Personalmangel:Achtung, Arbeiterlosigkeit

Personalmangel: Es fehlt überall an Personal, nicht nur in der Gastronomie, gesucht sind beispielsweise auch Sicherheitsleute und Flugbegleiter.

Es fehlt überall an Personal, nicht nur in der Gastronomie, gesucht sind beispielsweise auch Sicherheitsleute und Flugbegleiter.

(Foto: Roland Hartig /imago images)

Ob im Restaurant, im Pflegeheim oder am Flughafen: Überall fehlen Mitarbeiter. Firmen müssen sie schlicht besser bezahlen. Und die Politik muss mehr Mütter und Migranten für den Arbeitsmarkt gewinnen.

Kommentar von Alexander Hagelüken

Nach zwei Jahren Pandemie fühlt es sich wie eine Befreiung an. Endlich wieder halbwegs unbeschwert ins Restaurant, auf ein Open Air oder in den Urlaub. Doch wer in den nächsten Monaten sein altes Leben zurückerobern will, könnte frustriert werden. Es fehlt überall an Personal. An Kellnerinnen, Sicherheitsleuten, Flugbegleitern. Das sind die Vorboten einer Umwälzung des Arbeitsmarkts, die Politiker und Betriebe verschlafen.

Das Personal fehlt ja nicht nur an den Orten, an denen die Deutschen dringend wieder das Leben genießen wollen. Und es fehlt nicht nur in Branchen wie IT und Pflege, wo schon länger Knappheit herrscht. Plötzlich wird Personal selbst in Berufen gesucht, die mancher schon als Opfer des wirtschaftlichen Wandels abschrieb, Bauarbeiterin etwa oder Friseur. Die Bürger sehen die Zukunft wegen Inflation, Kriegsunsicherheit und Liefermängeln düster wie selten. Doch der Arbeitsmarkt trotzt dieser Untergangsstimmung: Die Firmen melden so viele offene Stellen wie noch nie.

Auf den ersten Blick erscheint es, als sei manche Personalknappheit nur eine Folge von Corona. Gastronomen, Kulturveranstalter oder Fluglinienbosse haben ihre Leute vor die Tür gesetzt. Die Ex-Beschäftigten haben sich was anderes gesucht. Aber warum kommen sie jetzt nicht zurück? Das hat teils schon mit der Umwälzung zu tun, die die Berufswelt erfasst.

Millionen Jobs durch unpopuläre Reformen

Die Machtverhältnisse am Arbeitsmarkt verändern sich - erneut. Im Wirtschaftswunder der 1950er- und 60er-Jahre konnten Beschäftigte viel Lohn durchsetzen, weil die Betriebe sie dringend brauchten. Danach kam die Massenarbeitslosigkeit, und die Firmen begannen, stärker die Bedingungen zu diktieren. Prekäre Jobs nahmen zu, Betriebe zahlten seltener Tariflohn.

Dann gelang es Deutschland seit den Nullerjahren auch durch unpopuläre Reformen, Millionen Jobs zu schaffen. Arbeitnehmer sind wieder gefragt. Und jetzt gehen die geburtenstarken Jahrgänge in Rente und reißen ein Loch. In den nächsten zehn Jahren fehlen nach und nach ein bis vier Millionen Menschen im typischen Berufsalter. Achtung, Arbeiterlosigkeit!

Die erste logische Konsequenz: Betriebe müssen sich mehr um (ihre) Mitarbeiter bemühen. Es ist ja kein Zufall, dass gerade Gastronomen, Securityfirmen oder Pflegeheimen die Leute ausgehen. In diesen Berufen wird oft körperlich hart oder abends und am Wochenende gearbeitet - und das meist schlecht entlohnt. Diese Branchen müssen also mindestens besser bezahlen. Und das wird dann andere Wirtschaftssektoren zum Umdenken zwingen. Wer weiter mit 450-Euro-Jobs Kosten sparen oder Beschäftigte mit Befristungen gefügig halten will, wird sich noch wundern - zu Recht.

Bessere Bezahlung alleine wird die Arbeiterlosigkeit aber nicht lösen. Auch wenn Firmen mehr um Mitarbeiter konkurrieren, werden schlicht Leute fehlen. Um das zu ändern, müssen Politiker und Betriebe Personalreserven heben.

Das fängt in der Schule an. Zu viele junge Bürger stolpern ohne Schul- und Berufsabschluss ins Leben. Wer sich anders als bisher entschieden um ihre Qualifizierung kümmert, bildet zusätzliche Fachkräfte aus.

Unfaires Steuersystem entrümpeln

Personalreserven gibt es auch bei vielen Frauen, gerade Müttern. Sie könnten mehr arbeiten, wenn manche Kitas und Schulhorte nicht so früh zumachten - und es überhaupt mehr Plätze gäbe. Und genug Erzieherinnen, sodass Eltern ihre Kinder dort guten Gewissens hinbringen. Außerdem muss die Regierung das Steuer- und Abgabensystem entrümpeln. Kaum ein Industrieland zieht dem Zweitverdiener einer Ehe so viel vom Gehalt ab wie Deutschland. Kein Wunder, dass manche(r) nur Teilzeit arbeiten geht oder gleich zu Hause bleibt.

Es gibt noch mehr Ideen, etwa die, Ältere länger für den Beruf zu motivieren. Zur Wahrheit gehört aber, dass das Personalreservoir im Land begrenzt ist. Deutschland darf sich nicht länger vor der Einsicht drücken, dass nur mit mehr Einwanderung künftig genug Beschäftigte zur Verfügung stehen - und andernfalls die Wirtschaft schrumpft. Migrationsskepsis bezahlen wir alle teuer.

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