Pipers Welt:Ist der Kapitalismus schuld am Klimawandel?

Lesezeit: 3 min

An dieser Stelle schreibt jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper. Illustration: Bernd Schifferdecker (Foto: N/A)

Viele glauben, dass gleich das ganze System abgeschafft gehört, um das Klima zu retten. Damit liegen sie aber grundfalsch.

Von Nikolaus Piper

Schuld am Klimawandel ist der Kapitalismus. Für viele Aktivisten gibt es daran keinen Zweifel. Zum Beispiel für einen Teil der jungen Leute, die während der vergangenen beiden Wochen nach Glasgow gekommen waren, um am Rande der UN-Klimakonferenz auf dem alternativen "People's Climate Summit" für eine radikale Klimawende zu kämpften. Sie demonstrierten unter roten, schottischen, palästinensischen und anderen Fahnen und unter Parolen wie "System Change, not Climate Change" oder "Planet over Profit". Der Klimawandel, so die Botschaft, lässt sich nur stoppen, wenn vorher "das System" abgeschafft wird. Die kanadische Journalistin Naomi Klein hatte bereits 2014 aus dieser Behauptung ein ganzes Buch gemacht: "Die Entscheidung. Kapitalismus vs. Klima".

Die Debatte über solche Thesen wäre schnell zu Ende, würde man sich für einen Augenblick vorstellen, der Wunsch der Demonstranten würde erfüllt und der Kapitalismus abgeschafft. Den Reichen hätte man ihre Fabriken und ihre Villen weggenommen, Märkte gäbe es nicht mehr, und ein revolutionäres Komitee aus Gruppen wie "Extinction Rebellion", der "Internationalen Sozialistischen Alternative" oder "Fridays for Future" würde darüber entscheiden, wer noch wie viel CO₂ emittieren darf.

Würde so wirklich das Klima geschützt? Die Lehren der Geschichte sind ziemlich eindeutig. Selbst wenn alle Beteiligten gutwillig sein sollten - was eine kühne Annahme wäre -, führt die Abschaffung von Märkten zwangsläufig zu einer wie auch immer gearteten Planwirtschaft. Und wer die DDR noch miterlebt hat, weiß, wie desaströs Planwirtschaft für die Umwelt ist. Sogar die Berichterstattung über Umweltprobleme galt im Sozialismus als subversiv.

Schon früh war klar, dass die Natur eine knappe Ressource ist

Andererseits lässt sich nicht bestreiten, dass aus historischer Sicht Klimawandel und Kapitalismus etwas miteinander zu tun haben. Die Anreicherung von CO₂ in der Erdatmosphäre begann am Ende des 18. Jahrhunderts mit der Erfindung der Dampfmaschine und der industriellen Revolution in England, als die Menschen zum ersten Mal in Fabriken Kohle verbrannten, um die Muskelkraft von Arbeitern und Pferden zu ersetzen. Dieser Kapitalismus schien die Grenzen der Natur zu überwinden, er brachte Reichtum und Wohlstand, auch wenn dieser Wohlstand ungleich verteilt war und ist. Außerdem machte er es möglich, dass die Erdbevölkerung dramatisch wuchs. Um das Jahr 1800 lebte eine Milliarde Menschen auf der Erde, 1970, als der erste Bericht über die Grenzen des Wachstums erschien, waren es drei Milliarden, und heute liegt die Zahl bei fast acht Milliarden. Das kapitalistische Zeitalter brachte zudem Erfindungen und Innovationen, die die Lebensbedingungen der Menschheit dramatisch verbesserten.

Heute weiß man, dass dieser Fortschritt einen hohen Preis hatte: die Veränderung des Weltklimas. Aber was folgt daraus? Lehrreich ist in diesem Zusammenhang die Erkenntnis, dass man schon im Zeitalter der industriellen Revolution über die Grenzen des Wachstums nachdachte. Natürlich wusste man damals nichts vom Klimawandel. Wohl aber war den Menschen sehr bewusst, dass die Natur eine knappe Ressource ist. Die "Festtafel der Natur" gab einfach zu wenig her, um das Wachstumsstreben der Menschen zu befriedigen, wie es der englische Pfarrer Thomas Robert Malthus formulierte, einer der Klassiker der Nationalökonomie. Er stellte 1798 in einem Essay ein "Bevölkerungsgesetz" auf, nach dem sich die Menschen immer schneller vermehren, als der Ertrag des Bodens steigt, weshalb die Armen tendenziell am Rande des Existenzminimums vegetieren müssen.

Unter Linken hat Malthus bis heute keinen besonders guten Ruf, vor allem weil Karl Marx seinen Essay als ein "schülerhaft oberflächlich und pfäffisch verdeklamiertes Plagiat" verhöhnt hatte. Dabei passt seine pessimistische Weltsicht durchaus zur Gegenwart und zum Klimawandel. Was 1798 der landwirtschaftlich nutzbare Boden war, ist heute die Erdatmosphäre und ihre begrenzte Fähigkeit, CO₂ aufzunehmen. Heutige Klimaaktivisten haben mit ihren radikalen Forderungen insofern mehr mit Malthus zu tun als mit Marx, der von einem Reich der Freiheit ohne materielle Einschränkungen träumte.

Ohne Innovationen kein Klimaschutz

Malthus hat sich in seinem zentralen Punkt geirrt. Sein Bevölkerungsgesetz gibt es nicht. Heute leben achtmal so viele Menschen auf der Erde wie zu seinen Zeiten, trotzdem leiden die meisten von ihnen nicht unter Armut. Warum sich Malthus irrte, hat viel mit Adam Smith zu tun. Der wichtigste der Klassiker der Nationalökonomie zeigte in seinem Hauptwerk, dem "Wohlstand der Nationen", dass, wenn Menschen ihr Eigeninteresse verfolgen, sie automatisch auch den Interessen ihrer Mitmenschen dienen. Seine Theorie war die ethische Begründung für freie Märkte, und sie kann die Wellen von Innovationen erklären, die den heutigen Lebensstandard überhaupt erst möglich machten.

Heute geht es darum, Malthus und Smith neu zu verbinden. Man muss die radikale Knappheit der Natur mit allen Konsequenzen anerkennen. Gleichzeitig aber ist das Eigeninteresse der Menschen nötig, um Innovationen zum Schutz des Klimas zu mobilisieren. Der Klimaschutz wäre zum Scheitern verdammt, würde man genau das System abschaffen, das in der Vergangenheit die großen Innovationen hervorgebracht hat.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken
OK