Doch keine Momo-Challenge:"Momo" war nicht Auslöser für Tabletteneinnahme

Lesezeit: 3 Min.

Das Momo-Foto zeigt eigentlich eine Skulptur des japanischen Künstler Keisuke Aiso. (Foto: Collage: SZ)
  • Eine Münchner Schülerin schluckt Tabletten und landet im Krankenhaus.
  • Die Polizei sagt, möglicherweise habe das Internet-Phänomen "Momo" sie dazu aufgefordert.
  • Bislang gab es zu "Momo" vor allem alarmistische Medienmeldungen und kaum bestätigte Auswirkungen. Experten warnen auch jetzt vor vorschnellen Schlüssen.
  • Aktuelle Entwicklung: Die Polizei nimmt früheren Aussagen zurück. Zwischen der Einnahme der Tabeletten und der sogenannten "Momo-Challenge" bestehe kein Zusammenhang.

Von Max Muth

Aktualisierung: Die Polizei hat frühere Aussagen, dass eine 13-Jährige aufgrund von Horrornachrichten über Whatsapp Tabletten geschluckt haben soll, zurückgenommen.

Vor ein paar Jahren erschuf der japanische Künstler Keisuke Aisawa die Skulptur einer Vogelfrau. Weit aufgerissene Augen, ein hageres Gesicht mit unwirklich langgezogenem Mund, wirre Haare - ein Geschöpf, wie gemacht für Albträume. Besucher einer Kunstausstellung tauften sie "Momo". Eine japanische Instagram-Nutzerin teilte ein Bild der Figur auf ihrem Account, von dort stahlen es Unbekannte und machten daraus eine der bekanntesten Horrorfiguren der vergangenen Jahre.

Horrorfigur "Momo"
:Kurznachrichten-Horror: 13-Jährige schluckt Tabletten

Die Horrorfigur "Momo" hatte sie in beängstigenden Kettenbriefen dazu aufgefordert. Fast wäre die Schülerin gestorben, ihre Eltern finden sie gerade noch rechtzeitig.

Vor wenigen Wochen erlangte Momo weltweite Aufmerksamkeit, als sich Kim Kardashian, US-amerikanischer Reality-TV-Star, in einem Instagram-Post an ihre 130 Millionen Follower wandte. Kardashian prangerte an, dass Momo in Kindervideos auf Youtube auftauche - und die Kleinen auffordere, Gabeln in Steckdosen zu stecken oder nachts, wenn die Eltern schlafen, den Herd anzuschalten. Eine befreundete Mutter habe ihr erzählt, dass schon Fünfjährige die Horrorfigur erkennen. Youtube müsse dagegen etwas unternehmen.

Youtube wiegelte zunächst ab. Mittlerweile hat die Plattform die meisten Videos gelöscht, sodass man dort vergeblich nach ihnen sucht. Doch Beweise, dass es diese Filme tatsächlich gab, findet man noch im Netz. Ein Familienprogramm aus der Dominikanischen Republik teilte zum Beispiel eines dieser Videos am 28. Februar auf Instagram. Zunächst ist eine Folge der Kinderserie "Peppa Wutz" zu sehen, bis sie jäh unterbrochen wird von einer Botschaft der Vogelfrau, die den Zuschauer mit dem Tod bedroht. Auch in Videos, die Gamer beim Spielen des Computerspiels "Fortnite" zeigen, soll Momo gesichtet worden sein.

Momo gibt es nicht. Natürlich nicht.

Die meisten Videos auf Youtube über die Horrorfigur sind allerdings eher gutartig: Sie erklären das Phänomen und weisen darauf hin, dass es sich bei Momo um einen schlechten Scherz, eine Legende - im Internet-Sprech: einen Hoax handelt.

Menschen, die sich schon länger mit der digitalen Version von Kettenbriefen auseinandersetzen, ist Momo schon seit Mitte 2018 ein Begriff. Schon damals kursierte eine Warnung vor Whatsapp-Kettenbriefen mit der Vogelfrau im Netz. Der Kettenbriefverfasser gab sich als Geist Momo aus und drohte den Empfängern, dass etwas Schlimmes passieren würde, wenn sie die Nachricht nicht an mindestens 15 Kontakte weiterleiten würden. Etliche kamen der Aufforderung nach.

Die österreichische Fact-Check-Seite Mimikama, die Falschnachrichten in sozialen Medien hinterherrecherchiert, versuchte damals mehrmals, Kontakt mit dem Absender aufzunehmen - vergeblich, wenn sie auf Momos Gruselnachrichten antworteten, kam nie etwas zurück.

Momo zu Unrecht beschuldigt

Im Fall einer 13-jährigen Münchner Schülerin sollte das jetzt anders gewesen sein. Am 5. März sollte Momo einem Polizeisprecher zufolge Kontakt mit der Schülerin aufgenommen haben. Das Mädchen antwortete demnach auf die Nachricht, daraufhin sei zum Austausch von Nachrichten zwischen der 13-Jährigen und der fiktiven Vogelfrau gekommen. Schließlich habe die Vogelfrau die 13-Jährige aufgefordert, Tabletten zu schlucken. Doch diese Darstellung der Polizei war offenbar falsch.

Momo-Kettenbriefe auf Whatsapp zu verschicken, ist nach Angaben der Polizei nicht per se strafbar. Wenn die Botschaften allerdings Drohungen enthalten, dann kann das unter Umständen als Nötigung gewertet werden.

Nach der ersten Meldung der SZ berichteten viele Medien über den Fall. Der Münchner Fall wäre insofern etwas Besonderes gewesen, weil Medien seit Mitte 2018 zwar immer wieder in teils alarmistischem Ton vor der Gefahr warnten, die von sogenannten Momo-Challenges ausgehe. Allerdings gab es bisher keinen Fall, in dem tatsächlich ein Kind zu Schaden kam. Lediglich die englische Zeitung Sun berichtete im Februar von einer Fünfjährigen, die sich nach Aufforderung von Momo eine Glatze habe schneiden wollen. Noch am 2. März schrieb die New York Times, es gebe "keine glaubhaften Berichte über Kinder, die von Momo Challenges beeinflusst wurden".

Mimikama: "Angst ist nie ein guter Ratgeber"

Das hätte sich mit der Meldung aus München geändert. Die österreichischen Fake-Jäger von Mimikama hatten bereits gestern vor vorschnellen Urteilen. "Angst ist nie ein guter Ratgeber", sagt Mimikama-Sprecher André Wolf. "Es ist zum jetzigen Zeitpunkt unklar, ob es sich hier um eine flächendeckende Challenge handelt." Sollte es die Aufforderungen an die Schülerin wirklich gegeben haben, wäre es das erste Mal, dass die "Momo Challenge" nachweisbar auftaucht. Ursprünglich, so Wolf, existierte Momo nur als Kettenbrief, den man weiterleiten sollte - und mehr passierte nicht. Der Challenge-Charakter, bei dem "Momo" dem Gegenüber Aufgaben gibt, entwickelte sich nach Aussage von Wolf erst, nachdem das Phänomen Momo über Youtube bekannt geworden war.

Auch wenn der Münchner Fall sich jetzt als Falschmeldung herausstellt. Die Momo-Kettenbriefe und Videos auf Youtube existieren tatsächlich. Auch wenn Kinder durch sie nicht zu Schaden kamen, Angst machen können sie dennoch: Besorgten Eltern rät Wolf, dass sie mit ihren Kindern über das Prinzip solcher Kettenbriefe sprechen und ihnen klar machen, dass man dort verbreitete Horrorgeschichten nicht ernst nehmen muss. Die Polizei empfiehlt, sich auf klicksafe.de über das Thema Internetsicherheit zu informieren.

© SZ vom 15.3.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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