Lira-Krise:Lasst endlich die Notenbanken in Ruhe!

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Macht der türkischen Zentralbank Vorschriften, obwohl das seiner Rolle als Präsident widerspricht: Recep Tayyip Erdoğan. (Foto: AFP)

Die Präsidenten Trump und Erdoğan zeigen beide eine fatale Lust, Geld auszugeben, das sie nicht haben. Ihr Handeln zeigt, warum die Unabhängigkeit der Notenbanken so wichtig ist.

Kolumne von Nikolaus Piper

Die Krise der türkischen Lira ist eine gute Gelegenheit, über den Wert von unabhängigen Zentralbanken nachzudenken. Schließlich hatte Präsident Recep Tayyip Erdoğan den Absturz zuletzt dadurch beschleunigt, dass er der Zentralbank in Ankara Vorschriften machte und die wilde Theorie vertrat, niedrige Zinsen hülfen gegen Inflation. Das löste bei Kapitalanlegern verständlicherweise Fluchtreflexe aus. Aber die Frage, ob Regierungen den Zentralbanken in die Geldpolitik reinreden dürfen, betrifft nicht nur die Kapitalmärkte und deren Launen. Es geht dabei um Grundsätzliches, die Verfasstheit der Gemeinwesens und der Demokratie.

Das Konzept einer von der Politik abgeschirmten Zentralbank ist neuerdings wieder heftig umstritten. Für den deutsch-amerikanischen Politologen Yascha Mounk beispielsweise sind Institutionen wie die US-Notenbank Federal Reserve oder die Europäische Zentralbank Ausdruck eines "undemokratischen Liberalismus", in dem "die Regierungen dem Volk immer weniger verantwortlich sind". Weitere Beispiele sieht Mounk in der amerikanischen Umweltbehörde EPA, der Welthandelsorganisation WTO und sogar im Obersten Gerichtshof Amerikas. Wenn wichtige Entscheidungen von nicht gewählten Eliten getroffen würden, dann stärke dies den Populismus. An der Sache mit dem Populismus ist etwas dran, aber vielleicht ein wenig anders, als Mounk das meint: Populisten, gleich welcher politischer Couleur, zeigen eine fatale Lust, Geld auszugeben, das sie nicht haben. Da liegt es nahe, sich einer Institution zu bemächtigen, die das Recht und die Macht hat, frisches Geld zu schaffen.

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So wie der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán, der gerade dabei ist, sein Land in eine "illiberale Demokratie" umzuwandeln. Orbán wollte schon 2011 per Gesetz die Unabhängigkeit der Ungarischen Nationalbank (MNP) einschränken; von dem Plan ließ er nur nach heftigem Druck aus der EZB ab. Italiens Innenminister Matteo Salvini, Chef der rechtsextremen Partei Lega, verlangte von der EZB einen Schuldenerlass von 250 Milliarden Euro, eine abenteuerliche Idee. Und Griechenlands früherer Finanzminister Yannis Varoufakis wollte die Probleme seiner Heimat mit einer Parallelwährung lösen und die EZB dabei schlicht umgehen.

Ein anderer Weg schwebt Jeremy Corbyn vor, dem linkspopulistischen Chef der britischen Labour Party. Das Konzept heißt " quantitative easing for people", was man sehr frei mit "Geldschöpfung für die Menschen" übersetzen könnte. Danach erhielte die Bank von England von der Regierung das Mandat, so Corbyn, "in neue, große Wohn-, Energie-, Transport- und Digitalprojekte zu investieren". Die Notenbank würde also neues Geld schaffen, um Dinge zu finanzieren, für die es weder im Staatshaushalt noch im Privatsektor Mittel gibt. Man kann sich vorstellen, was das mit dem Vertrauen in das britische Pfund machen würde. Es wäre so, als bekäme der deutsche TÜV den Auftrag, sich künftig nicht nur um die Sicherheit von Personenaufzügen zu kümmern, sondern auch in Aufzugfabriken zu investieren.

Die Geldpolitik läuft Gefahr, zum Instrument im Wahlkampf zu werden

So weit muss es nicht kommen, aber schon niedrigschwellige Einflussnahme der Regierenden auf die Zentralbank hat einen Preis: Die Geldpolitik läuft Gefahr, zum Instrument im Wahlkampf zu werden. Dafür gibt es ein legendäres Beispiel: Richard Nixon. Im Wahljahr 1972 setzte der US-Präsident den Chef der Federal Reserve, Arthur Burns, massiv unter Druck, die Zinsen zu senken, obwohl die gute Konjunktur eigentlich das Gegenteil erfordert hätte. Burns gab nach, was das erwünschte Ergebnis zeitigte: Die amerikanische Wirtschaft wuchs um phänomenale 7,7 Prozent und Nixon fuhr im November einen historischen Wahlsieg ein. Nur fiel eben die folgende Rezession, die im Herbst 1973 einsetzte, umso schlimmer aus.

Die Deutschen leben unterdessen im Gefühl, dass so etwas hierzulande nicht passieren könnte, weil die Unabhängigkeit der Bundesbank, die sie auch der EZB vererbt hat, zur DNA des Landes gehört. Aber das Gefühl trügt. Die Unabhängigkeit ist ein Geschenk der Alliierten, das die Nachkriegsdeutschen zunächst nur widerwillig akzeptierten. Eingedenk der Hyperinflation von 1923 und der Zerstörung der Mark durch Hitler verlangten Amerikaner, Briten und Franzosen, dass die 1948 gegründete Bank deutscher Länder (BdL), die Vorläuferin der Bundesbank, vor Einmischung geschützt würde. Die Vorsicht war gut begründet. Bereits 1951 versuchte die damalige Bundesregierung, sich die BdL zu unterstellen, und ließ davon erst nach heftigem öffentlichem Protest ab.

Ein weiterer Test auf das Prinzip Unabhängigkeit war die so genannte Gürzenich-Affäre von 1956. Damals hatte die BdL die Zinsen erhöht, um eine Überhitzung der Wirtschaftswunder-Konjunktur zu verhindern - sehr zum Unwillen des Bundesverbands der deutschen Industrie, der um die Gewinne der Unternehmen fürchtete. Bundeskanzler Konrad Adenauer, der zu Wirtschaftsdingen eine eher kölsche Einstellung hatte ("Mer kenne uns, mer helfe uns"), nahm auf einer BDI-Veranstaltung im Kölner Konzertsaal Gürzenich eindeutig Partei für die Industrie, verurteilte den Zinsschritt und stellte bei der Gelegenheit gleich noch Wirtschaftsminister Ludwig Erhard in den Senkel. Hinterher im Kabinett machte er diesem gleich noch klar, dass die CDU die Spenden der Industrie für die nächste Wahl brauche. Genau deshalb war und ist die Unabhängigkeit der Notenbanken so wichtig.

© SZ vom 17.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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