Coronavirus:Ein Ölpreis-Einbruch ohne historisches Vorbild

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Neueste Vorhersagen lassen vermuten, dass sich die Lage nicht so schnell wieder entspannen dürfte. (Foto: Arne Dedert/dpa)
  • Der Ölpreis ist am Montag so heftig abgestürzt wie zuletzt vor 29 Jahren: Ein Fass der Ölsorte Brent kostete zeitweise nur noch gut 30 Dollar.
  • Vorhersagen lassen vermuten, dass sich die Lage allzu schnell nicht entspannen dürfte - und das trifft Energiekonzerne, Währungen und Staatshaushalte.

Von Jan Willmroth, Frankfurt

Als die Öl- und Energieminister und die anderen Opec-Gesandten vergangene Woche in Wien eintrafen, schien die Stimmung gelöst, es gab zu scherzen. Opec-Generalsekretär Mohammed Barkindo begrüßte seine Gäste symbolisch ohne Handschlag, sein Büro veröffentlichte ein Video, das ihn und Russlands Energieminister Alexander Nowak dabei zeigte, wie sie ihre Schuhe aneinanderschlugen. Kurz danach aber wurde es ernst. Die Mitglieder des Ölkartells und ihre Partnerstaaten rangen um das richtige Vorgehen, suchten nach Wegen, gemeinsam die Ölproduktion zu drosseln, um den Preis zu stützen. Doch sie gingen ergebnislos auseinander. Schon am Freitag fielen die Weltmarktpreise für Öl um zehn Prozent.

Am Wochenende machte Saudi-Arabien als weltweit größter und wichtigster Ölexporteur Ernst und trat den heftigsten Preiskampf los, den die Rohstoffmärkte seit Langem gesehen haben. Das Königreich kündigte an, deutlich mehr Öl zu fördern und die Preise seiner wichtigsten Ölsorten zu senken. Russland, der Weltexporteur Nummer zwei, gab seinen Ölkonzernen alle Förderquoten frei. Als dann am Montag der Börsenhandel losging, zuerst in Asien, stürzten die Preise ab, und zwar um bis zu 30 Prozent - so heftig wie zuletzt vor 29 Jahren. Die für den Weltmarkt maßgebliche Ölsorte Brent kostete zeitweise nur noch gut 30 Dollar pro Fass (159 Liter).

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Es ist ein Einbruch ohne historisches Vorbild: Von China ausgehend schmälert die Corona-Krise akut die Nachfrage in zahlreichen Volkswirtschaften, und zugleich weiten die tonangebenden Ölförderer massiv ihre Produktion aus. Dieser doppelte Schock wird bis in alle Verästelungen des Weltwirtschaftssystems zu spüren sein. Große Energiekonzerne wie Royal Dutch Shell oder Exxon Mobil, deren Aktienkurse am Montag einbrachen, müssen ihre Pläne ändern. Von den vielen kleinen Ölfirmen in den USA geraten einige in Existenznot. Die Staatshaushalte von Energieexporteuren wie Irak, Nigeria oder Angola kommen ins Wanken. Die Währungen von Ölförderstaaten verlieren an Kaufkraft. Saudi-Arabiens riskante Strategie wird das politische Machtgefüge in der Welt beeinflussen. Im Kampf gegen den Klimawandel sind fallende Preise für fossile Brennstoffe immer eine schlechte Nachricht, weil sie den Umstieg auf erneuerbare Energien weniger attraktiv machen.

Mit dem jüngsten Treffen des als "Opec+" bekannt gewordenen Länderklubs in Wien ist dieser nun schon wieder Geschichte. Saudi-Arabien hatte sich seit Ende 2016 mit Russland einen Verbündeten gesucht, weil die 14 Opec-Staaten allein zu wenig Einfluss auf die Preise hatten. Also setzte man sich mit zehn Partnern zusammen, mit denen man gemeinsam etwa die Hälfte des globalen Ölangebots kontrolliert. Mehrfach beschlossen die 24 Staaten geringere Förderquoten, um den Ölpreis zu stabilisieren. Das aber war schon der Opec nie über längere Zeiträume gelungen, und von Beginn an war klar, dass jeder Deal allein von der Zusammenarbeit Saudi-Arabiens mit Russland abhängt.

Binnen weniger Tage sind aus Verbündeten nun wieder Konkurrenten geworden. Saudi-Arabien habe "einen neuen Preiskrieg um Marktanteile eröffnet", schreibt Commerzbank-Rohstoffspezialist Carsten Fritsch und ist mit dieser Wortwahl keine Ausnahme. Hauptziel der Maßnahmen sei Russland. Gemeinsam sehen beide Energiemächte wieder eine Chance, der amerikanischen Schieferölindustrie zuzusetzen. Die hat in den vergangenen Jahren von den Förderkürzungen der Opec+ profitiert, denn sie braucht stabile Preise, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Zwar haben die Schieferölproduzenten während des vorigen Preisverfalls der Jahre 2015 und 2016 ihre Kosten gedrückt, doch sind viele der Firmen noch immer hoch verschuldet und anfällig, wenn die Preise zu lange zu niedrig bleiben.

Prognosen sind derzeit unsicherer als ohnehin schon

Neueste Vorhersagen lassen vermuten, dass sich die Lage nicht so schnell entspannen dürfte. Die Internationale Energie-Agentur (IEA) erwartet erstmals seit 2009 eine auf Jahressicht sinkende globale Ölnachfrage; IEA-Chef Fatih Birol spricht von einer in der Geschichte der Ölmärkte einzigartigen Situation. In ihrem neuen Ölmarktausblick begründen die Experten der Organisation ihre Prognose mit der wegen des Virus eingebrochenen Nachfrage in China sowie mit "größeren Verwerfungen" im Welthandel und mit Blick auf das Reiseaufkommen. Gleichzeitig betonen sie, wie viel unsicherer als ohnehin schon Prognosen momentan sind.

Zwar mögen sich Autofahrer an deutschen Tankstellen über den Ölpreisschock freuen - an den Finanzmärkten verstärkt der Absturz der Energiepreise jedoch die Nervosität und zeigt, warum der ökonomische Fachbegriff des Schocks oft ganz treffend ist. Eine solche Konstellation erlebe er zum ersten Mal, sagte der Chef-Rohstoffanalyst der Citibank, Ed Morse: ein signifikantes Überangebot und einen Nachfrageschock zur selben Zeit. "Diese Kombination ist wirklich ungewöhnlich und macht es schwierig zu sehen, wie man sich da wieder herausarbeitet."

© SZ vom 10.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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