Nahverkehr:Deutsche Bahn greift nach Stadtbus-Netzen

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Der Streit um die Strategie der Bahn entzündete sich am Fall Pforzheim, den Bürgermeister bundesweit als mögliche Blaupause einer kommunalen Privatisierungswelle sehen. (Foto: dpa)
  • Die Deutsche Bahn hat erstmals die Übernahme eines gesamten Stadtbusnetzes gegen den Willen einer Stadt durchgesetzt.
  • Nun schlägt der Deutsche Städtetag Alarm.

Von Markus Balser, Berlin

In deutschen Städten wächst die Angst vor einer Zwangsprivatisierung des Nahverkehrs. Nachdem die Deutsche Bahn in einem Präzedenzfall erstmals die Übernahme eines gesamten Stadtbusnetzes gegen den Willen einer Stadt durchgesetzt hat, schlägt nun der Deutsche Städtetag Alarm und fordert eine Gesetzesänderung zum Schutz öffentlicher Angebote: "Die Kommunen müssten das Recht zurückerhalten, einen guten und effizienten Nahverkehr für die Bevölkerung zu organisieren", sagte Städtetags-Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy der Süddeutschen Zeitung.

Der Streit entzündete sich am Fall Pforzheim, den Bürgermeister bundesweit als mögliche Blaupause einer kommunalen Privatisierungswelle sehen. Die Bahntochter DB Regio übernimmt hier vom 11. Dezember an das Stadtbusnetz. Der kommunale Verkehrsbetrieb Stadtverkehr Pforzheim, seit 1911 mindestens teilweise in städtischer Hand, wird abgewickelt. Mehr als 200 Mitarbeiter - Busfahrer, Bürokräfte, Servicepersonal - verlieren ihre Jobs.

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Stimmt die Schätzung des Bundesrechnungshofs, sind das 2,5 Milliarden Euro mehr, als die Deutsche Bahn plant. Ihr Chef Rüdiger Grube hatte noch vor Kurzem Kostensteigerungen ausgeschlossen.

Die Strategie der Bahn: Sie wartete nicht etwa die turnusmäßige Ausschreibung der Stadt Pforzheim ab, sondern nutzte eine Sonderregelung im Personenbeförderungsgesetz, die bei der Novelle 2013 in Kraft trat, bislang aber kaum Beachtung fand. Demnach können Unternehmen vor Beginn der Ausschreibung die Übernahme von Netzen beantragen, wenn sie diese ohne öffentliche Zuschüsse betreiben.

Diese Regelung nutzte in Pforzheim erstmals ein Unternehmen in Deutschland. Aus Sicht des Städtetags ist das erst der Anfang. Mehrere entsprechende Versuche privater Anbieter habe es zuletzt gegeben. Die wollten so an Linienkonzessionen kommen, ohne dass Städte über die Vergabe oder wesentliche Inhalte der Verkehrsangebote entscheiden könnten, warnt der Verband.

Weniger Zuschüsse

Das Gesetz müsse rasch geändert werden. Als Interessent weiterer Privatisierungen gilt die Bahntochter Regio. Sie will ihr Geschäft mit städtischen Buslinien ausbauen. "Das ist ein interessantes Geschäft", sagte eine Sprecherin. Man werde Chancen im Einzelfall prüfen und Angebote abgeben, wo sich das rechne. Europaweit gebe es im Stadtverkehr zunehmend Ausschreibungen, heißt es auch im Geschäftsbericht der Bahn. "Davon wollen wir profitieren." Die Bahn hatte kürzlich große Teile des Fernbus-Geschäfts eingestellt.

Pforzheim würde sich nun Zuschüsse von drei Millionen Euro jährlich sparen. Eigentlich eine gute Nachricht für die Kämmerer angesichts meist defizitärer Verkehrsbetriebe. Doch beim Deutschen Städtetag kann man nicht an ein Erfolgsmodell glauben. Das aktuelle Recht sei ein Einfallstor für Unternehmen, die behaupten, ohne Zuschüsse klarzukommen, sagt Dedy. "In der Praxis aber erwarten auch sie öffentliche Zuschüsse, etwa für die Beförderung von Schülern und für vergünstigte Tickets im Verkehrsverbund." Damit werde "die Qualität des Verkehrsangebots gefährdet." Die Bahn weist Tricksereien von sich. Man sei einer der großen Busbetreiber in Deutschland. Da könne man Busse oder Kraftstoffe eben günstiger einkaufen.

© SZ vom 06.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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