Quelle-Demonstration:Was wirklich würdelos ist

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Der "öffentliche Aufschrei" der Quelle-Beschäftigten hat jede Berechtigung. Allerdings begann die Würdelosigkeit schon lange vor Middelhoff & Co.

Carsten Matthäus

Wie viele Quelle-Mitarbeiter bei dem "öffentlichen Aufschrei" mitmachen, wie viele "einfach ihre Wut" über das Ende des Versandhauses "herausschreien", wie der Quelle-Betriebsratschef ankündigte, ist nicht wichtig. Sie stehen für Tausende von verwirrten und verunsicherten Angestellten, die im Großraum Nürnberg-Fürth ihren Lebensarbeitsplatz und damit einen Teil ihrer Identität verloren haben. Und das obwohl sie "nichts falsch gemacht" haben, immer "pünktlich bei der Arbeit" waren, der Chef bis zuletzt gute Noten verteilte.

Nach dem Quelle-Aus machen die Mitarbeiter des Konzerns ihrem Ärger Luft. (Foto: Foto: Reuters)

Wichtiger als die Zahl der Demonstranten ist der Inhalt des Aufschreis. Man protestierte gegen die "würdelose Behandlung" der Mitarbeiter. Persönlich verantworlich gemacht werden dafür die Ex-Arcandor-Chefs Thomas Middelhoff, sein Nachfolger Karl-Gerhard Eick, der Ex-Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg und Insolvenzverwalter Klaus Hubert Görg. Dass sich CSU-Chef Horst Seehofer bei der sterbenden Quelle noch einen Wahlkampf-Fototermin mit druckfrischem Katalog organisierte, fällt da schon fast nicht mehr auf.

So berechtigt die Wut über die handelnden Personen und ihr vermeintliches Fehlverhalten beim Niedergang des Unternehmen sein mag, die "würdelose Behandlung" haben andere zu verantworten. Die konsequente Missachtung der Mitarbeiter begann früher und subtiler: Wenn Geschäftsführer in guten Zeiten nur glattgebürstete "Alles okay!"-Verlautbarungen aussenden und alle Probleme in Plastikworten wie "neue Herausforderungen" und "Innovationsanspruch" verklausulieren, handeln sie grob fahrlässig. Dann können Mitarbeiter nämlich nur mit dem Gefühl zur Arbeit gehen, dass wohl schon alles wieder in Ordnung kommt, wenn sie nur fleißig arbeiten.

Der Versandhändler Quelle hatte aber schon lange vor der Pleite massive Probleme, die nicht einfach durch ordentliche Arbeit zu lösen waren: eine immer unmodernere Marke, ein zu sehr auf dicke Kataloge fixiertes Marketing, eine schrumpfende Zahl von Stammkunden, keine richtige Internet-Strategie, veraltete Logistik. Als diese Probleme nicht offen angesprochen wurden, haben die Chefs ihre Mitarbeiter im Stich gelassen. Schlimmer noch: Sie spielen ihnen eine Wirklichkeit vor, die es längst nicht mehr gibt. Die Spätfolge davon: Frustrierte, enttäuschte, um ihr Arbeitsleben betrogene Mitarbeiter.

Dass solch würdelose Untergänge in Krisenzeiten nicht zur Regel werden, dafür müssen allerdings auch die Arbeitnehmervertreter sorgen. Sie müssen genau dann Widerstand und Proteste organisieren, wenn sich im Unternehmen nichts verändert. Sie dürfen eben nicht unisono mit den Geschäfsführern von einer "stabilen Geschäftslage" sprechen. Jede Beschwichtigung von oben muss mit der Forderung beantwortet werden, sofort, umfassend und für alle Mitarbeiter nachvollziehbar sowohl die Probleme als auch die geplanten Lösungswege offenzulegen. Alles andere ist einer modernen Belegschaft unwürdig.

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