Telekommunikation:Warum die Kunden Mitschuld am lahmen Netzausbau haben

NRW macht mehr Tempo bei schnellem Internet

Glasfaser übertragen Daten flinker als herkömmliche Leitungen. Doch längst nicht jeder kann sie nutzen.

(Foto: Guido Kirchner/dpa)
  • Die Deutschen telefonieren im Durchschnitt erstmalig mehr über Onlinedienste wie Whatsapp, Skype und Facetime, als mit dem klassischen Festnetz.
  • Auch der Ausbau der Datennetze - wie Glasfaser und Multikabel - geht voran. Allerdings langsamer, als die Politik will.

Von Benedikt Müller

Die ersten Worte, die ein Festnetztelefon übertrug, waren, nun ja, eher eigenartig: "Das Pferd frisst keinen Gurkensalat", rief der Tüftler Johann Philipp Reis im Jahr 1861 in den wohl ersten Apparat hierzulande. Die Botschaft kam an, einige Jahrzehnte später hatte dann bald jeder Haushalt Zugriff auf einen Fernsprecher. Und um die Jahrtausendwende gab es noch einmal einen Aufschwung: als Flatrates und Billigvorwahlen auch längere Gespräche erschwinglich machten.

2004 etwa quasselten alle Kunden in Deutschland zusammen noch 571 Millionen Minuten per Festnetz - pro Tag, jeder Bundesbürger im Schnitt knapp sieben Minuten. Doch seitdem geht es nach unten. 263 Millionen Minuten dürften es dieses Jahr nur noch sein, prognostizieren die Beratungsfirma Dialog Consult sowie der VATM (Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten) in ihrer neuen Marktanalyse. Das sind drei Minuten am Tag. Damit hat nicht nur das Handy die heimische Leitung überholt. Auch mittels Diensten wie Whatsapp, Skype oder Facetime kommunizieren die Deutschen nun mehr Minuten als über das gute, alte Festnetz - ein Novum. Für die Studie haben die Autoren die Mitglieder des VATM befragt, also Wettbewerber der Deutschen Telekom. Zudem zogen die Berater Daten der Bundesnetzagentur heran.

"Man muss ja nur mal durch die Städte gehen", erklärt Torsten Gerpott, Professor der Universität Duisburg-Essen und Beirat von Dialog Consult. Da sehe man "Leute gegen Laternenpfähle rennen", weil die sich so sehr mit ihrem Smartphone beschäftigten. Und die Kommunikation darauf ist mittlerweile oft kostenlos: die Sprachnachricht per Whatsapp, das Video per Skype. Und etliche haben eben gar kein Festnetztelefon mehr. Die Zahlen erzählen also auch von einem Wandel in der Gesellschaft.

Muss man sich nun Sorgen machen um die Telekombranche und ihre knapp 150 000 Beschäftigten in Deutschland?

Auf den ersten Blick nicht, denn sie macht den Datenfluss ja erst möglich. Eine durchschnittliche Handy-SIM-Karte empfängt und verschickt heute 2,5 Gigabyte pro Monat, heißt es in der Studie, 58 Prozent mehr als vor einem Jahr. Und ein Breitband-Festnetzanschluss wickelt im Schnitt gar 137 Gigabyte im Monat ab - 26 Prozent mehr als im Vorjahr. Grund sind vor allem Videos und Filme, die Kunden zu Hause streamen.

Doch ist der Wettbewerb um Kunden derart intensiv, dass der Umsatz der Branche in diesem Jahr nur um knapp ein Prozent steigen wird, prognostizieren die Autoren. Das sei zwar gut für die Kunden: "Sie bekommen mehr Leistung, mehr Verkehr bei gleichem Umsatz", sagt Gerpott. Doch: "Wer ist schon als Unternehmer begeistert, wenn er mehr leisten muss fürs gleiche Geld?" Der Ertragsdruck treibt die Konzerne etwa in Fusionen, wie kürzlich Vodafone und den Kabelnetzbetreiber Unitymedia. Und er trägt mit dazu bei, dass die Branche heute ein Drittel weniger Menschen beschäftigt als noch zur Jahrtausendwende.

Investieren die Unternehmen dennoch genug in die nötigen Netze?

Zumindest zeigen die Zahlen in die richtige Richtung: 9,4 Milliarden Euro werden die Telekom und ihre Konkurrenten in diesem Jahr in Deutschland investieren, prognostiziert die Studie, so viel wie seit 2001 nicht mehr. Das Geld kommt zwar in Form von neuen Mobilfunkantennen und schnelleren Anschlüssen bei vielen Kunden an. So haben mittlerweile etwa 85 Prozent der Haushalte bundesweit einen Breitband-Festnetzanschluss, surfen also schneller als mit der Jahrtausendwende-Technik ISDN. Dies bedeutet freilich auch, dass Deutschland das ursprüngliche Ziel verfehlt hat, wonach alle Haushalte bis 2018 einen Breitbandanschluss haben sollten - mithin auch auf dem Land, wo der Ausbau teurer ist als in dicht besiedelten Gebieten.

Mittlerweile hat die Bundesregierung ein noch ehrgeizigeres Ziel ausgerufen: Bis 2025 sollen alle Menschen in Deutschland einen Gigabitanschluss haben, also ein Gigabit pro Sekunde laden können. Diese Geschwindigkeit bieten im Festnetz nur Glasfaserleitungen bis ins Haus, wie sie bislang etwa M-Net in Bayern oder Netcologne im Rheinland verlegen; zudem rüsten TV-Kabelanbieter wie Vodafone ihr Netz nach und nach für das Gigabit-Tempo auf. Allerdings hat längst nicht jede Wohnung einen Kabelanschluss.

Gerpott ist skeptisch, dass die Politik ihr Ziel bis 2025 erreichen wird. "Wir werden wahrscheinlich bei 70 bis 75 Prozent liegen", schätzt er. Auch im Mobilfunk hatte die Netzagentur zuletzt Zweifel angemeldet, ob alle Netzbetreiber die Ausbauauflagen früherer Frequenzauktionen rechtzeitig erfüllen werden - wenngleich sich Telekom, Vodafone und Telefónica ("O₂") hier zuversichtlich geben.

Woran hakt es denn?

Ein Problem ist, dass die Politik und einige Kunden zwar Gigabit fordern, aber längst nicht alle Kunden auch wirklich schnelle und teurere Tarife buchen. So haben laut der Studie mittlerweile zwar gut vier Millionen Haushalte einen Glasfaseranschluss bis in ihr Haus. Doch nutze bislang nur ein Drittel die Leitung tatsächlich; der Rest buche günstigere, weil langsamere Tarife.

Auch im Mobilfunk überbieten sich Telekom und Vodafone zwar bereits mit Werbung für den neuen Mobilfunkstandard 5G, der große Datenmengen nahezu in Echtzeit übertragen kann. Tatsächlich aber nutzen noch fast 60 Prozent der Kunden die Vor-Vorgängertechnologie 3G oder älter, da ihr Tarif kein LTE beinhaltet. Gerpott unterstellt den Kunden eine gewisse Trägheit: Viele wollten keine funktionierenden Systeme ändern, "sie wechseln nicht permanent zu höheren Bandbreiten."

Sorgen ums Netz

Beim Aufbau des neuen Mobilfunkstandards 5G warnt die EU-Kommission vor Gefahren durch Anbieter außerhalb der EU. Unternehmen könnten versuchen, durch den Diebstahl geistigen Eigentums Wettbewerbsvorteile zu erlangen, heißt es in einem Bericht der Brüsseler Behörde. Dabei gehe die Gefahr von Staaten sowie von staatlich unterstützen Akteuren aus. Vor allem sie könnten die "Motivation, Absicht und Fähigkeit haben, anhaltende und ausgefeilte Angriffe" auf 5G-Netze durchzuführen. Die Kommission nennt die chinesischen Anbieter Huawei und ZTE in dem Zusammenhang zwar nicht namentlich - spielt aber auf sie an. Bislang hatten vor allem die USA Sicherheitsbedenken bei der Technik aus China angemeldet. Aus Angst vor Spionage warnen die Vereinigten Staaten auch Deutschland und andere Länder davor, Telekomausrüstung von Huawei einzusetzen. Bislang gibt es allerdings keine handfesten Beweise für eine Manipulation der Hardware. Daneben nennt die EU-Kommission in ihrem Bericht auch andere Gefahren für die 5G-Netze, etwa Hacker und Insider aus der Branche. Diese Risiken träfen zwar nicht nur die neue Mobilfunktechnik - ihre Bedeutung werde bei den 5G-Netzen aber voraussichtlich steigen, weil Wirtschaft und Gesellschaft künftig noch abhängiger von der technischen Infrastruktur seien. dpa

VATM-Präsident Martin Witt gesteht, dass seine Branche beim Netzausbau "noch mehr aufs Gaspedal" treten müsste. Allerdings dauerten derzeit auch die Genehmigungsverfahren für neue Mobilfunkantennen vielerorts zu lang, klagt der Manager. Zudem befürchtet Witt, dass die Netzbetreiber das Ziel mit klassischem Tiefbau allein nicht erreichen könnten. Die Branche hatte schon zuvor darauf hingewiesen, dass viele Baufirmen auf Jahre ausgelastet sind - und sprach sich daher auch für alternative Techniken aus, bei denen Glasfaserkabel in schmale, gefräste Schlitze an der Bordsteinkante verlegt werden.

Immerhin zeichnet sich ab, dass Netzbetreiber in den nächsten Jahren häufiger zusammenarbeiten werden - etwa beim teuren Ausbau auf dem Land. Und das Bundesverkehrsministerium hat angekündigt, mehr öffentliche Liegenschaften für den Mobilfunkausbau zur Verfügung zu stellen. "Hier müssen - und nicht nur hier - den Worten endlich Taten folgen", so Witt.

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