Digitalisierung der Kindheit:Mit den Eltern bei Facebook befreundet? Peinlich!

Digitalisierung der Kindheit: Von links nach rechts: Claudine , Tristan, Sasheen und Albert.

Von links nach rechts: Claudine , Tristan, Sasheen und Albert.

(Foto: SZ.de)

Sie kennen es nicht anders: Die ab 1990 Geborenen sind die erste Generation, deren Kindheit und Jugend vom Umgang mit Internet und digitalen Medien geprägt worden ist. Wie schauen sie darauf zurück, wie beurteilen sie ihren Medienkonsum heute? Albert Heilmann (20), Claudine Blankenburg (23), Sasheen Teisner (23) und Tristan Ritter (19) über merkwürdige Chatpartner, heimliches Gameboy-Spielen und ob das mit der Selbstkontrolle inzwischen besser klappt.

Von Mirjam Hauck und Daniela Dau

SZ.de: Welche Inhalte im Internet mögt ihr?

Claudine: Ich mag das Zusammensein mit meinen Leuten, dass man viel voneinander mitkriegt. Aber ich recherchiere auch und lass mich gerne unterhalten - und da vor allem mit Videos. Die poste ich dann "Das müsst ihr auch anschauen!" Nur die Werbung bei den Videos nervt.

Wie viel Zeit verwendet ihr darauf?

Sasheen: Eigentlich kann ich das gar nicht sagen, weil man ja quasi ständig aufs Smartphone guckt.

Ihr seid also immer online?

Tristan (aufs Smartphone schauend): Ich schaue gerade mal nach, was meine App sagt. Gestern habe ich mein Handy vier Stunden benutzt.

Auf welchen Seiten wart ihr früher am meisten unterwegs?

Albi: Als ich 15 war, war ich vor allem auf Facebook. Das war richtig krass. Da gab es nichts anderes. Mittlerweile ist es weniger geworden. Ich schau nur noch ein paar Mal am Tag kurz rein, ob irgendwelche Veranstaltungen sind oder große Neuigkeiten oder ob ich Einladungen oder Nachrichten bekommen habe. Aber eigentlich kommen die auch nur noch über Whatsapp.

Du bist nicht mehr aktiv bei Facebook?

Albi: Doch schon. Ich bin jemand, der sich über jedes Like freut. Kürzlich habe ich ein Selfie mit Joko Winterscheidt gepostet, den ich auf dem Flüchtlingskonzert getroffen habe. Da war die Like-Rate sehr hoch. Aber ich poste nicht mehr jeden Tag oder jede Woche. Mittlerweile gilt eher Qualität als Quantität.

Was nervt euch?

Albi: Früher war bei Facebook die Timeline mit Posts von Freunden gefüllt. Jetzt gibt es dort immer mehr Werbung. Das liegt aber nicht nur daran, dass die Werbung zugenommen hat, sondern auch an den Nutzern, weil sie einfach weniger posten.

Habt ihr schon mal negative Erfahrungen gemacht?

Claudine: Bilder sind ein kritischer Punkt. Wenn man abends loszieht, ist immer eine dabei, die sich ungern fotografieren lässt. Aber irgendwie erscheint das Foto dann doch im Internet und deswegen gab es früher oft Streit im Freundeskreis. Manche wollten Likes, deshalb posteten sie alles und manche wollten eben ihre Privatsphäre. Man müsste eigentlich jeden fragen, ob es ok ist, dieses Bild zu posten.

Machst du das?

Claudine: Wenn ich jetzt mit dieser Freundin unterwegs bin, sage ich ihr immer, ich möchte gerne ein schönes Foto von uns allen auf Facebook posten. Und dann machen wir das.

Sind eure Eltern auch auf Facebook?

Albi: Ja, aber ich habe dort die Einstellung, dass meine Freunde alles sehen können, nur nicht mein Vater. Obwohl ich eigentlich mittlerweile keine Sachen mehr poste, die mein Vater nicht sehen sollte.

"Das Interesse an den Spielen verflog nach einem halben Jahr wieder"

Wie findet ihr es, wenn Eltern ihren Kindern bei Facebook die Freundschaft anbieten?

Albi: Das ist schon sehr peinlich. Mir hat mein Vater die Freundschaft angeboten. Und da kann man nicht einfach sagen, 'Nee, das mache ich nicht'.

Tristan: Doch, kannst du schon. Ich habe das gemacht. Mein Vater hat eine Weile gebraucht, um das zu kapieren. Aber mittlerweile hat er es verstanden, glaube ich zumindest.

Hast du ihm erklärt, warum du das nicht wolltest?

Tristan: Nein, eigentlich haben wir nie darüber geredet.

Claudine: Ich bin mit meiner Mutter bei Facebook befreundet, mein Zwillingsbruder allerdings nicht. Meine Mutter fragt mich öfters: 'Kannst du mir mal zeigen, was dein Bruder gerade bei Facebook postet?'

Wie war das früher: Wie lange durftet ihr ins Netz und chatten?

Sasheen: Ich habe mir den Laptop meines Papas mit meinem Bruder geteilt und da gab es eine zeitliche Begrenzung.

360°: Digitalisierung der Kindheit

Schon die Kleinsten wischen auf Tablets, die Größeren können sich ein Leben ohne Smartphone nicht mehr vorstellen. Ihre Kindheit verläuft ganz anders als die ihrer Eltern, aber muss das schlecht sein? Bietet nicht gerade der frühe Umgang mit neuen Medien auch Chancen? Wie Eltern ihren Nachwuchs auf dem Weg in die interaktive Welt begleiten, was sie selbst dabei lernen können - ein Schwerpunkt.

Und ihr habt sie immer akzeptiert?

Sasheen: Naja, natürlich waren wir auch schon mal länger als erlaubt online.

Albi: Als ich 14 war habe ich viel am Computer gespielt, World of Warcraft. Das war meinem Vater irgendwann zu viel und ich durfte nur noch eingeschränkt spielen. Das fand ich natürlich nicht cool. Aber im Großen und Ganzen hab ich mich dran gehalten - außer, wenn die Eltern nicht da waren.

War der Medienkonsum ein Dauerkonflikt zu Hause?

Albi: Bei mir nicht, aber das Interesse an den Spielen verflog nach etwa einem halben Jahr auch wieder. Allerdings nicht, weil meine Eltern mir das vorgeschrieben haben. Ich hatte noch andere Hobbys, Gitarre spielen zum Beispiel und irgendwann auch eine Freundin.

Haben euch eure Eltern im Internet einfach machen lassen oder wollten sie wissen, was ihr da treibt und mit was ihr in Kontakt kommt?

Claudine: Die damals so angesagten Netzwerke wie Lokalisten kannten sie gar nicht und da haben sie schon gefragt, was ich da mache. Und mit wem ich chatte und ob ich auch mit fremden Leuten chatte.

"Sobald ich wach bin, bin ich online"

Wie schätzt ihr euch im Nachhinein selbst ein: War euer Medienkonsum besorgniserregend?

Sasheen: Früher nicht, ich musste mir aber auch ein Handy mit meinem Bruder teilen. Seit ich ein eigenes Smartphone habe, frage ich mich schon: 'Warum treffe ich mich nicht einfach mit jemandem statt stundenlang zu chatten?' Ich weiß eigentlich selber, dass ich viel zu viel vor dem Computer oder dem Smartphone sitze.

Was ist denn zu viel?

Sasheen: In der Nacht habe ich den Flugmodus eingestellt, aber sobald ich wach bin, bin ich online. Das ist nicht nur bei mir so, das ist bei allen so. Außer man ist im Urlaub im Ausland.

Haben eure Eltern euch über mögliche Gefahren im Internet aufgeklärt?

Tristan: Ich durfte schon ab dem Grundschulalter viel am Computer machen. Meine Eltern haben mich vor gewissen Seiten gewarnt, dass man dort beim Runterladen aufpassen muss. Außerdem war mein Computer mit Virenprogrammen zugeballert, falls ich doch mal einen Fehler mache. Ich hatte aber keine Kindersicherung, sodass Seiten komplett gesperrt waren. Mein Vater hat immer gesagt, falls ich mir einen Virus einfange, dann bin ich selbst schuld, dann hilft er mir nicht, dass das wieder repariert wird. Deshalb war ich immer sehr vorsichtig.

Geht eurer Meinung nach etwas verloren, wenn Kinder zu früh und zu viel mit digitalen Medien in Kontakt kommen?

Claudine: Ja, der Spaß an der Natur geht verloren. Das ist früher doch das Größte gewesen, draußen zu spielen, so richtig mit Sand verdreckt nach Hause zu kommen. Kinder, die viel an der Spielekonsole oder am Computer hängen, verpassen das.

Tristan: Wenn wir uns mit anderen Kindern gestritten haben, gab es ein anderes Kind als Gegenüber. Heutzutage streiten sich die Kinder zwar auch. Aber es ist was ganz anderes, ob du jemandem was schreibst oder ob du es ihm ins Gesicht sagst.

Haben die modernen Medien auch eure eigene Art zu kommunizieren verändert?

Claudine: Telefonieren ist weniger geworden, ich hab schon Daumenschmerzen vom Tippen bekommen. Dafür hat sich meine Rechtschreibung verbessert - der Autokorrektur sei Dank!

Albi: Am Anfang habe ich nur klassisches Chat-Deutsch geschrieben, "Wie geht's" und "lol" und so. Aber dann hab ich mein Interesse an Alliterationen entdeckt und hab angefangen, viele Adjektive zu verwenden und lange Sätze zu bilden. Das fand ich künstlerisch wertvoll.

Habt ihr in der Schule bei Hausaufgaben oder Referaten vom Internet profitiert?

Tristan: Ich habe mich schon in der Grundschule ziemlich viel damit beschäftigt, auch mit Recherche im Internet. Im Gymnasium ging's dann erst mal nicht so richtig weiter, erst in der 8. Klasse haben wir in der Schule bessere Technik bekommen. Insgesamt ist es viel praktischer und geht auch schneller, als wenn man extra in eine Bücherei rennen muss. Da geh ich eigentlich nur noch hin, um mir CDs auszuleihen.

Claudine: Wir hatten in der Mittelstufe Gruppen im Internet. Dort musste man seine Hausaufgaben hochladen und der Lehrer hat sie verbessert oder kommentiert. Das hat mich wahnsinnig genervt. Ich wollte nicht wegen der Schule online gehen. Bei mir stand im Vordergrund, dass man Kontakt zu seinen Leuten hatte. Schule sollte in der Schule bleiben.

Habt ihr im Internet etwas erlebt, was Euch richtig Angst gemacht hat?

Albi: In der 7. Klasse im Informatikunterricht, da haben mir Mitschüler einen Link zu einer Seite mit ekligen Sachen auf meinen PC gespielt. Der war nicht mehr wegzuklicken. Ich hatte Panik: Der Lehrer konnte an seinem PC sehen, auf welchen Seiten wir waren! Da hab ich einmal einfach den Stecker gezogen, das war meine Rettung.

Claudine: Es gab dieses Chat-Roulette, das war oft lustig, weil man sich über die Webcam mit Leuten aus der ganzen Welt unterhalten konnte. Aber manchmal auch sehr verstörend.

Albi: Ja, nur bei jedem zehnten Klick tauchte jemand Normales auf, die anderen neun davor waren Männer, die ihren Penis in die Kamera gehalten haben.

Habt ihr von solchen Erlebnisse zu Hause erzählt?

Claudine: Meine Mutter hat das mal mitbekommen und war sauer. Wir mussten sofort ausmachen.

Sasheen: Das ist mir mit 14, 15 auch passiert. Wir waren bei einer Freundin, haben das gespielt, da kam ihre Mutter plötzlich ins Zimmer und hat uns die Webcam weggenommen. Es war eine peinliche Situation, vor allem natürlich für die Gastgeberin.

Hättet ihr euch eine andere Reaktion gewünscht, zum Beispiel ein Gespräch?

Claudine: Nein, doch nicht in der Pubertät. Alles, was mit Sexualität zu tun hatte, wollte ich lieber für mich behalten.

Haben eure Eltern kontrolliert, was ihr im Internet macht?

Claudine: Meine Eltern hätten gar nicht gewusst, wie sie mich kontrollieren sollen. Ich erkläre ihnen jetzt zum Beispiel, wie ein Smartphone funktioniert.

Tristan: Mein Vater hat mir viele IT-Sachen erklärt, etwa wie Powerpoint funktioniert, wie ich eine Präsentation machen kann. Und er hat mir auch gezeigt, wo und wie ich im Internet recherchieren kann.

Internet-Kritiker wie der Psychiater Manfred Spitzer sagen, das Internet mache Kinder dick, faul, dumm, passiv und weniger empathisch: Was haltet ihr davon?

Sasheen: Das stimmt vielleicht ein bisschen. Auf der anderen Seite gehört das Internet jetzt einfach zum Leben dazu. Auch wenn selbst wir uns heute darüber aufregen, dass die Kinder viel zu wenig draußen spielen oder Sport machen: Ändern kann man das wohl nicht mehr.

Und Handy-Spiele - haben die in der Jugend schon eine Rolle gespielt?

Claudine: Snake auf dem Handy war cool!

Albi: Spielekonsolen waren noch nicht so verbreitet, wir sind wohl eher die Gameboy-Generation. Pokemon war schon eine feine Sache.

Tristan: Ich durfte keinen Gameboy haben, hatte aber "illegal" einen. Mit dem hab ich abends unter der Bettdecke gespielt, wenn alle dachten, dass ich schlafe.

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