David sagt: "Ich bin schuld, dass Menschen ihren Job verloren haben." Wer so einen Satz hört, erwartet Zerknirschung, zumindest ein leichtes Bedauern in der Stimme. Aber wenn David ihn ausspricht, ist das Gegenteil der Fall: "Schuld" sagt er so, dass man die Anführungszeichen hören kann, die er mit den Fingern in die Luft zeichnet. Überhaupt wirkt er kein bisschen betroffen. Eher triumphierend.
Genau genommen sind das allerdings nicht Davids Worte. Er hat die Beschimpfungen seiner Kritiker übernommen und benutzt sie selbst, wenn er über sich und seine Arbeit spricht. "Ich bin ein Gesinnungswächter, ein Gutmensch", sagt er, und es klingt so, als würde er das als Auszeichnung verstehen. Dabei kann man das, was er macht, durchaus grenzwertig finden: David betreibt im Internet eine Art modernen Pranger. David heißt in dieser Geschichte nur David, kein Nachname, weil er bedroht wird, seit er sich entschieden hat, den Pranger zu eröffnen: Er outet Menschen mit rechter Gesinnung.
Irgendwann hat es David gereicht
Monatelang hat er auf Facebook Hass und Hetze gegen Flüchtlinge lesen müssen, bis er es nicht mehr ertragen hat: "Einer hat geschrieben: 'Ab ins Gas mit den Sozialschmarotzern vom Balkan. Mit den Juden hat das doch auch geklappt.' Da war für mich die Grenze erreicht."
David klickte auf das Profil des Verfassers, sah etliche Likes bei rechten und rechtsradikalen Gruppierungen, las weitere, ebenso menschenverachtende Kommentare - und entschied sich, dem Arbeitgeber Bescheid zu geben, den der Hetzer in seinem Profil angegeben hatte. Der mittelständische Handwerksbetrieb reagierte prompt: mit einer fristlosen Kündigung.
"Das war für mich die Initialzündung", sagt David und öffnet auf seinem Laptop einen Ordner mit dem Namen "Onlinepranger". Hunderte Fotos sind darin, Screenshots von Facebook-Kommentaren und -Profilen, alle mit Datum und den Namen der Nutzer benannt. "Unglaublich, wie viele Menschen glauben, dass sie auf Facebook mal richtig die Sau rauslassen können", sagt David, "die verbreiten ihren rassistischen Müll in aller Öffentlichkeit und kapieren es nicht mal."
Löschanfragen meist abgelehnt
Zusammen mit vier Bekannten hat er eine geheime Facebook-Gruppe gegründet; sie sammeln menschenverachtende Beiträge und entscheiden dann, wie sie damit umgehen. Den alltäglichen Rassismus melden sie nur bei Facebook, meist wird die Löschanfrage abgelehnt, weil es angeblich kein Verstoß gegen die Gemeinschaftsstandards sei, dazu aufzurufen, Flüchtlinge zu überfahren oder Bedauern darüber zu äußern, dass bloß 71 Menschen in dem Lkw auf der österreichischen Autobahn erstickt sind. Aber das sei man ja gewöhnt, sagt David, jetzt klingt er ein wenig spöttisch, ein wenig resignierend.
Er findet: Besonders krasse Fälle dürfen nicht dem Urteil eines amerikanischen Konzerns überlassen bleiben, für den vermeintliche Meinungsfreiheit sakrosankt ist. Und weil nicht nur er das so sieht, gibt es nun bereits mehrere solche öffentlichen Pranger für Rechte; der Blog "Perlen aus Freital" ist besonders bekannt, betrieben von Christopher und Frederik, keine Nachnamen. Mehrere Kündigungen hat es nach den Outings von augenscheinlich Rechten schon gegeben, in manchen Fällen wurde oder wird wegen Beleidigung, Bedrohung oder Volksverhetzung strafrechtlich ermittelt.
Wo ist die Grenze?
Der Pranger ist vor sehr langer Zeit abgeschafft worden, und das nicht ohne Grund, weshalb diese Frage auch gestellt werden muss: Wo ziehen die Davids, die Christophers und Frederiks die Grenze? Ist der 17-Jährige, der einen dummen Satz nachplappert, genauso zu bewerten wie der 50-jährige NPD-Funktionär?
Christopher und Frederik, die Betreiber von "Perlen aus Freital", sagen, sie überprüften in jedem Fall die Profile der Hetzer - und sie finden oft Likes der NPD. Sie sammeln Screenshots von Facebook-Kommentaren aus ganz Deutschland. "Besorgte Bürger zeigen sich von ihrer allerbesten Seite" lautet der Slogan, und in der Tat sprechen die meist unkommentierten Beiträge für sich: "Alle wieder in den Zug packen und dann ab nach Auschwitz", oder "Abschlachten das Viehzeug, es sind keine Menschen." Gerne mit zwinkernden und grinsenden Smileys versehen, häufig mit eigenwilliger Rechtschreibung wird gegen geflüchtete Menschen gehetzt, es wimmelt von "Vergasen" und "Kopfschüssen", mit denen dem "Pack" und "Kanakengesocke" begegnet werden soll.
Christopher und Frederik stellen selbst keine Strafanzeigen, "da wir damit nicht mehr anonym bleiben könnten", schreiben sie per Mail. Sie beschränken sich darauf, die Hetzer mit unverpixelten Bildschirmfotos an den Pranger zu stellen. Auf den Screenshots sieht man den vollen Namen, das Profilfoto, häufig auch den Arbeitgeber. Leser des Blogs werden dann selbst aktiv und zeigen die Beiträge an. Es seien schon mehrere Ermittlungsverfahren eröffnet worden, "in einem besonders krassen Fall soll auch ein LKA tätig geworden sein und es soll eine Wohnungsdurchsuchung stattgefunden haben", schreiben Christopher und Frederik.
Sie haben das Blog vom Initiator übernommen, nachdem sich dieser wegen heftiger Drohungen zurückgezogen hatte. Die Anonymität ist ihnen wichtig, "aus Sicherheitsgründen müssen wir unbedingt unbekannt bleiben", schreiben sie. Sie gehen davon aus, dass "eine sehr reale Gefahr bestehen würde, sobald wir unsere Identitäten preisgeben würden".
Drohbrief im Briefkasten
Für David war die Bedrohung bereits ziemlich real. Nachdem er einem lokalen Radiosender ein Interview gegeben hatte, lag am nächsten Tag eine Botschaft im Briefkasten: "Beim nächsten Mal kommst du nicht so glimpflich davon. Dann schlitzen wir noch ganz andere Dinge auf." Glimpflich, das hieß: zerstochene Autoreifen und ein in roter Farbe gesprühtes "Verräterschwein" auf der Hauswand. Ja, sagt er, er sei schockiert gewesen, aber dann klatscht er mit der geballten rechten Faust in seine linke Handfläche und sagt etwas lauter: "Ich lasse mich von den Arschlöchern doch nicht mundtot machen, das ist doch genau das, was die wollen!" Also sammelt er weiter.
Juristisch betrachtet ist das eher unproblematisch, nach Auskunft mehrerer Medienrechtler droht in solchen Fällen allenfalls eine Anzeige wegen Urheberrechtsverletzung, die allerdings eher wenig Aussicht auf Erfolg hätte. Welche drastischen Folgen die Sache mit dem Pranger aber abgesehen davon haben kann, musste im Juli ein Österreicher feststellen, der dafür sorgte, dass Porsche einen Lehrling feuerte. Dieser hatte auf Facebook die Feuerwehr aufgefordert, syrische Flüchtlingskinder nicht mit einer Wasserdusche, sondern mit einem Flammenwerfer willkommen zu heißen.
Nachdem etliche Medien, darunter auch die SZ, darüber berichteten, musste der Aktivist zwischenzeitlich untertauchen, da Neonazi-Gruppen im In- und Ausland seinen Kopf wollten, wie er in einer Mail schreibt: Drohungen wie "Hängt das Schwein auf" oder "Lassen wir ihn langsam ausbluten" hätten ihn veranlasst unterzutauchen.
Bei Porsche noch interveniert
Dabei hatte er damals sogar bei Porsche noch interveniert, als die Kündigung ausgesprochen wurde: Das sei der falsche Weg, findet er, besser wäre, der offenbar rechten Gesinnung des 17-Jährigen entgegenzuwirken, etwa durch Zusammenarbeit mit Ausländern. Gerade große Firmen aber betrachten die Kündigung meist als den wirksamsten Weg, sich deutlich von rechtem Gedankengut zu distanzieren. Häufig befasst sich danach ein Arbeitsrichter mit den Kündigungen: Schließlich muss jeder Fall einzeln bewertet werden. Und mit der Frage, ob eine Kündigung aufgrund schlimmer Facebook-Kommentare rechtens ist, hat die deutsche Rechtsprechung bislang noch nicht allzu viel Erfahrung.
Was die Bedrohungen gegen Betreiber wie David, Christopher und Frederik angeht, so kümmern sich darum die jeweils zuständigen Polizeipräsidien. Abschrecken lassen sie sich davon aber nicht; der untergetauchte Österreicher hat mittlerweile eine neue Facebook-Seite gestartet, wo er fremdenfeindliche Kommentare sammelt. Er sei "zu dem Schluss gekommen, dass ich mich und meine Werte verraten würde, wenn ich jetzt klein beigebe und damit aufhöre". Und Christopher und Frederik haben zwar Verständnis für den Rückzug des Gründers von "Perlen aus Freital", wollen selbst aber weitermachen und hoffen, dass "die bei uns angeprangerten Personen auch im privaten Umfeld bei Partnern, Freunden und Kollegen in Erklärungsnot kommen, dass sie der soziale Druck aus einem hoffentlich intakten Umfeld zum Nachdenken bewegt".
Keine Familie, keine Kinder
Auch David setzt seine Arbeit anonym fort. Das war allerdings keine leichte Entscheidung, gibt er zu. "Meine Freundin wohnt im Ausland, ich lebe alleine, habe keine Kinder. Wenn ich eine Familie hätte, für die ich Verantwortung übernehmen muss, hätte ich mich womöglich anders entschieden." Aber er könne nicht tatenlos zuschauen, wie Menschenverachtung auf Menschen ausgekippt werde, nur weil sie nicht aus Deutschland sind.
Dieses Land, sagt er, habe schließlich gerade in dieser Sache eine ganz spezielle Geschichte.