Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten:Glutenfrei, laktosefrei, gesund: Leere Versprechen im Supermarkt

Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten: Laktose- wie auch glutenfreie Lebensmittel erweisen sich sogar in Eisdielen als Verkaufsschlager.

Laktose- wie auch glutenfreie Lebensmittel erweisen sich sogar in Eisdielen als Verkaufsschlager.

(Foto: Catherina Hess)

Für angeblich besseres Leben und gute Ernährung zahlen die Kunden gerne mehr. Auch wenn sie dafür nur einen neuen Aufdruck auf der Käsepackung bekommen.

Kommentar von Stephan Radomsky

Der Supermarkt ist zum reinsten Gesundheits- und Wohlfühltempel geworden - zumindest wenn man der Werbung und den Verpackungen glaubt. Praktisch jedes Lebensmittel gibt es in Bio-Qualität, vieles auch in einer veganen Variante. Gleich daneben steht das "Superfood": Chiasamen, Açai- und Gojibeeren, Amaranth und natürlich Quinoa. Und längst ist es auch kein Problem mehr, sich gluten- und laktosefrei zu ernähren. Damit, so das Versprechen, kann endlich nicht mehr nur der Reformhaus-, sondern auch der Discounter-Kunde wirklich gesund essen.

Hat die Lebensmittelindustrie also verstanden? Leben jetzt alle ausgewogener als noch vor ein paar Jahren? Wohl kaum. Wenn es darum geht, ihre Produkte wirklich gesünder - oder wenigstens weniger ungesund - zu machen, mauert die Lebensmittelindustrie wie eh und je. Zugleich verdienen die Konzerne inzwischen aber ausgezeichnet daran, den besorgten Kunden Lebensmittel zu verkaufen, die ihr Wohlbefinden steigern sollen. Der Genuss tritt in den Hintergrund, es geht vor allem um den (vermeintlichen) Effekt. Der Boom der "frei-von"-Produkte ohne Laktose oder Gluten ist dafür nur das offensichtlichste Beispiel.

Der gleiche Käse lässt sich mit "laktosefrei"-Aufdruck teurer verkaufen

Es sind Produkte, die gezielt für jene Zielgruppe in die Regale gepackt werden, die Werbespezialisten Worried Well nennen: gesunde Menschen, die sich aber um ihre Gesundheit sorgen. Die sind bereit, für eine gesündere, bekömmlichere, kurzum bessere Ernährung, mehr Geld auszugeben - egal ob der Effekt nun echt oder eingebildet ist.

Beispiel "laktosefrei": Etwa 80 Prozent der Käufer haben eigentlich kein Problem damit, Milchzucker zu verdauen, ergab eine Untersuchung des Marktforschers GfK. Solche Produkte werden in den meisten Fällen also gekauft, obwohl sie für die Kunden keinen Nutzen bringen und in der Regel auch noch teurer sind. Das hat bisweilen geradezu skurrile Folgen: Hartkäse beispielsweise enthält von Natur aus keine Laktose mehr. Trotzdem werden Appenzeller und Edamer, Parmesan und Tilsiter seit einiger Zeit offensiv als laktosefrei beworben. Der gleiche Käse lässt sich so teurer verkaufen.

Es geht nicht um die Kunden, die wirklich auf solche Lebensmittel angewiesen sind

Natürlich gibt es Menschen, die wirklich keine Laktose verdauen können oder in deren Körper das Getreideeiweiß Gluten heftige Abwehrreaktionen verursacht. Diese Menschen sind auf spezielle Lebensmittel angewiesen, die sie vertragen. Für sie ist es wichtig, ein möglichst umfangreiches Angebot vorzufinden. Um sie geht es im Supermarkt aber gar nicht.

Mediziner gehen davon aus, dass in Deutschland nur etwa 15 Prozent der Bevölkerung laktoseintolerant sind. Zudem leidet vielleicht ein Prozent, vielleicht weniger, unter Zöliakie, also einer krankhaften Gluten-Unverträglichkeit. Unwahrscheinlich also, dass die Aufmerksamkeit für diese vergleichsweise kleinen Kundengruppen verantwortlich ist für den Boom der "frei-von"-Produkte.

Genauso unwahrscheinlich ist, dass die Konzerne ihren Kunden plötzlich die gute Ernährung erleichtern wollen. Für den Durchschnittsverbraucher sind nicht Laktose oder Gluten in den Lebensmitteln das wahre Gesundheitsrisiko, sondern zu viel Fett, Salz und Zucker. Sie sind es, die zu Krankheiten wie Übergewicht, Diabetes oder Bluthochdruck beitragen.

Das Versprechen vom besseren Leben wird nicht hinterfragt, lieber wird gezahlt

Gegen eine allzu prominente Kennzeichnung dieser Zutaten wehrt sich die Industrie aber seit Jahren erfolgreich. 2010 scheiterte beispielsweise die sogenannte Lebensmittel-Ampel im EU-Parlament. Mit ihr sollten Verbraucher anhand eines einfachen Rot-Gelb-Grün-Schemas erkennen können, wie gesund oder eben ungesund sie sich da gerade ernähren wollen. Die Industrie machte dagegen Front, das Gesetz kam nie zustande. Statt dessen locken viele Produkte im Supermarkt nun mit Versprechen wie "fettreduziert" oder "weniger Zucker". Unerwähnt bleibt dabei freilich, dass auch weniger immer noch zu viel sein kann.

Das Problem steht allerdings nicht nur im Regal, es steht auch davor: Viele Verbraucher wissen schlicht nicht mehr, wie viel Salz, Fett und Zucker in eine gute Tomatensoße gehören. Es fehlt am Wissen und an der Zeit, sich ernsthaft mit der eigenen Ernährung auseinanderzusetzen. Also lassen sich viele Kunden nur zu gern einlullen. Das Versprechen vom besseren Leben wird nicht hinterfragt, lieber wird gezahlt. Wird schon helfen - und wenn nicht, muss eben was anderes her. Das gibt es dann sicher auch im Supermarkt.

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