Das Plakat haben sich ein paar Grafiker von Home 24 ausgedacht. Es ist nur ein Spaß. So einer, wie ihn sich nur Grafiker ausdenken können. Kreativ, bunt, mutig. Visionär vielleicht. "Kill Billy" steht in riesigen Buchstaben auf dem schwarz-rot-gelben Grund. Und darunter, sehr, sehr viel kleiner "Garantiert schwedenfrei. Am Ende". Das Plakat hängt in einem der Großraumbüros von Home 24 in Berlin, Prenzlauer Berg. Es ähnelt dem Filmplakat zu "Kill Bill" und ist eine Anspielung auf Ikea, den größten Möbelhändler der Welt, und auf sein berühmtestes Produkt, das Regal Billy.
Im Wort "Kill" - übersetzt: töte - ist hochkant der Name Home 24 eingeblockt, im Wort "Billy" ist das Regal zu sehen. Es ist keine offizielle Werbung. So einen Angriff gegen den schwedischen Giganten würde der Berliner Neuling Home 24 noch nicht wagen. "Wir machen etwa so viel Umsatz wie ein größeres Möbelhaus", sagt Philipp Kreibohm. Ein zweistelliger Millionenbetrag dürfte das sein.
Der promovierte Jurist hat gemeinsam mit Felix Jahn 2009 die Firma FP Commerce gegründet. "F" wie Felix, "P" wie Philipp, "Commerce" wie Handel - so einfach lassen sich Firmennamen schöpfen. Die beiden Männer führen die Geschäfte. "Ein anderer Name ist uns damals nicht eingefallen", sagt Kreibohm. "Vielleicht firmieren wir irgendwann in Home 24 um." Dann hieße die Firma wie die Marke, unter der sie in Europa agiert.
Der Name ist Programm: Rund um die Uhr, 24 Stunden geht es um das Zuhause. "Wir wollen ein großes, gesundes, marktführendes Unternehmen werden", sagt Kreibohm. Wie groß? Das sagt er nicht. Wann? Auch nicht. Wann ist eine Firma gesund? Gewinn macht FP Commerce noch nicht, aber das - so lässt der Geschäftsführer durchblicken - ist ein geplanter Verlust. Wie groß muss eine Firma sein, um den Markt zu führen? Kreibohm weicht aus, schweigt, lacht. Rechenschaft schuldet er nur den Gesellschaftern.
Das sind keine Unbekannten. 50 Prozent hält Rocket Internet, der Inkubator der Samwer-Brüder Oliver, Marc und Alexander. Knapp ein Viertel gehört der schwedischen Beteiligungsgesellschaft Kinnevik, die in etwa gleicher Höhe an Rocket Internet beteiligt ist und seit 2009 insgesamt 700 Millionen Euro in den Brutkasten der Brüder gesteckt haben soll. Jeweils fünf Prozent halten Holtzbrinck Ventures, der Risikokapitalgeber unter dem Dach des gleichnamigen Verlags, der Wurstwarenunternehmer Reinhold Zimmermann (Marke Zimbo) sowie Kreibohm und Jahn. Ein ganz gewöhnliches Konstrukt in der Online-Gründerszene. Jede Finanzierungsrunde schüttelt den Gesellschafterkreis.
Die Parole für Home 24 hat Oliver Samwer ausgegeben. Ein "Blitzkrieg" soll es werden, heizte er im Herbst vergangenen Jahres seinen Mitstreitern in einer vertraulichen Mail ein. Sie verbreitete sich so rasch wie ein Feuer im Busch. In der Welt des Internets bleibt nichts lange geheim und es geht nichts verloren.
Auszüge tauchten wenig später im Blog Techcrunch auf. Da wird Samwer mit der Absicht zitiert, 2012 die Nummer eins im E-Commerce für Möbel werden zu wollen. "Das ist Deine letzte Chance Deines Lebens, die Chance im E-Commerce ein Milliarden-Unternehmen aufzubauen kommt nie wieder", zitieren die Blogger aus Samwers Brandmail. Und weiter: "Deine Enkel werden Dich fragen, warum Du es nicht gemacht hast." Überraschungen wolle er, Samwer, bei der Verwirklichung seiner Pläne nicht erleben.
Die radikale Wortwahl fand wenig Gefallen im Netz. Für das Wort "Blitzkrieg", ein Terminus aus dem Zweiten Weltkrieg, soll sich Samwer später entschuldigt haben. Ob er die Mail erhalten habe? Kreibohm äußert sich nicht. So nah er den Samwers war und ist, braucht es ohnehin keine Mail. Der 36-Jährige hat früher für Rocket Internet gearbeitet, er war zusammen mit Felix Jahn einer der Gründungsgeschäftsführer.
Bei Home 24 kann Kreibohm nun beweisen, dass er nicht nur Projekte entwickeln und kontrollieren, sondern auch ein Start-up aufbauen kann - ganz real. Zumindest öffentlich drückt sich Kreibohm gemäßigter als Samwer aus: "Wir führen hier keine Kriege, wir verkaufen Möbel." Die Ziele des Managers sind aber nicht minder ehrgeizig als die seines Gesellschafters: "Möbel bilden die dritte Welle des Online-Handels", sagt er. Was Amazon für den Handel mit Büchern und CDs war und Zappos für Bekleidung und Schuhe soll Home 24 für Möbel werden. Eine Kopie der Kopie.
Das Maß für den Möbelhändler dürfte Zalando sein - mit mehr als einer halben Milliarde Euro Umsatz 2011, nur drei Jahre nach der Gründung. Mit der Plattform für Mode ahmten die Samwers den amerikanischen Händler Zappos nach, den Amazon 2009 schluckte. Nicht die erste und sicher nicht die letzte Copycat. Es ist das Geschäftsprinzip der Samwers. Vorbild für das Auktionshaus Alando war Ebay, für Citydeal stand das Gutscheinportal Groupon Pate. Beide Samwer-Klone schluckte für Millionen der Geklonte.
Doch nicht immer ist die Kopie erfolgreich. Das Internetportal Gruenderszene hat die Pleiten sorgfältig aufgezählt: Plattformen wie Arztplatz, eCareer, Dealstreet. Ständig testen die Brüder, was geht. Läuft es nicht, wird nicht lange gefackelt. Auch den Einrichtungsmarkt bohrte Rocket Internet zunächst unter dem Dach von FP mit mehreren Nischenshops an: Möbel-Profi, Gartenmöbel-Experte und Lampen-Experte. Möbel-Profi mutierte Anfang 2012 zu Home 24, unter deren Dach dann die beiden anderen schlüpften.
Nach Angaben des Verbandes der deutschen Möbelindustrie gibt der Durchschnittsdeutsche 360 Euro im Jahr für Möbel aus. Insgesamt setzte die Branche 2010 knapp 30 Milliarden Euro um. Am liebsten gehen die Deutschen immer noch ins Möbelhaus, fand das Handelsinstitut EHI heraus. Größter Händler ist hierzulande mit etwa 3,5 Milliarden Euro jährlichem Umsatz Ikea - vor Höffner mit geschätzt knapp zwei Milliarden Euro und XXXLutz mit geschätzt 1,6 Milliarden Euro. Das geht aus Daten der Fachzeitschrift Möbel Kultur hervor.
Möbel kaufen die Deutschen seltener im Internet als Mode. Der Online-Handel mit Möbeln und Deko-Artikeln stieg 2010 nach Angaben des Bundesverbandes des Deutschen Versandhandels um fast ein Drittel auf 850 Millionen Euro. Hinzu kommen noch Haushaltswaren und Gartenmöbel.
Der Markt ist schwer zu greifen: Die Beratungsfirma IFH Retail Consultants beziffert den deutschen Online-Handel mit Möbeln auf 2,2 Milliarden Euro, 2020 soll er schon bei vier Milliarden Euro liegen. Ganz sauber lassen sich die Umsätze in den verschiedenen Vertriebswegen nicht mehr trennen, klagt das Handelsinstitut EHI. "Viele Kunden informieren sich online und kaufen dann stationär. Und viele probieren im Laden, was sie hinterher online kaufen." In einem aber sind sich alle Auguren einig: Die Wachstumsraten sind erheblich.
Probe sitzen können die Kunden in Kreibohms Laden jedenfalls nicht. Noch nicht. Im Erdgeschoss des Firmensitzes entsteht gerade ein Showroom. In den Hinterhof an der Greifswalder Straße ist der Online-Händler erst vor ein paar Wochen gezogen. Bis in die 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts saß dort die Zigarettenfabrik Problem. Nach dem Zweiten Weltkrieg schneiderte der VEB Fortschritt dort Herrenbekleidung, dann der VEB Treffmodelle "schwere Damen-Oberbekleidung" - angeblich auch für westdeutsche Versandhändler wie Quelle und Neckermann.
Home 24 ist nicht das einzige Start-up, das sich durch den Einzug in ein Gebäude mit Geschichte einen Hauch von Tradition verleiht. In den Großraumbüros im dritten bis fünften Stock wird es jetzt schon eng. 200 der weltweit insgesamt 350 Mitarbeiter von Home 24 kümmern sich dort um die Web-Seite, die Hotline, Softwareentwicklung, Marketing und den Vertrieb im Ausland. "Die richtigen Leute zur richtigen Zeit zu finden" ist Kreibohms schwierigste Aufgabe, sagt er.
80 000 Artikel von mehr als 1000 Herstellern führt Home 24: Möbel, Lampen, Heimtextilien und Accessoires für den Garten. "Vielleicht ist das Sortiment sogar zu groß", sagt Kreibohm. "Es braucht keine zig Varianten eines zweitürigen Schlafzimmerschranks." Neben eigenen Namen wie Fredriks, Top Square oder Jack & Alice vertreiben die Berliner viele fremde Marken wie Fissler, WMF oder Rauch.
Das Gros der Möbel bewegt sich in "konsumigen Preislagen", sagt Kreibohm. Heißt: Kaum eine "Wohnlandschaft" kostet mehr als 1000 Euro. Das Schlafsofa Latisana der eigenen Marke Frederiks etwa gibt es, inzwischen um die Hälfte reduziert, ab 249 Euro. Lieferbar sei es, heißt es auf der Homepage, innerhalb von einer Woche. Einbauküchen sind nicht im Programm. "Die taugen wegen des großen Planungsaufwandes nicht für den Online-Vertrieb", sagt Kreibohm.
Innerhalb Deutschlands ist der Versand zwischen sieben und 18 Uhr kostenlos. Mit "rund zehn Prozent" ist die Retourenquote deutlich geringer als bei Mode. Am Stadtrand von Berlin unterhält Home 24 mittlerweile ein eigenes Auslieferungslager, ein weiteres steht im Rheinland.
Am 2009 gegründeten Berliner Online-Möbelhändler Fashion-For-Home haben die Samwer-Brüder inzwischen das Interesse verloren: Anfang Juli wurde bekannt, dass sie ihren Anteil von 21 Prozent an Acton Capital verkauft haben, den Wagniskapitalgeber des Verlegers Hubert Burda. Als Indiz, dass die Samwers sich bald auch von Home 24 trennen könnten, wertet Kreibohm das nicht. Doch es zeigt, wie hart um den Milliardenmarkt gerungen wird.
Fashion-For-Home ist ein Geschöpf von Christoph Cordes, Sohn des ehemaligen Metro-Chefs Eckhard Cordes, und Marc Appelhoff, dessen Vater Klaus Appelhoff im Karstadt-Vorstand diente. Und die beiden Gründer haben mit der Schweizer Familienholding Haligk und Holtzbrinck Ventures versierte und vermögende Anteilseigner an Bord geholt.
Die Zahl der Online-Anbieter schätzt das Fachblatt Möbel Kultur auf insgesamt 250, die meisten kommen demnach gar nicht aus dem stationären Handel. Die 2009 von Brigitte Wittekind und den Brüdern Burkhard und Ulrich Gersch gegründete Münchner Firma Avandeo, früher design2desire, hat sich auf Design-Möbel und Accessoires spezialisiert. Auf der Plattform dürfen auch junge Talente ihre Entwürfe anbieten. Über die kann man dann im Internet abstimmen.
Auch Amazon verkauft längst Möbel. Größter Online-Händler ist laut Möbel Kultur die Otto-Gruppe. Auch Ketten wie Depot oder Butlers schlagen sich wacker. Während sich Konzerne wie Höffner oder XXXLutz auf der grünen Wiese mit immer neuen teuren Wohnpalästen von mehreren tausend Quadratmetern bekriegen, machen andere im Netz das Geschäft.