Nord Stream 2:Jetzt wird's ernst

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Das russische Pipeline-Verlegeschiff "Akademik Tscherski" soll die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 fertigstellen. (Foto: Jens Koehler/imago images)

Seit Jahren kämpfen die USA mit allen Mitteln gegen die neue Ostsee-Pipeline. Ob der Streit eskaliert, hängt nun auch von Joe Biden ab.

Von Michael Bauchmüller und Daniel Brössler, Berlin

Am Vormittag setzt sich die Fortuna in Bewegung. Tagelang war sie mehr oder weniger im Kreis gefahren, immer in dem Versuch, irgendwie die Position zu halten, in der Ostsee, nicht weit vom Darß. Dann macht sie sich auf den Weg Richtung Osten. Geht der Ärger damit los?

Eine offizielle Warnung für Seefahrer gibt es schon seit dem Wochenende, die nautische Warnnachricht Nr. 512: die Fortuna, so heißt es da, werde in der südlichen Ostsee arbeiten, wenige Seemeilen östlich vom Rügener Hafen Sassnitz - "an einer Pipeline". Schiffe sollen Abstand halten. Und diese Pipeline heißt Nord Stream 2, das zweite Paar Erdgas-Röhren zwischen Russland und Deutschland. Nichts belastet die deutsch-amerikanischen Beziehungen mehr als dieses Projekt.

Die Arbeiten der Fortuna sind ein erster Test auf die US-Sanktionen. Es geht nur um ein kurzes Stück in deutschen Gewässern, rund 2,6 Kilometer. Verlegt werden sollen sie im Schutzgebiet "Adlergrund", die Genehmigung dafür ist bis Ende dieses Monats befristet. Der Adlergrund ist für Ostsee-Verhältnisse geradezu seicht, um die 30 Meter tief. Und das ist in diesem Fall nicht unwichtig.

Seit Jahren bekämpft Washington mit allen Mitteln den Bau der Pipeline, und zwar Demokraten und Republikaner gleichermaßen. Sie fürchten zusätzlichen Einfluss Russlands, Nachteile für die Ukraine und eine wachsende Abhängigkeit Mitteleuropas von seinem Gas. Lieber würden die USA selbst Europa mit Gas versorgen, nicht selten gewonnen durch das umstrittene Fracking. Äußerst erfolgreich drohte der US-Kongress deshalb allen beteiligten Firmen Sanktionen an, bis hin zu Versicherern. Der Pipeline-Verleger Allseas zog seine Schiffe zurück, zuletzt stellte kürzlich auch der norwegische Schiffs-Zertifizierer DNV GL die Zusammenarbeit ein.

Das Verlegen der Pipeline entlang der dänischen Insel Bornholm ist heikel

Ist das 9,5-Milliarden-Euro Projekt Nord Stream 2 damit gestorben? Gearbeitet wird mittlerweile mit allen Tricks. Aus Russland kamen die Verlegeschiffe Akademik Tscherski und Fortuna. Und wenn die Fortuna nun loslegt, dann auch in einer rechtlichen Lücke: Denn die US-Sanktionen gegen Schiffe gelten nur, wenn sie in mehr als 100 Fuß Tiefe operieren. Das sind gut 30 Meter. Das heiklere Stück dagegen sind jene gut 160 Kilometer Pipeline entlang der dänischen Insel Bornholm.

Und hier verspricht auch die neue US-Regierung unter Joe Biden eher keinen neuen Kurs. Darauf spielte kürzlich auch die geschäftsführende US-Botschafterin in Berlin, Robin Quinville, an. "Jetzt ist der Zeitpunkt für Deutschland und die EU, ein Moratorium für den Bau der Pipeline zu verhängen", sagte sie dem Handelsblatt. So könne ein deutliches Zeichen gesetzt werden, dass Europa "das anhaltende bösartige Verhalten Russlands nicht länger hinnimmt". Ein Zeichen wäre es freilich auch an die künftige US-Regierung, diesen schweren Konflikt beilegen zu wollen.

Daraus allerdings wird vermutlich nichts. Mit dem neuen Präsidenten wolle man die Zusammenarbeit suchen, sagte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich am Mittwoch während der Haushaltsdebatte im Bundestag, müsse sich aber im Fall von Nord Stream "mit aller Klarheit und mit allem Selbstbewusstsein" auch auf "Härte und Konfrontation" einstellen. Aus Sicht von Mützenich heißt das: effektive Gegenmittel zum Schutz vor den US-Sanktionen entwickeln.

Eine Idee, die man "nicht sofort beiseite wischen" sollte, sagt der SPD-Fraktionschef

Mützenich wirbt für eine Idee, die bisher in der Bundesregierung auf wenig Begeisterung gestoßen war. Der SPD-geführten Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern schwebt nach einem Bericht der Ostsee-Zeitung die Gründung einer "Stiftung Klimaschutz M-V" vor, unter deren Schutz die Pipeline fertiggestellt werden könnte. Als Stiftungszweck solle auch die "Sicherung der Energieversorgung" genannt werden. Man solle diese Idee "nicht sofort beiseite wischen", appellierte Mützenich. Die Überlegungen seien "nicht nur beachtlich, sondern auch richtig", um für die deutschen Interessen einzutreten.

Für Schärfe plädiert auch der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses im Bundestag, Klaus Ernst (Linke). "Können Sie nicht verstehen, dass es auf Seiten der Europäer Unverständnis und Ärger hervorruft, wenn die USA sie vor etwas beschützen wollen, von dem sie sich gar nicht bedroht fühlen?", schrieb er an die geschäftsführende US-Botschafterin. In den neu gewählten Präsidenten setzten die Europäer große Hoffnungen. "Warum", fragt Ernst, "riskieren Sie mit einseitigen Forderungen diesen Hoffnungsschimmer zu zerstören?"

Ein Hoffnungsschimmer wird in der Bundesregierung allerdings durchaus noch gesehen. Im - von Trump noch mit einem Veto bedrohten - Gesetz zum Verteidigungshaushalt für das kommende Jahr finden sich auch Passagen, die Nord Stream 2 betreffen. Demnach sollen die USA die "relevanten Regierungen" konsultieren und diplomatische Erwägungen berücksichtigen, bevor sie Sanktionen verhängen. In Berlin freut man sich über diesen größeren Ermessensspielraum. Die Frage bleibt allerdings, was die Regierung Biden daraus macht.

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