Zum Beispiel wäre da dieser Montag Anfang Januar, kurz vor halb neun. Die Republik ist noch fassungslos über die neuesten Nachrichten vom Hauptstadtflughafen BER: Seine Eröffnung wird zum vierten Mal verschoben. Da versendet die Fluggesellschaft Air Berlin die knappe Nachricht, man werde sich mit sofortiger Wirkung von ihrem Chef Hartmut Mehdorn trennen. Mehdorn, der große Sanierer, muss vor der Zeit abdanken. Diese zeitliche Koinzidenz zweier Niederlagen ist nur ein kleiner Beleg für die unendliche Ironie der neuesten Wendung: Hartmut Mehdorn wird Sanierer des missratenen Flughafen-Baus. Von Montagmorgen an, 7 Uhr.
Hartmut Mehdorn und der Berliner Flughafen. Da ist der Bahnchef Mehdorn, der 2006 zusammen mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit und dem Ministerpräsidenten Matthias Platzeck den Spaten in den märkischen Sand sticht. Die Bahn will die Gleise zu jenem Flughafen legen, der damals noch 2011 fertig sein soll, für 2,7 Milliarden Euro. Die Bahnstrecke wird fertig, der Flughafen nicht. Die Kosten steigen auf 4,3 Milliarden Euro. Und da ist der Air-Berlin-Chef Mehdorn.
Im Sommer 2011 wird er gerufen, das kriselnde Unternehmen zu sanieren. Doch zu den vielen Widrigkeiten, mit denen er zu kämpfen hat, gesellt sich auch dieses: die Baupannen am BER, auf den doch gerade die Berliner Fluggesellschaft so gebaut hatte. "An solche Großvorhaben müssen Profis ran", hat er damals mal gesagt.
Er gehört zur aussterbenden Gattung der unnachgiebigen Gestalter
Mehdorn wäre nicht Mehdorn, wenn er nicht insgeheim gedacht hat: Profis wie ich. Und da ist sogar was dran. Nach all den Blamagen gilt die Berliner Flughafengesellschaft in der Öffentlichkeit inzwischen als eine Art nationales Deppen-Kollektiv. Für so heikle Fälle ist Mehdorn der richtige Mann: Einer, der die Ärmel hochkrempelt, der ein demotiviertes Team wieder begeistern kann, der notfalls auch komplett neue Strukturen schafft. Das ist die eine Seite.
Die andere Seite ist seine Methode. Unter Managern gehört er eindeutig zur vom Aussterben bedrohten Gattung der unnachgiebigen Gestalter. Einer, der seinen Weg gegen alle Widerstände verfolgt, sei er auch falsch. Wohin das führen kann, das hat er bei der Bahn gezeigt. Auch damals war Mehdorn zunächst der richtige Mann zur richtigen Zeit. Er brach Verkrustungen der einstigen Bundesbahn auf, machte den Staatskonzern zum global player.
Gleichzeitig aber verfolgte er wie mit Scheuklappen den Kurs eines Börsengangs, der auf Machtgewinn ausgelegt war, dem Verkehr auf der Schiene aber mehr geschadet als genutzt hätte. Als Mehdorn 2009 auf dem Höhepunkt einer Spitzelaffäre gehen musste, war er in seiner Wagenburg nur noch umgeben von einigen wenigen Getreuen. Mit weiten Teilen der Politik, mit Gewerkschaftern und Aufsichtsräten hatte er sich überworfen. Millionen Bahnkunden pflegten da schon lange ihre Vorurteile gegen den Bahnchef, viele davon auch zu Unrecht.
Vorgeschmack von Mehdorns Kompromisslosigkeit
An Mehdorns Kompromisslosigkeit werden auch diejenigen noch ihre Freude haben, die ihn nun berufen haben. Einen ersten Vorgeschmack hat der BER-Aufsichtsratschef Platzeck am Freitag bekommen. Von Platzecks jüngster Volte, Nachtflüge einzuschränken, hält der neue Flughafenchef nämlich gar nichts. Mobilität, beschied Mehdorn nüchtern bei einer Pressekonferenz, mache eben immer Lärm. Zehntausende Anrainer in Brandenburg werden sich von derlei Auskünften kaum trösten lassen. Aber so ist er, der Mehdorn.
Andere, Vernünftigere, hätten längst aufgehört. Mehdorn, 70, könnte jetzt in seinem Haus in Südfrankreich still den Frühling genießen. Er kann es nicht. Zweimal musste er zuletzt gehen, obwohl er bleiben wollte. Für einen, der sich selbst für einen wahren Profi hält, ist das kaum zu ertragen. Der Flughafen von Berlin, was für eine Ironie, ist Mehdorns letzte Chance.