Quelle: Katalog-Rezension:Die Gardinen-Hölle

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Playboy-Bettwäsche und Totenkopf-Uhren: Ein Blick in den aktuellen Quelle-Katalog zeigt, warum die Firma am Abgrund steht.

Johan Schloemann

Ja, es gibt sie noch, "unsere kleinbürgerliche Hölle". Mit diesen Worten hatte 1960 der junge Hans Magnus Enzensberger das Warenangebot von Neckermann in kulturkritischer Absicht charakterisiert. Er begründete damit für die junge Bundesrepublik das Genre der Versandhauskatalog-Rezension. Diese Art der Lektüre wurde seitdem immer wieder bemüht, um in den Konsumbibeln des Wirtschaftswunders von Neckermann, Otto oder Quelle dem Zeitgeist auf die Schliche zu kommen.

"Unvergängliche Schönheit und Eleganz": Der Versandkatalog repräsentierte mal die Geschlossenheit des kleinbürgerlichen Weltbilds. (Foto: Foto: ddp)

Im noch bis Ende Juli gültigen Quelle-Hauptkatalog Frühjahr/Sommer 2009, der jetzt doch noch im Seehofer-Gedenkkatalog einen Nachfolger gefunden hat, beginnt zum Beispiel auf Seite 862 die Gardinen-Hölle.

Da findet man in beeindruckend reicher Auswahl die "Blumenfenster-Stores" aus "echter Plauener Macramé-Spitze", also jene halbhohen, halbdurchsichtigen Fenster-Verkleidungen über den Pflanzentöpfen der Fensterbänke, welche die deutsche Provinz so furchtbar verhangen machen.

Unvergängliche Eleganz vor den Fenstern in der Provinz

Doch die Gardinenverkäufer aus Fürth behaupten im Katalogtext über diese mit Stickereien verzierten Stores ganz unbeirrt: "Sie zeichnen sich durch unvergängliche Schönheit und Eleganz aus und haben einen hervorragenden Ruf in aller Welt."

Und wenn man aufmerksam weiterblättert im Quelle-Katalog, findet man auch all die anderen Schrecklichkeiten: die Vitrinenschränke, die Rauchglas-Kronleuchter. Oder die beigen Sandalen und Freizeit-Blousons, die immer in den Fernsehnachrichten zu sehen sind, wenn das Problem der demographischen Entwicklung dramatisch bebildert werden soll.

Nun könnte man meinen, genau solche Dinge seien es, die das Prinzip Versandkatalog in wirtschaftliche Schwierigkeiten gebracht haben - weil sie eben so sehr von gestern sind wie Kurorte und Heimatfilme. Aber da kann man sich leicht täuschen: Denn eigenwilliger Geschmack hat immer eine Zukunft. Ein Blick in ein deutsches Möbelhaus oder in eine Volksmusiksendung genügt, um das zu zeigen.

Nein, wenn man die 1400 Seiten mit Zehntausenden Produkten studiert, muss man feststellen, dass der Quelle-Katalog eine ganz andere Schwierigkeit zum Ausdruck bringt: Es ist die Unsicherheit darüber, wie man den Wunsch nach dem "Modernen" in der Warenwelt ansprechen kann, ohne sich dabei komplett von der Geschlossenheit des kleinbürgerlichen Weltbildes zu verabschieden, die der Versandkatalog einmal repräsentiert hat.

Das häufigste Wort im Quelle-Katalog heißt heute nämlich "Trend", beinahe auf jeder Seite ist etwas ungeheuer trendig. Möbel begegnen den Kunden als "moderne Partner für Ihr neues Esszimmer", die Herrenbekleidung verspricht "Style & Power", es gibt "Outfits, die Exotik in den Alltag bringen," und Badehosen im "coolen Lässig-Look".

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Diese krampfhafte Suche nach dem Trend im Quelle-Katalog illustriert ganz offenkundig eine schädliche Über-Diversifikation der Zielgruppen, die nicht mehr mit einem einzigen universalen Angebot erreicht werden können.

Die verwirrende Vielfalt der Lebensformen, die der Wohlstand der letzten Jahrzehnte mit sich gebracht hat, sprengt jetzt den Rahmen sogar des Buches, das eigentlich die Totalität der westlichen Warenwelt abbilden wollte.

Abweichungen vom bürgerlichen Weltbild

Im Versandkatalog ist also der massenhafte Konsum-Individualismus der Nachkriegszeit gewissermaßen Opfer seines eigenen Erfolges geworden. Zur Zeit des Wirtschaftswunders lag der beispiellose Erfolg der Versandhäuser in dem Versprechen begründet, dass ein bürgerlicher Lebensstil für alle erreichbar und bezahlbar werde, auch für die aufstrebenden Arbeiter.

Der Katalog sollte damals - wie das echte Warenhaus, das heute ebenfalls in der Krise steckt - ausdrücken, dass alles für jeden zu haben ist. Doch dieser Vollständigkeitsanspruch wurde, so sehr die unterschiedlichen Vorlieben der Kunden auch berücksichtigt wurden, so stolz man nach den Zeiten des Mangels auf die große Auswahl war, doch noch von einem gemeinsamen Kanon der Lebensformen zusammengehalten, von einem Traum von der ordentlichen Familienidylle im Eigenheim oder in der "modernen" Wohnung.

Inzwischen aber hat sich der Quelle-Katalog sämtliche Abweichungen von diesem braven bürgerlichen Weltbild selbst einverleibt: Die antibürgerliche Jugendkultur etwa oder die kommerzielle Seite der sexuellen Befreiung, alles ist heute im Angebot.

Playboy-Bettwäsche und rosa Polohemden

Der Katalog bietet bei der Kleidung für Heranwachsende nicht nur rosa Polohemden, sondern auch Protest-Outfits mit Militärjacken und abgewetzten Jeans, und fürs Schlafzimmer der Erwachsenen gibt es die für eine monatliche Rate ab 10,30 Euro erhältliche Playboy-Bettwäsche, beworben mit der Feststellung: "Häschen sind nicht gern allein."

Die logische Folge dieser hochdifferenzierten Lebensvielfalt, die ein Universalkatalog nicht mehr fassen kann, ist das individuelle Herumsuchen im Internet, wo jeder sein eigenes Interessensforum findet. So bleibt nach gründlicher Lektüre des Quelle-Katalogs die Einsicht: Seehofer hin, Seehofer her - dieses Buch der Bücher hat keine Zukunft.

© SZ vom 01.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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