Neue Deutschland AG:"Total-Askese ist keine Lösung"

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Die Deutschland AG ist tot, es lebe die Deutschland AG: Utopia-Gründerin Langer über die Rettung der Welt - und warum Fastfood nicht verboten ist.

Melanie Ahlemeier

In Berlin haben am Mittwoch die Unternehmen Bionade, Entega, Frosta, GLS Bank, Memo, Otto, Spacenet und Tegut das Changemaker-Manifest von Utopia unterzeichnet. Claudia Langer ist Gründerin von Utopia.de. Bereits mit 19 Jahren rief sie die Eventagentur Avantgarde ins Leben, in den neunziger Jahren dann die Werbeagentur Start. Sie beriet Eon, Burger King und MTV sowie die Deutsche Bank. 2004 stieg sie aus - und verkaufte ihre Agentur. Auf drei Jahre Auszeit folgte vor zwei Jahren die Gründung der Utopia Stiftung und der Utopia AG, einer Online-Plattform für den strategisch-nachhaltigen Konsum. Langer lebt und arbeitet in München.

Claudia Langer: "Wir sind zunehmend optimistisch, weil es eine neue Generation von Chefs und Vorstandsvorsitzenden gibt, die eine neue Haltung zum Thema Verantwortung und Nachhaltigkeit mitbringen." (Foto: Foto: oH)

sueddeutsche.de: Frau Langer, die Deutschland AG ist gescheitert - und Sie gründen an diesem Mittwoch offiziell "Die neue Deutschland AG". Haben Sie keine Angst vor einem negativen Omen?

Claudia Langer: Im Gegenteil. Wir sind zunehmend optimistisch, weil es eine neue Generation von Chefs und Vorstandsvorsitzenden gibt, die eine neue Haltung zum Thema Verantwortung und Nachhaltigkeit mitbringen.

sueddeutsche.de: Wodurch unterscheiden sich die neuen von den alten Chefs?

Langer: Diese Chefs sind viel nachdenklicher, sie reflektieren mehr, und sie wissen um die Gestaltungsmacht, die sie mit ihren Unternehmen haben. Sie sind erreichbarer, sie haben eine andere Empfindlichkeit als die Chefs, die ich in den vergangenen 20 Jahren kennenlernen durfte. Da ich für Banken und auch Energieversorger gearbeitet habe, habe ich die alte Deutschland AG sehr gut kennengelernt - und ich habe für mich beschlossen, dass die alte Deutschland AG nicht Teil der Lösung war und auch nicht sein wollte.

sueddeutsche.de: Was versteckt sich konkret hinter dem Schlagwort "neue Deutschland AG"?

Langer: Eine wachsende Gruppe von Unternehmen, die nicht länger auf staatliche Rahmenbedingungen warten, obwohl sie die auch für nötig halten, sondern proaktiv und entschlossen ihre Unternehmen, ihre Mitarbeiter und ihre Partner und Lieferanten vorantreiben.

sueddeutsche.de: Und wie soll das funktionieren?

Langer: Wir wollen transparent kommunizieren, was wir tun. Wir wollen den Wettbewerb mitnehmen, unsere Lieferanten verpflichten und unsere Mitarbeiter begeistern. Dabei geht es stets um den Gedanken der Nachhaltigkeit.

sueddeutsche.de: Neun Unternehmen inklusive der Utopia AG unterzeichnen das "Changemaker-Manifest" - proben Sie den modernen Klassenkampf?

Langer: Nein, wir glauben nur, dass die Unternehmen an einem sehr großen Hebel sitzen und im Moment schneller und wirkungsvoller erste Schritte zum Klimaschutz unternehmen können als das die Politik kann. Und wir glauben, dass der Konsument die Unternehmen, die vorangehen, unterstützen und ermutigen muss, damit sie am Ball bleiben. Wenn Nachhaltigkeit ein Wettbewerbsvorteil wird, dann werden schnell mehr Unternehmen dem Beispiel unserer ersten Changemaker folgen und das würde ich sehr begrüßen.

Und für den Moment bin ich sehr glücklich über den intensiven Prozess, den wir mit den Konzernvorständen und Unternehmern durchlaufen haben, denn die Unternehmen haben sich auf jeweils zehn sehr sportliche Ziele verpflichtet und machen sich damit im gewissen Sinne haftbar und ihre Arbeitsleistungen messbar, das ist ein Riesenschritt. Die CEOs geben damit eine einseitige Verpflichtung an die Gesellschaft ab. Das ist im gewissen Sinne historisch, deshalb das große Wort Manifest.

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sueddeutsche.de: Die Unterzeichner des Manifestes lassen sich auf feste ökologische, ökonomische und soziale Ziele ein - funktioniert der Dreiklang? Stehen sich Ökologie und Ökonomie nicht vielmehr unvereinbar gegenüber?

Langer: Nein, das ist das Denken der alten Deutschland AG. Für die Unternehmen ist Nachhaltigkeit mittlerweile ein Wettbewerbsvorteil und Wirtschaftsfaktor, und nur wenn es ein positiver Wirtschaftsfaktor bleibt, werden Unternehmen den Umbau ihrer Unternehmen vorantreiben können und wollen. Die Kunden achten immer mehr darauf, wofür ein Unternehmen steht. Und es gibt die neue große Zielgruppe des partizipativen Konsumenten - ihm ist wichtig, was ein Unternehmen tut, für welche Haltung es steht.

sueddeutsche.de: Der partizipative Konsument - wer genau soll das sein? Lediglich der Besserverdiener mit Uni-Abschluss?

Langer: Wir wollen alle ansprechen. Der Öko macht ja schon alles richtig, der braucht unsere Informationen nicht mehr so dringend. Darum wollen wir die große Masse erreichen und für Nachhaltigkeit begeistern. Manchmal muss man Menschen nur verführen, mal etwas Neues auszuprobieren.

sueddeutsche.de: Grün ist hip und schick und viele Unternehmen schmücken sich jetzt mit einem neuen Öko-Image. Springt Utopia auf einen Zug auf, nur um nicht den Anschluss an den Zeitgeist zu verpassen?

Langer: Es ist kein Zeitgeist. Es ist existentielle Notwendigkeit für uns alle, dass wir uns der Klimakrise jetzt entschlossen entgegenstelllen und handeln und zwar auf allen Ebenen. Wir können da nur einen kleinen Beitrag leisten, aber das ist uns sehr wichtig.

sueddeutsche.de: Ihnen geht es um das große Ganze, um die Rettung der Welt. Ging es nicht eine Nummer kleiner?

Langer: Leider nicht! Für kleine Schritte haben wir keine Zeit. Um den Klimawandel zu bekämpfen, bleiben fünf bis zwölf Jahre. Ein Gesetz allein auf europäischer Ebene dauert acht Jahre. Die Unternehmen sind bereit, ganz massive Schritte zu unternehmen und das ist eine große Chance für uns alle. 2010 werden neue große Unternehmen und neue wichtige Branchen unser Changemaker-Manifest unterzeichnen, das ermutigt uns sehr.

sueddeutsche.de: Sind Sie mit der Politik schon im Gespräch?

Langer: Natürlich, ständig. Utopia zählt derzeit mehr als 51.000 registrierte Mitglieder, das ist eine gewaltige Verbraucher-Lobby. Unser Portal hat zwischen 130.000 und 150.000 Besucher pro Monat. Der Rückkoppelungseffekt durch das Web 2.0 ist für Unternehmen, aber auch für die Politik eine bedrohlich-spannende Angelegenheit, weil sie ein Stückweit die Kontrolle über die Kommunikation verlieren und zugleich liegt im Dialog mit dem Kunden natürlich eine Riesen-Chance.

sueddeutsche.de: Die Krise als Chance: Finden Sie mit Ihrer Nachhaltigkeitsidee jetzt, in der Rezession, mehr Gehör als zuvor? Sind die Menschen empfänglicher für neue Überlegungen?

Langer: Nein, eher nicht. Je größer der Stress, desto größer die Verdrängung. Aber auf Unternehmensebene ist die Empfänglichkeit und Bereitschaft zu handeln sicher gewachsen.

sueddeutsche.de: Früher sind Sie gegen den damaligen CSU-Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß und gegen den Bau der Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf auf die Straße gegangen. Was treibt Sie heute an?

Langer: Die Lust, etwas zu verändern. Ich habe mehrere Firmen gegründet. Die Kraft kommt heute zu 100 Prozent aus meinen Kindern. Ich weiß, dass es meinen Kindern gutgeht, wenn es allen anderen Kindern auch gutgeht. Zu wissen, dass wir ihnen ein Riesen-Chaos hinterlassen, finde ich nicht befriedigend. Meine Kinder sollen sich erinnern, dass sie eine verdammte Pflicht haben, die Welt einigermaßen in Ordnung zu halten.

sueddeutsche.de: Wie lebt Claudia Langer persönlich und ganz konkret Nachhaltigkeit? Reicht das Fahren eines Elektroautos und der Gebrauch von Energiesparlampen aus?

Langer: Ich bin genauso wenig ein Umweltengel wie der Rest der Welt. Wir haben ein Niedrigenergiehaus, aber das hat zu viele Quadratmeter. Wir leben komplett klimaneutral, aber das heißt nicht, dass wir nichts ausstoßen. Wir versuchen unseren Verbrauch zu reduzieren, wo wir können, und ich versuche meine Kinder zu sensibilisieren. Meine Kinder sind begnadete Licht-Ausschalter, das finde ich toll. Ich versuche weniger zu fliegen und versuche mehr über Telefonkonferenzen zu erledigen.

sueddeutsche.de: Obwohl Sie den Verzicht auf Fleisch propagieren, kommt bei Ihnen Rind auf den Tisch, Ihre Kinder dürfen ganz selbstversändlich bei McDonald's essen. Glaubwürdigkeit scheint nicht Ihre Stärke zu sein.

Langer: Ich komme aus einem strengen, protestantischen Elternhaus. Bei uns gab es zum Beispiel aus Prinzip keine Cola. Wenn ich irgendwo war und es gab Cola, habe ich dann zum Ausgleich innerhalb kurzer Zeit zwei Liter getrunken. Die Total-Askese ist also nicht die Lösung. Natürlich gehe ich nicht jeden Tag mit meinen Kindern zu McDonald's, aber ich habe kein Problem damit, wenn wir alle zwei, drei Monate mal dort sind. Meine Kinder bekommen nicht das Happy Meal mit dem Plastikspielzeug aus China, sie trinken dort Bio-Milch. Totalverbote finde ich schwierig und wir essen sonst ja fast zu 100 Prozent Bio.

sueddeutsche.de: Kürzlich haben Sie in einem Interview gesagt: "Ich bin Unternehmerin. Mich interessiert schon, was unterm Strich rauskommt." Wie finanziert sich die Verbraucherplattform Utopia.de?

Langer: Ich konnte nicht mehr Dienstleister sein für Dinge, an die ich nicht mehr glaube. Ich hatte eine echte Sinnkrise. Mir war klar, dass ich irgendwann etwas machen möchte, das gesellschaftlich relevant ist. Utopia ist keine besonders brillante Geschäftsidee. Wir betreiben Social Entrepreneurship - das ist schwierig in die schwarzen Zahlen zu bekommen. Wir versuchen über Sponsoring und Kooperationen unser Jahresbudget einigermaßen abzudecken, sind aber noch weit davon entfernt.

sueddeutsche.de: Ihre selbstgegründete Werbeagentur mit Kunden wie Deutsche Bank, MTV und Burger King haben Sie 2004 zu Geld gemacht. Online-Plattformen mit der richtigen Idee haben manchmal katapultartiges Potential - und lassen sich gewinnbringend veräußern. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, Utopia zu verkaufen?

Langer: Nein, nicht eine Sekunde. Das hat eine ganz andere Qualtität und momentan sehr viel mit Berufung zu tun. Utopia ist mein Weg.

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