nicht, was EU-Verbraucherkommissar Tonio Borg da am Montag vorgelegt hat. Seit Monaten wird über die Saatgut-Verordnung gestritten. Nun liegt der Entwurf auf dem Tisch - und er bestätigt die Befürchtung vieler Kritiker. Entgegen dem Versprechen der EU-Kommission, die Artenvielfalt auf den Äckern und in den Gärten zu fördern, geschieht nun das Gegenteil.
Zwar wird der Anbau in Privatgärten nicht direkt einschränken, wie von Hobbygärtnern befürchtet, dafür aber auf dem Umweg über den Handel. Zudem werden die Hürden für die Zulassung von kommerziell genutzten Pflanzensorten so hoch gesetzt, dass sie eigentlich nur noch von Großkonzernen wie Monsanto, Syngenta, Bayer Cropscience oder der deutschen KWS genommen werden können.
So kann etwa das Zulassungsverfahren für eine einzige Weizen- oder Tomatensorte den Züchter künftig bis zu 12.000 Euro kosten. Viele kleinere Saatguthersteller können sich das nicht leisten. "Sie werden mit Hilfe der EU-Verordnung schlicht aus dem Markt gedrängt. Damit fördert die Kommission eine Monopolisierung des Saatgutmarktes", sagt Martin Häusling, Agrarexperte der Grünen im EU-Parlament.
"Schlaue Regeln für sichere Nahrung"
EU-Kommissar Borg weist die Kritik zurück. Die nun vorgelegten Saatgutregeln bezeichnet er als "smart rules for safer food" - schlaue Regeln für sichere Nahrung. Ziel sei es unter anderem, Pflanzensorten auf dem Markt zuzulassen, die besonders resistent gegen Krankheiten und Schädlinge seien. Tatsächlich dürften die neuen Regeln aber vor allem der Agroindustrie helfen. Schon jetzt kontrollieren Monsanto und Co. mehr als die Hälfte des europäischen Saatgutmarktes, der laut EU-Kommissar Borg ein Volumen von 205 Milliarden Euro pro Jahr hat.
Der Marktanteil kleiner Hersteller schrumpft dagegen seit Jahren. Viele geben einfach auf oder werden von den Großen aufgekauft. Zwar soll es für die kleinen nun eine Ausnahmeregelung geben. Allerdings dürften sie ihre Pflanzensorten dann nicht mehr im kommerziellen Bereich, also in der Landwirtschaft oder im Gemüseanbau verkaufen, sondern zum Beispiel nur noch an Hobbygärtner, sagt Häusling.
Als kleine Betriebe gelten laut EU-Verordnung Firmen mit maximal zehn Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von zwei Millionen Euro. "Das ist eine völlig willkürlich angesetzte Größe, für die es keine plausible Rechtfertigung gibt", moniert Häusling.
Für Landwirte und Gemüsebauern bedeuten die neue EU-Regeln, dass Saatgut unter dem Strich teurer wird. Denn die Hersteller werden die hohen Zulassungskosten weiterreichen. Bei Massenware wie Weizen fallen die zwar nur geringfügig ins Gewicht, bei Gemüsepflanzen, die nicht großflächig angebaut werden, dafür umso stärker. Zahlen werden die Zeche am Ende die Verbraucher, die auf dem Markt oder im Supermarkt mehr Geld, etwa für frisches Gemüse, ausgeben müssen.
Auch für Hobbygärtner bedeutet Borgs Vorschlag nichts Gutes. Zwar ist von einem Anbauverbot nicht zugelassener Pflanzensorten in Privatgärten nicht mehr die Rede. Doch für sie dürfte es in Zukunft schwieriger werden, an alte und rare Pflanzensorten heranzukommen. Die meisten Kleingärtner kaufen ihr Saatgut in Gartenmärkten oder im Fachhandel. Aber auch der darf nur Samen für den privaten Gebrauch verkaufen, die ein teures Zulassungsverfahren hinter sich haben.
Die Vorlage von Borg bedeutet deshalb auch eine Einschränkung der Artenvielfalt und höhere Kosten für Hobbygärtner über den Handel, der ebenfalls von den großen Herstellern dominiert wird. Und die bringen seit Jahren immer mehr Hybrid-Sorten auf den Markt, die sich nicht weitervermehren lassen. Für Kleingärtner bedeutet das, sie müssen jedes Jahr neue Samen kaufen - auch das kurbelt den Umsatz der Agrarkonzerne an.
"Das Saatgutrecht in Europa ist und bleibt eine Erfolgsgeschichte"
Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) ist ebenfalls nicht zufrieden mit Borgs Vorschlägen. Sie lobt zwar, dass das Anbauverbot für Kleingärtner vom Tisch ist. Doch sie sieht den Bestand alter Sorten durch die Vorlage gefährdet.
"Aus deutscher Sicht ist es besonders wichtig, den bereits in den EU-Mitgliedstaaten eingeführten vereinfachten Marktzugang für Saat- und Vermehrungsgut alter landwirtschaftlicher Sorten wie auch von Obst und Gemüse weiter zu entbürokratisieren", sagt Aigner. "Wir müssen alte Sorten erhalten und die biologische Vielfalt schützen." Dafür wolle sie sich in den Verhandlungen mit den anderen Mitgliedstaaten und dem EU-Parlament einsetzen.
Der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter, der von großen Agrokonzernen dominiert wird, begrüßt Borgs Vorschlag. "Das Saatgutrecht in Europa ist und bleibt eine Erfolgsgeschichte", kommentiert Dr. Carl-Stephan Schäfer, Geschäftsführer des BDP, den Kommissionsvorschlag. Schäfer stellte klar, dass im Grundsatz wie bisher nur staatlich geprüfte Sorten und staatlich geprüftes Saatgut verkauft werden dürfe. Er sieht darin einen wichtigen Beitrag für den Verbraucherschutz.
"Würde es das Saatgutrecht nicht geben, müsste es gerade heutzutage erfunden werden", sagt er weiter. Saatgutregeln gibt es in der EU schon seit den 1960er Jahren. Ziel der jetzigen Reform ist es laut EU-Kommissar Borg, den Markt weiter zu harmonisieren. Für Häusling von den Grünen ist dieser Ansatz schwer nachvollziehbar. "Wenn ein Bauer in Rumänien mit dem gleichen Weizensaatgut arbeiten soll, wie sein Kollege Finnland, ist das nicht unbedingt sinnvoll. Allein die klimatischen Bedingungen sind völlig unterschiedlich."