Porno-Forschung:"Ohne Bezahlung geht es auf Dauer nicht"

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Der Soziologe Sven Lewandowski. (Foto: oh)

Soziologe Sven Lewandowski über wachsenden Pornokonsum von Frauen und die Frage, wann die Darstellung von Sexualität ethisch und fair ist.

Von Clara Thier, Duisburg

Sven Lewandowski ist Soziologe an der Uni Bielefeld und forscht seit über 15 Jahren zu Pornografie. Aktuell untersucht er, wie und warum Menschen Amateurpornografie aufnehmen.

SZ: Wer konsumiert Pornografie?

Sven Lewandowski: Es gibt in dem Genre praktisch gar keine seriösen Zahlen. Wenn große Porno-Plattformen wie Pornhub sagen, wir haben so und so viel Millionen Zugriffe pro Tag, wissen wir nicht, ob das stimmt. Selbst wenn die Zahlen stimmen, sagen sie nichts darüber aus, ob wenige Menschen sehr viel konsumieren oder alle sehr durchschnittlich. Pornografiekonsum ist aber inzwischen eine alltägliche populär-kulturelle Praxis geworden. Die Zugänglichkeit hat sich vereinfacht, der Konsum hat sich normalisiert. Die Zeiten, in denen man sich im Regenmantel in dunkle Pornokinos schleichen musste, sind vorbei.

Gibt es dadurch eine größere Vielfalt an Angeboten?

Ja, mehr Nischen werden bedient. Pornografie, die vom heterosexuellen, männlich-fixierten Mainstream abweicht, ist sichtbarer geworden. Die Branche arbeitet nun zielgruppenspezifischer. Je weiter der Geschmack vom Mainstream entfernt ist, desto öfter muss man allerdings die Kreditkarte zücken. Das ist ein bisschen wie bei Qualitätsjournalismus. Ohne Bezahlung geht es auf Dauer nicht.

Und wächst die Nachfrage trotz Bezahlschranke?

Definitiv. Sei es ethische Pornografie oder anderes jenseits des Mainstreams. Das kann Sadomasochismus sein, Paarpornografie, frauenfreundlich, queer, alternativ. Das sind Versprechungen, mit denen sich Geld verdienen lässt.

Der gesellschaftliche Wandel ist in der Pornoindustrie angekommen?

Der gesellschaftliche Wandel ist sicher ein Teil, der andere Teil ist rein marktwirtschaftlich: Der Markt für Pornografie für Männer ist relativ gesättigt, sodass Anbieter neue Märkte suchen und neue Käuferschichten erschließen. Dazu kommt, dass Frauen im Gegensatz zu vor 20 Jahren über mehr Geld verfügen und bereit sind, das Geld auch für erotische Vergnügung auszugeben.

Was kann man sich unter ethischen oder fairen Pornos vorstellen?

Ethisch bedeutet, dass Leute freiwillig teilnehmen, dass sie fair bezahlt werden, dass sie nicht ausgebeutet werden. Allerdings ist ethische Pornografie ein Nischenphänomen. Ob sie sich durchsetzt, ist schwierig zu sagen. Es gibt zwei Hindernisse: Erstens, Pornografie muss primär erregen, das Ethische ist für Konsumenten eher sekundär. Das zweite Hindernis ist, dass Sexarbeit nicht als Arbeit anerkannt ist.

Was macht das mit den Menschen, wenn sie Pornos schauen?

Wir müssen unterscheiden zwischen den Auswirkungen auf Individuen und Auswirkungen auf die Gesellschaft. Zum Individuum: Ich glaube, die Wirkung von Pornografie wird im Allgemeinen überschätzt. Man kennt diesen Diskurs: Die Jugend werde angeblich zwangspornografisiert und verwahrlose und so weiter. Nur gibt es dafür keine empirischen Belege in der Sexualforschung. Das interessante Phänomen ist: Gerade Jugendsexualität ist egalitärer als je zuvor. Sexuelle Praxis wird gemeinsam ausgehandelt - obwohl insbesondere männliche Jugendliche regelmäßig Pornografie schauen. Natürlich gibt es bei einzelnen Menschen durchaus problematischen Konsum. Im Allgemeinen zeichnen sich aber Menschen durch eine recht hohe Medienkompetenz aus, das heißt, sie können sehr gut unterscheiden, was fiktive Darstellung und was reale Sexualität ist.

Und gesellschaftlich?

Pornografie lädt das Sexuelle mit Kontingenz auf, also dem Bewusstsein "Es könnte auch anders sein" und dass es vielfältige Möglichkeiten gibt. Vor dem Hintergrund wird es schwierig, sich vorzustellen, heterosexuelle Paarsexualität wäre die einzig legitime Möglichkeit sexueller Lust - was man vor 50 Jahren noch glauben konnte. Wir sehen eine sexuelle Pluralisierung in der Gesellschaft, die sich in Pornografie widerspiegelt.

Wer verdient in dem Geschäft das meiste Geld?

Es sind vor allem die großen Plattformen und intermediäre Vermittler, die Darsteller an Plattformen vermitteln. Das große Geld machen die Darsteller nicht, zumindest nicht die Halbamateurdarsteller.

Wie wird sich die Branche entwickeln?

Einerseits gibt es auf der Start-up-Ebene, auf Dienstleisterebene, eine gewisse Pluralisierung, zugleich aber zeichnen sich die üblichen Konzentrationsprozesse ab. Vermutlich werden wenige große Anbieter bleiben, die die meisten der Kleinen aufsaugen werden. Die großen Konzerne werden dann auch ihre "Queer-Spalte" haben, solange es sich verkauft.

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