Das Schild am Bretterzaun neben der Hofeinfahrt hängt noch: "Naturland" steht da, in Grün, darüber drei sich biegende Blätter. Grün ist es rund um den Bauernhof von Johann Glockner immer noch und drinnen eigentlich auch, doch das Schild eines der größten ökologischen Anbauverbände müsste weg. Bald will Glockner hinausgehen und zumindest handschriftlich darüber ergänzen: "Leider nicht mehr". Um niemanden mehr in die Irre zu führen. Aber auch, um Fragen aufzuwerfen.
Seit Anfang des Jahres ist Johann Glockner, 59, aus Reitham, einem 110-Einwohner-Dorf im bayerischen Oberland, kein Bio-Bauer mehr und aus den Eutern seiner Kühe kommt keine Bio-Milch mehr, für die er zehn Cent mehr pro Liter bekäme. Dabei hat sich nicht viel geändert. Und deswegen hat Glockner ein Interesse daran, zu erklären, warum das so ist.
Fünf Prozent weniger Bio-Betriebe pro Jahr
Es geht vielen so wie ihm. Eine Studie des Thünen-Instituts kam 2013 zu dem Ergebnis, dass pro Jahr 415 Bio-Betriebe und damit 3,3 Prozent wieder zur konventionellen Landwirtschaft zurückkehren. Weitere 191 geben ganz auf. Vor allem aus ökonomischen Gründen: Weil sie zu wenig verdienen, weil Prämien gekürzt wurden, die Kosten für Bio-Futter, Kontrollen und Zertifizierung zu hoch waren oder sie ihre Ware nur schwer vermarkten konnten. Damit gehen der ökologischen Landwirtschaft Jahr für Jahr fast fünf Prozent der Betriebe verloren.
Obwohl man hierzulande händeringend, mit Programmen, Vor-Ort-Beratern und Kursen an eigens eingerichteten Akademien (wie dieser oder dieser) versucht, mehr Landwirte für die ökologische Landwirtschaft zu gewinnen. Weil es zu wenig Bio-Bauern und zu wenig Flächen für den stetig steigenden Bedarf gibt. 2013 ist der Bio-Markt in Deutschland um 7,2 Prozent gewachsen. Die bewirtschaftete Fläche nur um ein, die Zahl der Betriebe um zwei Prozent. Weil die Nachfrage nicht mehr zu decken ist, wird bereits heute ein Großteil der Bio-Lebensmittel importiert - ein Paradoxon eigentlich, angesichts des ursprünglichen Anspruchs an den ökologischen Landbau.
Johann Glockner ist ein konservativer Mann. Er ist Mitglied im CSU-Ortsverband, trägt Cordhose, grünkariertes Hemd, Strickweste. In seiner Stube blättert er mit Fingern, rissig und dick wie Flaschenhälse, in seinen Unterlagen, in Biorichtlinien, Abrechnungen und Jahresbilanzen. Über ihm im Herrgottswinkel das Kruzifix, Heiligenbilder darunter. Aber Glockner, kräftig, grau-weißer Drei-Tage-Bart, dünner werdendes Haar, ist kein Klischee des grantelnden oberbayerischen Landwirts, der mit dem neumodischen Bio-Kram nichts zu tun haben will. Das will er oder vielmehr wollte er, gerade weil er ein konservativer Mann ist - im Wortsinn.
Weil es ihm darum geht, zu erhalten, was er hat. Er wirtschaftet nachhaltig, auch wenn das vielleicht doch ein zu neumodisches Wort ist. Aus ökonomischer Vernunft und aus Überzeugung. Glockner hat 23 Milchkühe, im Schnitt sind es in Deutschland 67 pro Halter. Der Stall ist überschaubar, Spinnweben in den Ecken, durch die Fenster fällt gelblich das Licht. Die Kühe sitzen oder liegen auf dem Boden, vorne eine Rinne fürs Futter, hinten eine für den Kot. Sie fressen, kauen, mahlen, schauen. Eine reckt den Kopf, Glockner stupst mit dem Zeigefinger gegen die rosafarbene, feuchte Stelle zwischen den Nüstern: "Neugierig, gell?"
10.000 Liter pro Jahr aus den Eutern der Hochleistungskühe
Eine Kuh gibt Milch, wenn sie ein Kälbchen bekommt. Seit der Mensch sich der Euter angenommen hat, ist die Jahresleistung, so nennt man das, kontinuierlich gestiegen. 2013 waren es der Deutschen Milchleistungsprüfung zufolge im Schnitt 8200 Liter, mehr als doppelt so viel wie noch 1950. Die Spitzenwerte der Hochleistungskühe liegen bei mehr als 10.000 Litern. Glockner spricht da von "Doping", weil solche Werte nur mit erheblichem Kraftfuttereinsatz zu erreichen sind, und kritisiert den grassierenden "Gigantismus" in der Landwirtschaft. "Nur Vollgas fahren geht nicht." In diesem System ist die Kuh eine milchproduzierende Maschine. Wenn die Maschine kaputtgeht, wird sie ausgetauscht und verschrottet. Die Durchschnitts-Milchkuh wird etwa fünf Jahre alt.
Glockners Kühe geben auch Milch, 5700 Liter im Jahr. Sie könnten mehr geben, aber dann dürften sie nur fressen und im Stall stehen und keine Kalorien auf dem Weg zur Weide verbrennen. Glockner müsste ihnen das Gras mit dem Traktor auf den Hof fahren, was er nicht will. Sie werden älter, 7,2 Jahre im Schnitt. Und deswegen ist ihre Gesamtleistung, wie es heißt, höher als der Durchschnitt. Wie bei Frieda, deren goldene Plakette Glockner stolz zeigt, für 70.000 Liter Milch Lebensleistung. Eine "Ausnahmekuh" nennt Glockner sie.
Und sie haben Hörner, weil "ich meine Küh' net verstümmeln lass', weil eine Kuh mit Hörndl noch Würde hat". Weil die Hörner länger werden, je älter eine Kuh wird, und sie Jahresringe haben wie die Bäume: ein Ring pro Kalb. Die Hörner einer Kuh sind längst keine Selbstverständlichkeit mehr, sondern die Ausnahme. Selbst 70 Prozent der Bio-Betriebe enthornen. Er sehe an den Augen, ob es einer Kuh gut gehe, sagt Glockner, und dass es bei seinen so sei. Er glaubt das, auch wenn sich seine Kühe nicht viel bewegen können, zumindest im Winter nicht, und obwohl sie an Hals und Schulter Tag für Tag zwischen zwei mit rotem Plastik ummantelten Bügeln stehen.