Kriminelle Reporter, Privatdetektive und korrupte Polizisten: Großbritannien erlebt in der Affäre um die Zeitung "News of the World" eine erschütterte Mediendynastie, Rücktritte und jetzt auch einen Todesfall. Gegen wen wird ermittelt? Wer übernimmt die Verantwortung in Rupert Murdochs Konzern? Früher taten britische Parlamentarier alles, um ja nicht den Zorn seiner Blätter auf sich zu ziehen, heute muss Rupert Murdoch ihnen Rede und Antwort zum Abhörskandal stehen: Der 80-jährige Australier, der auch die amerikanische Staatsbürgerschaft besitzt, fuhr am Dienstagvormittag zum Unterhaus. Dort muss der Medienboss erklären, wie sich die Praxis, Promis und einfache Briten abzuhören, so weit verbreiten konnte - und was er und die Verantwortlichen in seinem Konzern News Corp. davon wussten. Zu News Corp. gehört News International, der britische Verlag, in dem die Skandalzeitung News of the World bis Anfang Juli erschien. Jahrelang hatten die Enthüllungen über phone hacking keine Konsequenzen für Murdoch selbst gehabt - obwohl es bereits seit langem Berichte über die "dunklen Künste" in seiner Zeitung gegeben hatte, wie die Briten das illegale Abhören nennen. Inzwischen hat Murdoch reagiert: News of the World machte er dicht, die geplante Komplettübernahme des Pay-TV-Senders BSkyB musste er wegen des öffentlichen Drucks zurückziehen.
Seine Verhaftung brachte den Stein ins Rollen: Glenn Mulcaire, Privatdetektiv. Anfang des Jahrtausends fanden Boulevardjournalisten heraus, dass sie mit einfacher Technik Nachrichten auf Mobilboxen fremder Handys abhören konnten. Für News of the World wurde Mulcaire zum wichtigsten Lauscher: Er hörte unter anderem das Model Elle McPherson ab. Mulcaire war mutmaßlich auch derjenige, der 2002 die Mailbox der ermordeten Milly Dowler hackte und sogar gespeicherte Nachrichten löschte, um Platz für neue zu schaffen. Vor allem konzentrierte er sich aber auf die Royals. Deren Privatleben war schließlich das Spezialgbiet von Mulcaires Auftraggeber ...
... Clive Goodman, bei News of the World zuständig für das Königshaus. Das Abhören wurde zur gängigen Praxis, erinnerte sich Paul McMullen, ehemaliger Redakteur bei News of the World, im US-Magazin Vanity Fair: "Es war so einfach, dass es jeder tat, es gab absolut keinen Grund, es nicht zu tun." Doch 2006 flogen Goodman und Mulcaire auf: Nachdem Goodman wörtlich aus Mailbox-Nachrichten von Prinz William zitiert hatte, wurde das Königshaus misstrauisch und informierte die Polizei. Goodman und Mulcaire bekannten sich schuldig, die Telefone von Palastangestellten gehackt zu haben und wanderten für vier beziehungsweise sechs Monate ins Gefängnis. Goodman, mittlerweile 53, wurde nach den neuen Enthüllungen Anfang Juli 2011 erneut verhaftet. Auch Goodmans Chef musste gehen ...
... Andy Coulson nahm 2007 seinen Hut als Chefredakteur von News of the World - und bestritt gleichzeitig, von den illegalen Aktionen Goodmans gewusst zu haben. Dann machte Coulson erst mal weiter Karriere: Er wurde Kommunikationschef der britischen Konservativen und nach deren Wahlsieg Berater des neuen Regierungschefs David Cameron. Er trug den Skandal damit bis ins Büro des Premiers: Nachdem ein ehemaliger Reporter von News of the World in der New York Times schwere Anschuldigungen gegen Coulson erhob, trat der im Januar 2011 von seinem Amt zurück.
Dieser Journalist ist seit Montag tot: Sean Hoare war in vielerlei Hinsicht das Klischee eines Reporters aus der Fleet Street, jener Straße, in der sich in London bis in die achtziger Jahre die Zeitungshäuser ballten. Er suchte nach skandalösen Storys und führte auch einen entsprechenden Lebenswandel: "Ich werde dafür bezahlt, mit Rockstars zu feiern", soll der Society-Reporter einmal gesagt haben. "Ich betrinke mich mit ihnen, nehme Pillen mit ihnen und schnupfe Kokain mit ihnen." Dafür zahlte Hoare einen Preis: Sein Süchte bekam er nicht in den Griff, News of the World feuerte ihn. Ob aus schlechtem Gewissen oder um Rache an seinem früheren Arbeitgeber zu nehmen - Hoare packte in der New York Times aus. Als Coulson die Zeitung noch leitete, habe der ihn "aktiv ermutigt, es zu tun", sagte Hoare über das Abhören. Beweise dafür legte er allerdings nie vor. Am Montag wurde er tot in seinem Haus nordwestlich von London gefunden. Schon wuchern die Verschwörungstheorien, warum ausgerechnet jetzt einer der whistleblower in dem Skandal stirbt. Die Polizei aber geht nicht von einem Verbrechen aus.
Ein Schild fehlt: Das Logo der News of the World ist bereits von der News-International-Zentrale in London verschwunden. Mehrere Journalisten des Blattes müssen sich wohl vor Gericht verantworten - wegen der "dunklen Kunst" des Telefonabhörens. Seit April wurden fünf Reporter festgenommen, einige sind auf Kaution zumindest wieder freigekommen.
Der brave Sohn war James Murdoch nicht immer: In den neunziger Jahren tobte er sich in New York aus und gründete das Hiphop-Label Rawkus, bei dem unter anderem Musik des Rappers Eminem erschien. Mit solchen Extravaganzen war bald Schluss - das Label wurde vom Konzern des Vaters gekauft, James steigt innerhalb von News Corp. auf: Während des Skandals unterstützt er seinen Vater und galt immer als aussichtsreicher Kandidat, um in dessen Fußstapfen zu treten. Doch nun muss auch der Sohn des Moguls vor dem Parlament in London aussagen, schließlich ist James Europa-Chef der News Corporation und somit für News of the World verantwortlich. Deshalb ist zweifelhaft, ob James Kronprinz bleiben kann. Immerhin ist die Zeitungsgruppe News International dank des News of the World-Desasters angeschlagen, die vollständige Übernahme des Senders BSkyB musste News Corp. abgeblasen.
Elisabeth Murdoch hatte sich eigentlich von ihrem Vater abgewandt, doch in diesem Jahr verkaufte sie ihre Fernsehproduktionsfirma Shine an die News Corp. des Vaters, wo sie jetzt im Vorstand sitzt. Wenn es um Murdochs Nachfolge geht, hat seine Tochter einen Vorteil: Als bei News of the World gegen Gesetze verstoßen wurde, hatte sie mit News Corp. nichts zu tun. Doch wenn sich die Affäre weiter ausweitet, könnte ihr der Nachname im Weg stehen. Auch ein anderer News-Corp.-Oberer darf sich Hoffnungen machen ...
... Chase Carey ist stellvertretender Chef von News Corp. Der Amerikaner mit dem imposanten Schnauzer arbeitete bei Fox News und hat wenig mit der Großbritannien-Clique innerhalb des Konzerns zu tun. Außerdem ist er nicht Teil der Murdoch-Dynastie, gilt jedoch als wenig aufmüpfig und steht loyal zu Murdoch. Das würde dem Mogul im Falle eines Rücktritts sicherlich gefallen. Am Dienstag meldete das Wall Street Journal, dass Murdoch tatsächlich auf Carey setzt: "Bereits bevor der Skandal in den vergangenen Wochen aufflammte", habe Murdoch einen Rücktritt als Firmenchef zugunsten Careys erwogen, berichtete die Zeitung unter Berufung auf das "mit der Situation vertraute Umfeld" Murdochs. Das Wall Street Journal dürfte gut informiert sein: Das Blatt gehört Murdochs News Corp. In dem erwogenen Szenario würde Murdoch aber Verwaltungsratchef bleiben.
Es ist der bisher wohl tiefste Fall im Abhörskandal: Rebekah Brooks war einer der mächtigsten Medienmenschen Großbritanniens. Mit nur 29 Jahren wurde die Journalistin stellvertretende Chefredakteurin der Sun, mit 32 Chefin der News of the World, bis sie den Posten 2003 an Andy Coulson abgab und weiter aufstieg: Sie wurde Chefin des Verlages News International, der Sun und News of the World herausgibt. Wie Coulson steht auch Brooks symbolisch für die unheimliche Nähe von Macht und Klatschpresse in Großbritannien: Sie aß mit Tony Blair zu Mittag und mit seinem Labour-Rivalen Gordon Brown zu Abend. Als Rebekah, die damals noch Wade hieß, 2009 den Pferdetrainer Charlie Brooks heiratete, fanden sich auf der Gästeliste illustre Namen. Unter anderem die von Gordon Brown und David Cameron, der mächtigsten Politiker des Landes. Am Sonntag wurde Brooks festgenommen, die Polizei befragte sie darüber, was sie von den Abhöraktionen wusste. Sie wurde auf Kaution wieder freigelassen und sagt an diesem Dienstag vor dem Medienausschuss des Parlaments aus.
Es ist nicht nur ein Medienskandal, und es ist nicht nur ein politischer Skandal: Was die Briten wirklich schockiert, ist, dass selbst eine altehrwürdige Institution wie Scotland Yard mit in den Sog der Abhöraffäre geraten ist. Polizisten hatten Informationen an Reporter verkauft, angeblich wurden mögliche Beweise in den Verfahren gegen Reporter Clive Goodman und Detektiv Glenn Mulcaire zurückgehalten. Polizisten verzögerten also die Aufklärung der Fälle, zu der sie eigentlich beitragen sollten. Am Freitag trat ihr Leiter Paul Stephenson (Bild) zurück. Er war regelmäßig mit den Chefs von News International essen gegangen. Am Montag warf auch sein Vize John Yates hin. Über der wichtigsten Polizeibehörde des Landes liegt der Ruch der Korruption.