Nicht jedes Lied auf Streamingdiensten wie Spotify ist, was es vorgibt zu sein. Und nicht jedes abgespielte Lied wird tatsächlich von einem Menschen gehört. Auf dem Dienst wird betrogen: bei der Musik, die eingestellt wird und bei der Musik, die abgespielt wird. Ein Problem, gegen das Spotify ankämpft. Aber wann ist Betrug eigentlich Betrug?
Ziel der Trickser ist immer das Geld, das Spotify an die Rechteinhaber ausschüttet. Die Summe errechnet sich aus verschiedenen Variablen, etwa dem Anteil der Spotify-Nutzer, die für ein Abonnement zahlen und den monatlichen Gesamteinnahmen von Spotify. Im Schnitt zahlt Spotify pro Stream zwischen 0,6 und 0,84 US-Cent aus, sagt das Unternehmen. Ein einzelner Stream zählt, wenn er mindestens 30 Sekunden lang abgespielt wird.
Schlecht kopiert ist halb verdient
Mit diesem Wissen stellen Trickser gefälschte Musik auf Spotify ein. Wird sie angehört, bekommen sie Geld ausgezahlt. So werden etwa beliebte Songs, die von Millionen Nutzern gehört werden, einfach kopiert: Sogenannte "Kloner" nehmen eigene Versionen der Hits auf und veröffentlichen sie unter einem Namen, der von Nutzern häufig gesucht wird.
Das kann der Name des Songs sein oder ein bekannter Textausschnitt. Die Namen der Bands, wie "The Hit Crew", erinnern an Namen von Playlists. Nutzer, die auf der Suche nach dem Song sind und nicht wissen, wie der Künstler heißt, klicken dann darauf. Eine schnelle Suche bei Spotify zeigt: Zu so gut wie jedem aktuellen Erfolgstitel finden sich auch (oft erschreckend schlechte) Kopien.
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Es gibt noch andere Tricks: Kopierte Songs, deren Namen geschrieben sind wie große Hits, nur mit einem kleinen Tippfehler. Lieder, die unter verschiedenen Namen immer wieder hochgeladen werden. "Künstler", die "Lieder" einstellen, die nur aus weißem Rauschen bestehen und angeblich die Konzentration anregen sollen. Geld wird über die pure Masse an Beiträgen eingenommen. Wer genug gefälschte Lieder einstellt, für den lohnt es sich irgendwann.
Nutzer und Roboter halten den Streamingdienst sauber
Spotify geht gegen diese Art von Spam vor. 2014 hat das Unternehmen Echo Nest gekauft, eine Plattform, die den Zusammenhang zwischen Tönen und Text in Musikaufnahmen untersucht. Sie hat verschiedene Arten von Musikbetrug ausfindig gemacht und Methoden gefunden, dagegen vorzugehen: Etwa Audio-Fingerabdrücke, anhand derer Kopien von Liedern erkannt werden können, auch wenn diese unter anderen Namen hochgeladen werden.
Spotify-Sprecher Marcel Grobe zufolge gibt es heute aber nur "wenige Möglichkeiten, Inhalte anzuliefern, die wir nicht schon gehört haben oder mit deren Label oder Distributor wir nicht in direktem Kontakt stehen". Wenn Spotify merke, dass jemand versuche, Lieder anzuliefern, die "eine ähnliche Schreibweise, aber keine Copyrights" hätten, würden diese innerhalb kurzer Zeit heruntergenommen. "Unsere Nutzer weisen auf unrechtmäßige Inhalte hin", sagt Grobe. "Außerdem haben wir interne Software-Programme, die Auffälligkeiten bemerken, etwa wenn ein Track auf drei unterschiedliche Arten geschrieben wird."
Den ehrlichen Musikern - beziehungsweise denen, die die Rechte an ihren Liedern halten - kommt das zugute: Wird weniger Geld an Spammer ausbezahlt, bleibt mehr für sie übrig. Davon profitieren am Ende auch die Nutzer, denn nur, wenn Streamingdienste genug Einnahmen bringen, werden Musiker und Labels weiter ihre Alben dort online stellen. Viele von ihnen stehen dem Streaming-Modell auch ohne die Tricksereien schon skeptisch gegenüber.
Es ist auch möglich, Spotify von der Hörerseite aus zu betrügen. Das funktioniert etwa mit Hilfe von Botnetzen, die auch für Angriffe auf Webseiten genutzt werden. Werden sie auf die Musik-Plattform losgelassen, können sie automatisiert sehr viel Musik hören. In einem Test für die Website Motherboard hat Ingenieur William Bedell ein Botnetz gebaut. Es kann an einem Tag etwa 32 Dollar Einnahmen für einen Künstler generieren, dabei kostet sein Betrieb mit 0,003 bis 0,012 Cent pro Stream deutlich weniger, als Spotify für einen Stream auszahlt. Macht ein Plus von mehr als 600 Prozent.
Peter Fillmore, Sicherheitsberater aus Melbourne, hat bereits 2013 softwarebasierte Roboter gebastelt, die pausenlos ihre eigenen, aus alten Midi-Dateien zusammengestückelten Lieder anhörten - er verdiente so etwa 1000 Dollar. Seine Ausgaben: rund 30 Dollar. Erst nachdem seine Songs ein halbes Jahr später mehr als eine Million Mal angehört worden waren, entfernte Spotify sie. Ausschlaggebend waren vermutlich die schlechten Hörerkritiken.
Wie Spotify gegen die Bots kämpft
Spotify-Sprecher Grobe kennt das Problem von Programmen, die automatisiert Musik abspielen. Auch dagegen gehe sein Unternehmen vor, sagt er: "Wir können im System beobachten, wenn es eine ungewöhnliche hohe Nutzung über eine Login-Adresse gibt. In solchen Fällen besprechen wir uns mit den Rechteinhabern und fragen sie, was da los ist. Wenn wir merken, dass ein Betrug stattfindet, bitten wir sie, die Lieder aus unserem Service zu nehmen oder wir löschen sie selbst. Das passiert aber nur selten."
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Aber es gebe auch Betrugsversuche, die an Klickfarmen in Indien erinnern, sagt Grobe. Unter deren Dach bewerten schlechtbezahlte Arbeiter etwa ununterbrochen bestimmte Facebook-Seiten oder Youtube-Videos positiv. Im Gegensatz zu Bots sind diese Betrugsversuche schwieriger nachzuvollziehen, da sie den üblichen Mustern menschlicher Nutzung eher entsprechen.
Ein Tag lang Dauerschleife löst keinen Alarm aus
Wenn eine Person ihren Ohrwurm 24 Stunden lang hoch und runter hört, löst das noch keinen Alarm aus: "Wir reden nicht davon, dass von einer Adresse aus ein Lied einen Tag lang in der Dauerschleife gehört wird", sagt Grobe. Auch dann falle dieses Verhalten zwar auf und werde von Spotify beobachtet, allerdings checke der Dienst auch, ob es noch weitere Leute gibt, die sich ähnlich verhalten. "Das muss in die Tausende oder Zehntausende gehen, um eine Auffälligkeit zu erzeugen."
Ist etwa ein neues Album eines großen Künstlers erschienen, liegt die Schwelle deutlich höher, als wenn ein unbekannter Song ohne Anlass auf einmal von Dutzenden Accounts ununterbrochen gespielt wird. Problematisch könnte dieses System jedoch werden, wenn Spotify doch mal danebenliegt - und echtes Hörerverhalten mit einem Fall von Bot-Betrug verwechselt. Dann können Lieder von Spotify entfernt werden, der Künstler hätte das Nachsehen.
Es gibt auch Künstler, die selbst versuchen, Spotify auszutricksen. So wie Vulfpeck, eine Indie-Band aus den USA. Die Band wollte 2014 genug Geld einnehmen, um auf Tour gehen zu können, die Tickets sollten für Fans umsonst sein. Doch die regulären Ausschüttungen von Spotify reichten dafür nicht aus. Deshalb veröffentlichte die Band ein Video mit einer Bitte an ihre Fans: Sie sollten doch nachts, beim Schlafen, das Album "Sleepify" hören.
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Die zehn Songs aus "Sleepify" - mit den Titeln "Z" bis "Zzzzzzzzzz" - bestehen aus Stille. Jeder der Songs dauert 31 oder 32 Sekunden und ist damit lang genug, als Stream gezählt zu werden. "Wir versuchen, PR-Stunts, die Künstler finanziell unterstützen, bis zu einem gewissen Grad mitzutragen", sagt Spotify-Sprecher Grobe. Das sei auch bei Vulfpeck der Fall gewesen. "Wenn es jedoch nur darum geht, unser Geschäftsmodell zu betrügen, informieren wir die Rechteinhaber und nehmen gegebenenfalls die Lieder herunter." Bis das bei Vulfpeck geschah, hatte die Band knapp 20 000 US-Dollar eingenommen.
Ein Lied in Dauerschleife, ganz automatisch
Andere Künstler nutzen ähnliche Aktionen, um Kritik an Spotify zu üben. So etwa die Band Ohm & Sport aus New York, die der Meinung war: Der Anteil der Streaming-Gelder, der auf dem Konto der Musiker landet, sei vor allem für Indie-Künstler zu klein. Die Browser-App Eternify sollte Musikern deshalb helfen, ihre Einkünfte zu erhöhen. Mit Eternify konnten Nutzer jeden beliebigen Song einer Band automatisch in Dauerschleife spielen - und entsprechend ihre Einnahmen steigern
Zugleich promotete die Band damit ihre Single "Air Tonight" (die immer noch auf Spotify zu hören ist). Die App wurde aber schnell offline genommen. Die Band verkündete trotzig: "In nur wenigen Tagen haben Musikfans aus mehr als 140 Ländern Eternify verwendet, um zu zeigen, wie viel ihnen die eigene Streaming-Nutzung wert ist und sie neu erfunden. Spotify hat dem ein Ende bereitet."