Geldanlage P&R Container:"Das ist doch alles ziemlich skurril"

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Tausende Anleger hielten das P&R-Containergeschäft für eine sichere Geldanlage. (Foto: Markus Tischler/Imago)

Eine Anlegerin muss vor Gericht, obwohl sie aus ihrer Sicht lediglich in Container investiert hat. Doch das Unternehmen hat vermutlich betrogen. Nun könnte sie ihr Geld verlieren.

Von Viktoria Spinrad, München

Sie sitzt auf der linken Seite des Gerichtssaals, dort, wo das "Beklagten"-Schild steht und normalerweise rücksichtslose Nachbarn oder Unternehmer unter Plagiatsverdacht sitzen. Mal legt Katharina Engert die Hände in den Schoß, mal runzelt sie die Stirn, und irgendwann in den dreieinhalb Stunden Verhandlung sagt die 53-jährige Ärztin mit den kurzen braunen Haaren einen Satz, der das ganze Wirrwarr auf den Punkt bringt: "Das ist ja praktisch ein Gutachten gegen mich, das ich zahle", sagt sie, und so recht mag in dem Moment niemand widersprechen.

Montag, 9 Uhr, Landgericht München I. Hier spielt eine der unzähligen kleinen Geschichten einer der größten Kapitalanlage-Skandale in der Geschichte der Bundesrepublik. Es ist die Geschichte der P&R-Containergesellschaften, die vor zwei Jahren spektakulär pleite gingen. Seitdem bangen über 50 000 Gläubiger um insgesamt 3,5 Milliarden Euro - es handelt sich oft um deren Altersvorsorge.

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Es ist aber auch die Geschichte einer Anlegerin, die sich sicher wähnte und nun doch eine Verliererin werden könnte. Ihr Fall am Münchner Landgericht zeigt nicht nur, welche Skurrilitäten das Insolvenzrecht zu bieten hat und welche Belastungen sich noch Jahre nach der Pleite für einzelne Anleger ergeben. Das Verfahren zeigt auch, wie mühselig und kleinteilig nun die Aufräumarbeiten nach dem großen Knall sind - und dass es noch lange dauern dürfte, bis die Insolvenzverwalter und Anleger das Kapitel P&R ad acta legen können.

Zurück im Gericht. Engert nimmt ihre Maske ab und holt Luft. Dann erzählt sie von ihrem verhängnisvollen Investment. Wie sie bei einem Treffen mit ihrer Bankberaterin im Jahr 2014 dachte: In Container investieren, die dann um die Welt fahren - warum eigentlich nicht? Wie sie drei Jahre lang ihre Renditen bekam, pro Quartal über 600 Euro und das drei Jahre lang. Sie wähnte sich sicher, weil Container ja etwas Handfestes sind.

All das sind die Fakten. Die juristische Frage ist nun, ob sie ihr Geld auch behalten darf. Der Grund: P&R besaß in den letzten Jahren weniger Container als die Firma behauptete. Als die Insolvenzverwalter loszogen, um aufzuräumen, fanden sie statt der angegebenen 1,6 Millionen nur 618 000 Container vor - mehr als die Hälfte der Stahlboxen existierte also nur auf Papier. Die Folge für Ärztin Engert: Ihre Gewinne und das Geld, mit dem P&R die Container zurückkaufte, stammten womöglich nicht von deren Vermietung - sondern von den neuen Anlegern.

Ein Schneeballsystem also? Der Richter des Landgerichts steht auf und deutet auf Boxen, die er auf eine Tafel gezeichnet hat. Es ist ja so: Wenn Engert tatsächlich keine Container besessen haben sollte, würde das Geld, das bei ihr einlief, als Schenkung gelten - und zur Insolvenzmasse gehören, aus denen die 54 000 geprellten Anleger entschädigt werden sollen. Engert wäre dann eine von ihnen: statt auf der Gewinnerseite auf der Verliererseite.

Gegen acht ausgewählte Altanleger wie sie haben die Insolvenzverwalter in deutschen Landgerichten Klage eingereicht. Es ist der Versuch, sich Rechtssicherheit zu verschaffen über die Frage, ob das Geld der Altanleger nicht eigentlich in den großen Pott mit der Insolvenzmasse gehört. Dahinter steckt auch die berechtigte Sorge, sich persönlich haftbar zu machen, falls am Ende doch jemand zu dem Schluss kommen sollte, dass das Geld den Gläubigern zugestanden hätte. Bis zum Bundesgerichtshof soll das Ganze hochgehen, so sagt es der P&R-Anwalt im Gericht.

Katharina Engert hat mittlerweile Verständnis dafür, dass ihre Gewinne aus dem P&R-Geschäft in die Insolvenzmasse fließen sollen. Doch der Rückkaufpreis für die Container? (Foto: Viktoria Spinrad/oh)

Bis zum BGH? Engert schüttelt den Kopf, schiebt ihre Unterlagen von sich. Eigentlich sollte sie jetzt in ihrer Hausarzt-Praxis in München-Sendling sein. Dort, wo auch sie immer mehr Corona-Positive testet und sich nun für die Grippesaison wappnen müsste. Dort, wo sie vier Tage vor dem Gerichtstermin bei einem Treffen in ihrer Mittagspause sagte: "Es ist doch skurril, dass ich mir einen Anwalt nehmen muss, obwohl ich ja gar nichts gemacht habe."

Ein Jahr ist es her, dass sie ein Einschreiben nach Hause bekam. Die Forderung: Bis Jahresende solle sie 38 000 Euro zurückzahlen. Jetzt ist sie eine Art Versuchskaninchen im Abwicklungsgetriebe der P&R-Maschinerie. Jenem Unternehmen, das jahrzehntelang Anleger beglückte und nach der Finanzkrise im Jahr 2011 anfing, mehr Container zu verkaufen, als es eigentlich hatte - so berichtet es ein in das Insolvenzverfahren eingespannter Unternehmensberater, der an diesem Montag als Zeuge geladen ist.

Seine Ausführungen zeigen, wie chaotisch es bei dem P&R-Geschäft mit dem "schwimmenden Festgeld" zuging: Er berichtet, wie manche Container gar nicht erst eine Nummer hatten, wie manche gleich mehreren Anlegern zugeordnet waren - und wie andere einfach von der Bildfläche verschwunden waren. Am Ende sei das Geschäft nur noch über einen zentralen "Cashpool" am Laufen gehalten worden, aus dem heraus die alten Anleger bedient worden seien - bis das Kartenhaus 2018 in sich zusammenbrach.

Die Ärztin führt nun einen Kampf, den sie nie führen wollte

Für Engert sind all das keine guten Nachrichten. Trotzdem verfolgt sie die Ausführungen mit dem Erstaunen einer Person, die merkt, dass es hier ja um etwas viel Größeres geht, nämlich um die Frage: Wie kann man für eins der wohl größten Schneeballsysteme in der deutschen Geschichte ein faires Ende für alle finden?

Unzählige Schadenersatzverfahren laufen zurzeit. Mal gewinnen die Anleger, mal ihre Banken. Derweil versuchen die Insolvenzverwalter, soviel Geld wie möglich zusammenzukratzen. Eben deswegen schippern weiterhin Schiffe mit P&R-Containern über die hohe See. Etwas mehr als 400 Millionen Euro sind so bisher zusammengekommen, zurzeit läuft eine schriftliche Gläubiger-Abstimmung über die Verteilung des Geldes.

Und Engert? Am Montag steht sie nach dreieinhalb Stunden ergebnisloser Verhandlung in der kalten Luft vor dem Münchner Justizpalast und kann ihre Verwunderung kaum abschütteln. Darüber, dass sie nicht bei ihren Patienten sein kann, sondern hier sein muss, auf der Beklagtenseite, um zu helfen, bei einer der größten Pleiten der deutschen Geschichte die Scherben aufzukehren. Dass sie einen Kampf führt, den sie nie führen wollte. Sie sagt: "Das ist doch alles ziemlich skurril."

© SZ vom 29.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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