Neue Chatfunktion:Wie Snapchat erwachsen werden will

Lesezeit: 4 Min.

Bald auch was für Mama und Papa? Snapchat will zum Mainstream-Messenger werden. (Foto: Snapchat / Grafik: Matthias Huber)
  • Snapchat hat ein Update seiner Chat-Funktion vorgestellt: Nutzer können mit der App jetzt auch telefonieren und Videochats starten.
  • Damit gleicht sich Snapchat weiter anderen Diensten wie Whatsapp und Facebook Messenger an.
  • Das Ziel der Änderungen: Zugänglicher für Nutzer aller Altersgruppen werden.

Von Sara Weber

Bisher war Snapchat vor allem eines: für die meisten Personen über 25 Jahren verwirrend. Eine (erkennbare) Navigation gibt es nicht, Inhalte verschwinden nach maximal zehn Sekunden wieder. Wer Fotos machen, Videos drehen, Filter auf das eigene Gesicht legen und das alles mit Schrift, Gekritzel oder Emojis verzieren will, muss entweder intuitiv wissen, wie das geht - oder eben so lange in alle Richtungen wischen, bis zumindest die wichtigsten Funktionen der App klar werden.

Das soll sich jetzt ändern: Das neueste Update macht Snapchat massentauglicher. Nutzer können über die App jetzt auch telefonieren, einen Videochat starten, kurze Video- und Audionachrichten hinterlassen, Sticker ( die vor allem bei asiatischen Messenger-Apps wie Line äußerst beliebt sind) und bereits gespeicherte Fotos verschicken. Und das alles mit Symbolen, die von anderen Anbietern bekannt sind. Mit diesem Schritt hin zum Mainstream-Messenger signalisiert Snapchat seinen Nutzern: Wir wollen für dich all das sein, was Whatsapp und Facebook bislang waren.

Snapchat will ältere Nutzer erreichen - und muss sich dafür verändern

Die neuen Chat-Funktionen stellen einen Paradigmenwechsel dar: Sie zeigen, dass Snapchat bodenständiger wird, einfacher verständlich und damit für eine breitere Zielgruppe zugänglich. Aktuell ist Snapchat vor allem bei 13- bis 24-Jährigen beliebt, nach Angaben des Unternehmens sind 60 Prozent der monatlichen Nutzer in den USA in diesem Alter. Älter als 35 dagegen? Nur 14 Prozent.

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Insgesamt liegt die Zahl der täglichen aktiven Nutzer Snapchat zufolge weltweit bei mehr als 100 Millionen. Das Unternehmen wurde zwischenzeitlich mit 19 Milliarden US-Dollar bewertet, es gibt immer wieder Gerüchte über einen potenziellen Börsengang. Doch um finanziell erfolgreich zu sein und die Investoren zu befriedigen, muss eine Strategie her, die Geld bringt. 100 Millionen Nutzer reichen da nicht.

Um Werbekunden anzuziehen und Geld zu verdienen, muss Snapchat mit hoher Schlagzahl wachsen. Doch das geht nur, indem mehr ältere Nutzer angesprochen werden. Und genau diese älteren Nutzer waren bisher von der App abgeschreckt. Um mehr Nutzer zu bekommen, muss Snapchat also verständlicher werden - erwachsener eben.

Der Weg hin zur erwachseneren App hat schon vor Jahren begonnen

Die ersten Schritte dazu ist das Unternehmen schon gegangen: Seit zweieinhalb Jahren können Nutzer mit Snapchat Stories Bilder und Videos beliebig lang aneinanderreihen und für all ihre Follower sichtbar machen. Diese Geschichten können wieder und wieder angeschaut werden - 24 Stunden lang. Mittlerweile werden viele Stories genau durchdacht und professionell produziert, gespeichert und auf anderen Plattformen wie Youtube oder Facebook hochgeladen. Spontaneität? Fehlanzeige.

Das neue Update bringt nun eine weitere, einschneidende Veränderung bei den Stories: Ist die Geschichte eines Nutzers vorbei, startet automatisch die des nächsten. Dies ist ein Versuch, die Leute länger in der App zu halten, und eine Abkehr von dem bisherigen Versprechen, dass jeder nur das zu sehen bekommt, wofür er sich explizit entscheidet. Auch inhaltlich ist Snapchat immer professioneller geworden. Seit gut einem Jahr laden Medienunternehmen wie Buzzfeed und CNN im Discover-Channel Geschichten und Nachrichten hoch, zu Großveranstaltungen gibt es Live-Snap-Berichterstattung.

Nicht einmal die verrückt wirkende Eigenheit des Dienstes, quasi komplett auf eine ersichtliche Navigation zu verzichten, bleibt mehr bestehen: Die neuen Chat-Funktionen werden in einem eigenen Discover-Channel beinahe idiotensicher erklärt.

Dabei war Snapchat bisher genau der Dienst, zu dem die Jugendlichen geflohen sind, um dort eben nicht mit Mama und Papa befreundet zu sein - schlicht, weil sie die App nicht verstanden haben. Außerdem stellte Snapchat einen krassen Kontrast zu jubelnden Statusberichten und optimal ausgeleuchteten Fotos dar, die auf Facebook und Instagram präsentiert werden: Snapchat dreht sich um Spontaneität und darum, nicht immer perfekt sein zu müssen. Und wer nicht immer perfekt sein muss, kann viel persönlicher werden, auch mal ein Selfie mit schiefem Grinsen verschicken oder ein peinliches Outfit.

Doch damit könnte bald Schluss sein. Snapchat hat große Pläne, wie dem Blogpost zum Update zu entnehmen ist: Der neue Chat soll "die beste Art sein, sich zu unterhalten", nur noch getoppt von Treffen im analogen Leben. Er soll es einfacher machen, zwischen verschiedenen Arten der Kommunikation hin- und herzuspringen. "Und wenn das möglich ist, schreibst du keine SMS mehr oder telefonierst oder bist Teil eines Videochats - sondern du unterhältst dich einfach."

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Wer sich einfach nur unterhält, der generiert Daten

Und genau dieses Unterhalten ist es, mit dem Konzerne Geld machen können. Denn Unterhalten bedeutet: Daten. Und Daten bedeuten: Geld. Denn Daten lassen sich an Werbekunden verkaufen. Das weiß Facebook, das weiß Whatsapp, das weiß Skype. Und das weiß auch Snapchat. Im Discover-Channel und in Live-Stories können Werbekunden Anzeigen schalten, außerdem gibt es gesponserte Filter, die Nutzer über ihre Bilder legen können.

Richtig lukrativ sind eben all die Inhalte, die zumindest 24 Stunden lang bestehen. Deshalb stellt sich jetzt, wo Snapchat zum massentauglicheren Messenger wird, auch die Frage, ob das ehemalige Alleinstellungsmerkmal - die schnell verschwindenden Inhalte - nicht irgendwann selbst verschwinden wird.

Schnelle, spontane Snaps könnten zum Beiwerk werden - oder ganz verschwinden

Bereits jetzt sind spontane Snaps, die nur an ein oder zwei Freunde verschickt werden, zum Beiwerk verkommen. Wer cool ist, macht Stories und präsentiert sich der gesamten Außenwelt. Und wenn es nach Snapchat geht, heißt der nächste Schritt: Wer cool ist, unterhält sich nur noch über Snapchat.

Doch wer all seine Unterhaltungen in einer App bündelt, will nicht zwingend, dass alles gleich wieder weg ist. Fotos wollen aufbewahrt werden, Texte nochmal gelesen. Vielleicht verschwindet deshalb die Zehn-Sekunden-Regel irgendwann in allen Bereichen der App. Doch dann wird die große Frage lauten: Werden die jungen Power-Nutzer diesen Weg mitgehen - oder wechseln sie lieber zu einem neueren, hipperen Dienst, den sie sich (zumindest vorerst) nicht mit ihren Eltern teilen müssen?

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