Probleme bei der Energiewende:Trassenkampf

Lesezeit: 3 min

Dörfer unter Hochspannung: Wo die Energiewende konkret wird, wo Windparks, Trassen und Konverter gebaut werden sollen, wächst in Deutschland der Widerstand. Gerichte erwarten eine Klagewelle - dem Zukunftsprojekt drohen Verzögerungen.

Von Markus Balser, Berlin

Den Tag, an dem die Energiewende im Ingerweg landete, wird Walter Bruder, 59, so schnell nicht vergessen. Vor fünf Monaten kam ans Licht: Bruder, seine Gänse und Hühner am Rande von Meerbusch-Osterath am Niederrhein sollen einen Hightech-Nachbarn bekommen. Und was für einen: 20.000 Quadratmeter groß, 20 Meter hoch, ein Schaltzentrum für die Energiewende namens Konverter will der Netzbetreiber Amprion für 250 Millionen Euro hier bauen. Eine Hallenanlage mit dem Ausmaß von 14 Fußballfeldern. Technisch absolutes Neuland, schwärmen Ingenieure. Das gebe es bislang nur in China und Brasilien. 2015 könnten bereits die Bautrupps anrücken.

Bruder, ein gemütlicher Mann mit grauem Schnäuzer, sieht nicht aus wie ein Bauzaunkletterer. Die Windparks, die gewaltige Strommasten und das Surren des kleinen Umspannwerks hinter dem Haus - nie hat er protestiert. Die Energiewende findet er gut. "Aber Altersvorsorge futsch, Immobilie irgendwas gegen Null wert?" Das ist auch Bruder endgültig zu viel. "Stop Konverter" prangt seither in pinkfarbener Schrift auf weißem Bettlaken an Bruders Backsteinbau. Und er ist nicht allein. Die Osterather gründeten im Oktober eine Bürgerinitiative. Zum Start kamen 300, zum ersten Info-Abend 700, zum Protest auf dem Kirchplatz im Dezember 1000. Heute zählt der Protest 2300 Mitglieder.

Probleme auf lokaler Ebene

Osterath, Bad Gandersheim, Großbreitenbach: Seit die Energiewende Formen annimmt, wachsen auf lokaler Ebene die Probleme. Genau hier wird sich entscheiden, ob Berlin das Versprechen halten kann, dass in den nächsten vier Jahrzehnten 80 Prozent des Stroms aus sauberer Wind-, Wasser- oder Solarenergie kommt.

Wo Pläne für neue Masten, Leitungen, Konverter oder Windparks auf dem Tisch liegen, ist der Ärger oft nicht weit. Bürgerinitiativen haben sich im ganzen Land formiert, um gegen Projekte vorzugehen. Mit beinahe jeder neuen Trasse, die sich Wohngebieten nähert, werden es mehr, sagt der Manager eines Netzbetreibers. Dabei ist die Wende ohne das Wohlwollen der Bürger nicht zu schaffen: Mit dem Ausbau erneuerbarer Energien wächst der Bedarf an Stromleitungen, um Energie aus dem Norden in die Industriezentren zu transportieren. Und die liegen im Süden und Westen des Landes. 4300 Kilometer neue Leitungen hält die Deutsche Energie-Agentur für nötig. Gebaut sind erst ein paar hundert.

Clemens Antweiler weiß, dass es nicht gut um den Zeitplan für das größte Infrastrukturprojekt seit Jahrzehnten steht. Gläsernes Büro, moderne Kunst, dunkler Anzug. "Die Energiewende wird gerade zum Musterbeispiel dafür, wie ein Rechtsstaat nicht funktionieren sollte", klagt Antweiler, Anwalt und Verwaltungsrechts-Experte der Düsseldorfer Kanzlei RWP. Denn weil es schnell gehen müsse, würden Betroffene oft erst einbezogen, wenn es zu spät sei.

Im Fall Osterath etwa, erfuhren sie nur per Zufall von dem Riesenprojekt vor ihrer Haustür. Keine vier Wochen blieben da noch für offizielle Einwände bei der Bundesnetzagentur. Alternativen zum Bau auf der grünen Wiese, etwa in alten Industriebranchen, seien nicht geprüft worden. Bleibt es bei den Plänen, will er nun für die Stadt Meerbusch und einen Bürger gegen das Projekt vor Gericht ziehen. "Die Chancen stehen gut", glaubt Antweiler. Eine lokale Koalition aus CDU, SPD, FDP und Grünen unterstützt den Bürgerprotest.

Davids gegen Goliaths

Stadt gegen Bund, Bürger gegen Regierung und Unternehmen. Für die Energiewende sind solche Auseinandersetzungen ein gewaltiges Problem. Denn der Konverter etwa, der direkt an einer der drei neu geplanten großen Stromautobahnen quer durchs Land liegen soll, gilt als das zentrale Schaltzentrum für Strom in West- und Süddeutschland, vielleicht sogar irgendwann für Europa.

Frühestens 2016 oder 2017 gäbe es bei einer Auseinandersetzung vor Gericht Rechtssicherheit für den Millionenbau, so Experten. Dann aber müsste der Konverter längst stehen. Denn 2017 will Amprion den ersten Strom liefern. Die höchsten deutschen Gerichte stellen sich bereits auf einen Ansturm betroffener Bürger ein. Man rechne mit einer "Klagewelle", sagt Marion Eckertz-Höfer, die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig. Das Gericht ist für 34 Netzausbauvorhaben mit einer Länge von mehreren tausend Kilometer Leitungen in Deutschland zuständig. Es sei davon auszugehen, dass ein erheblicher Teil zugelassener Projekte beim Bundesverwaltungsgericht angefochten werde.

Die Netzbetreiber versuchen, die Wogen zu glätten. "Wir erleben keinen generellen Widerstand gegen die Energiewende", sagt Hans-Jürgen Brick, Kaufmännischer Geschäftsführer von Amprion. "Es geht vielmehr um sehr konkrete und berechtigte Fragen bei einzelnen Bauprojekten." Der Betreiber, der den Ausbau vorantreiben soll, warnt aber auch vor einem Dilemma: "In unserem dicht besiedelten Land kommen wir manchmal eben nicht darum herum, unsere Leitungen und Anlagen auch in Sichtweite von Häusern zu errichten."

In Bonn hat man offenbar erkannt, was auf die Deutschen zukommt. Kürzlich meldete sich ein Mitarbeiter vom Haus der Geschichte bei der Bürgerinitiative in Osterath mit einer kleinen Bitte: Man hätte gerne ein Protestplakat. Für alle Fälle und für das eigene Archiv. Dort hoffen sie derweil, dass vor ihrem Plakat etwas ganz anderes ins Museum kommt: Die Konverterpläne.

© SZ vom 23.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: