Rainer Brüderle:"Mir fehlt Solidarität der Manager mit Mitarbeitern"

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Kann Opel überleben? Rainer Brüderle über die Forderungen von GM - und die Beschimpfungen von Ex-Kanzler Helmut Schmidt.

T. Öchsner u. M. Bauchmüller

Wenn Wirtschaftsminister Rainer Brüderle, 64, über Deutschland spricht, ist alles groß und gewichtig: Erfinder, die mit Dünger die Landwirtschaft revolutionieren; Philharmoniker, die im Flug japanische Herzen erobern; Städte mit jahrtausendealter Geschichte. Spricht Brüderle über deutsche Politik, liegen die Dinge anders. Dann beklagt er Strategien, die zu wenig langfristig ausgelegt sind, eine Koalition, die sich im Streit profiliert, bei Steuern, Kernkraft, Wachstumspaket. "Wir müssen lernen, gemeinsam eine Melodie in derselben Tonart zu singen", sagt Brüderle.

Rainer Brüderle: "Herr Rüttgers ist volljährig und muss wissen, was er macht." (Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Brüderle, Ihr erstes Auto war ein Opel-Kadett.

Brüderle: Der war von meinem Vater.

SZ: Und heute?

Brüderle: Fahre ich einen Mercedes.

SZ: Sie würden sich auch keinen Opel kaufen?

Brüderle: Das würde ich so nicht sagen. Ich könnte mir zum Beispiel einen Opel Corsa als Zweitwagen gut vorstellen, weil sich mit dem in der Stadt prima parken lässt. An meiner Nachfrage liegt es jedenfalls nicht, dass Opel Probleme hat.

SZ: Aber Sie sollen die Probleme lösen helfen. Der Opel-Mutterkonzern General Motors (GM) will viel Geld für die Opel-Sanierung von Bund und Ländern, 1,5 Milliarden Euro. Steigen Sie ein?

Brüderle: Bevor wir das Sanierungskonzept und den Finanzierungsplan von GM bewerten, ist die Europäische Kommission am Zug. Ich habe den neuen Vizepräsidenten der Europäischen Kommission, Joaquin Almunia, gebeten, kritisch zu untersuchen, ob das Unternehmenskonzept tragfähig ist und ob Wettbewerbsverzerrungen in Europa ausgeschlossen werden können.

SZ: Heißt das, die Bundesregierung hat gar nichts zu sagen?

Brüderle: Das heißt, dass zuerst Brüssel Stellung nimmt. Darauf haben wir uns Anfang Dezember mit der Kommission und allen anderen europäischen Mitgliedsstaaten geeinigt.

SZ: Können Sie sich dieses Prozedere nicht gleich sparen? GM will Mittel aus dem Deutschland-Fonds. Der aber schließt staatliche Kredite oder Bürgschaften ausdrücklich aus für Firmen, die schon vor der Krise in einer Schieflage waren. Genau das ist bei Opel der Fall.

Brüderle: GM hat wie jedes andere Unternehmen auch das Recht, einen Antrag auf Staatshilfe zu stellen. Wir haben die Pflicht, jeden Antrag sorgfältig nach den für alle geltenden objektiven Kriterien zu prüfen. Ein juristischer Anspruch auf Förderung besteht nicht.

SZ: Sie waren beim Thema Steuergeld für Opel immer sehr zurückhaltend. Im Landtags-Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen könnte das riskant werden. Da stellt sich Ministerpräsident Jürgen Rüttgers von der Union womöglich bald vor die Werkstore in Bochum, um als Arbeiterführer Wählerstimmen zu angeln.

Brüderle: Herr Rüttgers ist volljährig und muss wissen, was er macht.

SZ: Und was sagen Sie dazu, dass die Opel-Manager 2010 wieder auf Bonus-Zahlungen hoffen können?

Brüderle: Ich hätte mir da etwas mehr Fingerspitzengefühl gewünscht. Da fehlt mir die Solidarität der Manager mit den Mitarbeitern, die ja für die Sanierung auf viel Geld verzichten sollen. Da verhält sich die IG Metall derzeit klüger, denn sie geht ohne konkrete Lohnforderungen in die Tarifrunde. Das ist vorbildlich. Das wichtigste ist es jetzt, Arbeitsplätze zu erhalten. Und nebenbei bemerkt: Diese Strategie ist auch deshalb möglich, weil die Regierung die Bürger steuerlich entlastet, damit sie mehr Netto vom Brutto haben.

SZ: Davon redet aber kaum einer. Stattdessen schimpfen die Leute über die Milliarde, die die Koalition den Hoteliers geschenkt hat.

Brüderle: Ich halte diese Entscheidung im Kern für richtig, weil sie hilft, Verzerrungen im internationalen Wettbewerb abzubauen. Wir haben in 22 Staaten in Europa reduzierte Steuersätze. Die Franzosen haben beispielsweise 5,5 Prozent, die Belgier 6,0 und die Schweizer 3,6. Ich kann schon verstehen, dass die Mehrwertsteuersenkung im Hotelbereich der CSU besonders wichtig war, denn die Bayern mit ihren vielen Familienhotels spüren das besonders deutlich.

SZ: Schön. Aber für Millionen Reisende ist das Leben schwerer geworden. Wer sich Dienstreisen erstatten lassen will, hat jetzt mit unterschiedlichen Steuersätzen für Übernachtung und Frühstück zu kämpfen. Das ist doch absurd.

Brüderle: Das Verfahren muss in der Tat vereinfacht werden. In den Vereinigten Staaten wird das Frühstück immer gesondert gebucht und abgerechnet. Bei uns müssen Sie oft die Übernachtung mit Frühstück buchen. Das ist eine Tradition, die ich nie so richtig verstanden habe - genauso wie etwa die Tatsache, dass man auf der Terrasse eines Cafés häufig nur ein Kännchen Kaffee bestellen kann, aber keine Tasse.

SZ: Diese Diskussion war für die Regierung jedenfalls nicht imagefördernd.

Brüderle: Ich finde, wir haben bisher schon viel auf den Weg gebracht. Wir fördern das Wachstum durch die Steuerentlastung, wie zum Beispiel durch mehr Kindergeld und höhere Kinderfreibeträge. Aber die Debatte um die Hoteliers hat den positiven Effekt der Gesamtentlastungen nicht gerade verstärkt.

SZ: Wo hakt es denn?

Brüderle: Ich bin mit der öffentlichen Querdiskussion innerhalb der Koalition nicht zufrieden. Wir müssen lernen, gemeinsam eine Melodie in derselben Tonart zu singen.

SZ: Das ist schwer, wenn der Chor der schwarz-gelben Koalition sich nicht auf das Lied einigen kann.

Brüderle: Denken Sie daran, dass Union und FDP im Bund elf Jahre nicht koaliert haben! Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass das mit der Gemeinsamkeit besser wird.

SZ: Da sind wir uns nicht so sicher. Ob das mit der großen Steuerreform 2011 etwas wird, ist ungewiss. NRW-Ministerpräsident Rüttgers sagt, im Zweifelsfall seien ihm offene Schwimmbäder, Theater und Kindergärten wichtige als eine Steuerentlastung.

Brüderle: Die Steuerreform kommt. Das haben FDP und Union im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Und wir haben es gerade im Jahreswirtschaftsbericht noch mal bekräftigt.

SZ: Und Herr Rüttgers legt sich im Bundesrat nicht quer?

Brüderle: Auch wir wollen Kindergärten, Theater oder Schwimmbäder offen halten. Gerade deshalb sagen wir: Ohne Steuerentlastung bekommen wir nicht mehr Wachstum. Und ohne Wachstum haben wir nicht mehr Steuereinnahmen für die staatlichen Aufgaben. Herr Rüttgers ist ein kluger Mann. Er war an den Koalitionsverhandlungen maßgeblich beteiligt - inklusive Steuersenkungen.

SZ: Zu den heiklen Themen der Koalition zählt auch Kernkraft. Ihr Kabinettskollege für Umwelt, Norbert Röttgen, hat in der SZ erklärt, deutsche Reaktoren seien ohnehin nur für 40 Jahre Laufzeit ausgelegt, mehr sei sicherheitstechnisch problematisch. Sehen Sie das auch so?

Brüderle: Nicht ganz. Wir haben sichere Kernkraftwerke in Deutschland. Wenn das anders wäre, müsste Herr Röttgen sie sofort abschalten. Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, dass wir schneller in das Zeitalter der erneuerbaren Energien gelangen wollen. Jetzt müssen wir diskutieren, wie wir das hinkriegen. Wir brauchen die Kernkraft als Brückentechnologie, und diese Brücke muss lang genug sein.

SZ: Völlig offen ist derzeit, wie der Bund Teile der Gewinne abschöpfen will, die den Betreibern durch längere Laufzeiten entstehen. Der Umweltminister hat Zweifel, dass eine Sonderabgabe verfassungskonform ist. Sie auch?

Brüderle: Klar ist, dass wir einen Teil der Zusatz-Gewinne aus verlängerten Laufzeiten abschöpfen wollen. Wir wollen damit die Fortentwicklung und den Ausbau der erneuerbarer Energien und der Energieeffizienz vorantreiben. Wie die Abschöpfung der Gewinne läuft, ist nachrangig, da sind viele Wege möglich.

SZ: Eine Steuer?

Brüderle: Ich betone noch mal: Es sind mehrere Wege möglich. Da sehen unsere Experten sehr wohl verfassungsfeste Wege. Bis Oktober werden wir ein Energiekonzept vorlegen, das den konkreten Weg beschreibt. Dieser Zeitplan ist sicher ehrgeizig. Aber ohne Fristen kommt man nie zu einem Ende.

SZ: FDP-Chef Guido Westerwelle hat sehr harsch auf den Vorstoß des Umweltministers reagiert - haben Sie mit Röttgen seither reden können?

Brüderle: Nein, noch nicht. Die wütendsten Proteste kamen übrigens aus der Union. Die wurden sogar öffentlich geäußert und nicht hinter verschlossenen Türen. Guido Westerwelle hat nur klargemacht, was im Koalitionsvertrag steht. Aber ich würde das nicht so hoch hängen - wie übrigens viele Debatten, die in diesem Land so geführt werden.

SZ: Wieso?

Brüderle: Im Moment ist in der Politik alles ein bisschen zu kurzfristig angelegt. Wir sollten längerfristig denken. Unser hohes Ansehen draußen in der Welt hängt gerade damit zusammen, dass unsere Unternehmen nicht auf einmaligen, kurzfristigen Erfolg aus sind, sondern lang andauernde Geschäftsbeziehungen anstreben. Die Politiker sollten auch in längeren Zyklen denken. Abgerechnet wird bei der nächsten Wahl, nicht täglich.

SZ: Der frühere SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt hat mit Ihnen offenbar schon mal abgerechnet. Schmidt sagte kürzlich, der Brüderle bleibe "wohl eine Fußnote in der Zeitgeschichte". Ärgert Sie das?

Brüderle: Nein, ich habe geschmunzelt. Immerhin hat er mich erwähnt. Herr Schmidt liegt ja größtenteils richtig. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass er in vier Jahren sagen wird: Bei dem Brüderle habe ich mich ausnahmsweise geirrt.

© SZ vom 12.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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