Das Zeichen für den Wandel ist etwa einen halben Meter hoch und aus Filz. Es hat einen Holzhenkel und ist so niedlich, dass es in der Spielecke eines Möbelhauses stehen könnte. Stattdessen ziert es - in blau, rot, grün und gelb - Flure und Zimmer in einem Haus im Münchner Norden, das so gar nichts mit einer Spielecke zu tun hat: das neue Büro des großen Rückversicherers Munich Re.
Büroarbeit, das bedeutete lange, morgens in ein Zimmer mit weißen Wänden zu gehen, an einem normierten Schreibtisch mit Drehstuhl Platz zu nehmen, der nur für Besprechungen oder Kantinenbesuche verlassen wurde. Wer es schlimm erwischte, wurde irgendwann, von den Achtzigerjahren an, in ein Großraumbüro versetzt - und das, obwohl Studien belegen, dass zu viele Geräusche, schlechte Luft und wenig Privatsphäre die Produktivität stören. "Lange galt: Warum Wohlbefinden fördern, schließlich werden die Leute bezahlt", sagt Burkhard Remmers, der für den Büroausstatter Wilkhahn arbeitet.
Landschaft statt Zimmer
Doch diese grauen Zeiten sind vorbei. Der Arbeitsort der Zukunft ist kein Zimmer, er ist eine Landschaft, "open spaces" ist das Zauberwort. Es steht für wohnliche Räume, so vielfältig wie die Menschen, die darin arbeiten und im besten Fall so facettenreich wie deren Aufgaben und Launen. Die Idee dahinter: Wer gern ist, wo er arbeitet, tut das länger und mehr. Wie das aussehen kann, zeigt sich in dem Münchner Versicherungsgebäude. In der Lobby prangt ein Kunstwerk, in den Büroräumen stehen Ohrensessel und besagte Filzhocker, statt grauen Fluren gibt es Bereiche mit Stehtischen und Kaffeemaschinen. Damit die Mitarbeiter sich orientieren können, haben die Wände in jeder Gebäudeecke eine eigene Signal-Wandfarbe.
Dass deutsche Arbeitnehmer nicht mehr nur von Obstgärten bei Google im fernen Amerika träumen müssen, hat verschiedene Ursachen: Zum einen ist Raumgestaltung Imagesache geworden. Investiert ein Arbeitgeber in dieses Wohlgefühl, steigert das sein Prestige - nach außen wie innen. Allmählich setzt sich die Erkenntnis durch, dass bessere Räume bessere Arbeit ermöglichen. "Der Begriff Arbeitsplatz impliziert nicht umsonst einerseits den konkreten Ort mit Schreibtisch und Stuhl, andererseits aber auch den Job, den Stellenwert und Platz im Unternehmen", sagt Remmers.
Wie arbeiten wir in Zukunft?
Eine Woche lang haben sich SZ-Autoren mit der Zukunft der Arbeit befasst - das Thema, das die Leser der SZ in einer Online-Abstimmung ausgewählt hatten. Alle Texte, Grafiken und Videos zum Thema "Die Zukunft der Arbeit" stehen auf der Themenseite von sueddeutsche.de. Mehr zum Thema: Illusion der Stärke - Essay von Christina Berndt
Diese Art von Wertschätzung fordern offenbar auch immer mehr Mitarbeiter. Philipp Müller arbeitet für die "Vereinigten Spezialmöbelfabriken". Wenn er für eine Firma das Büro neu planen soll, hört er immer öfter einen Satz: "Wir wollen den besten Arbeitsplatz der Welt, damit wir die besten Leute kriegen." Vor allem für junge, gut ausgebildete Menschen gibt es Faktoren, die über Gehalt und Arbeitsplatzsicherheit hinausgehen: "Die wollen ein tolles Büro, ihren Hund mitbringen und guten Kaffee", fasst es die Internetunternehmerin Verena Pausder zusammen.
Gleichzeitig macht die technische Entwicklung eine neue Gestaltung möglich: Stapel von Dokumenten verbergen sich im Tablet, Präsentationen können mit dem Laptop auf der Couch entworfen werden, Besprechungen über Tausende Kilometer geführt werden. Das ändert die Arbeit. In der Munich Re wurde vor dem Umzug ausgerechnet, dass viele der Plätze 50 Prozent der Zeit unbesetzt sind. Stattdessen sind die Menschen auf Reisen oder in Besprechungen. Die neue Bürowelt soll deshalb beides: Kosten sparen, aber auch Hierarchien aufbrechen. Einfache Angestellte erzählen dem Chef einen guten Vorschlag eher beim zufälligen Treffen an der Kaffeemaschine, als wenn sie dafür an der Tür des Eckbüros klopfen müssen.
Kein Sparkonzept
Der richtige Rahmen für Kommunikation und Kreativität wird längst genau geplant. "Bei größeren Unternehmen gibt es oft eine Stabsstelle und ein externes Planungsbüro", sagt Müller. Auch vor dem Umzug der Munich Re haben sich die dortigen Planer umgesehen: Was hat sich bei anderen bewährt, was ist nur in der Theorie gut? Zudem wurden Mitarbeiter per Mail befragt. "Anfangs gab es durchaus kritische Reaktionen. 'Was, ich soll mein Büro aufgeben?', hat so mancher gefragt", sagt Vorstand Joachim Wenning. "Wir mussten erst einmal vermitteln, dass das kein Sparkonzept ist und keinen Cent günstiger ist, sondern die Arbeitsbedingungen verbessern soll." Anschließend wurden Musterecken gebaut - ein langwieriger, aber notwendiger Prozess. "Erfolgreich sind solche Konzepte immer dann, wenn sie nicht von oben aufgestülpt werden", sagt Einrichter Müller.
Denn: Die Vorstellungen vom perfekten Büro variieren. Der eine braucht es still, der andere hell, der dritte bunt. Bei der Munich Re ist das Ergebnis eine Landschaft mit Rückzugskammern, Besprechungsecken und sogar einer Abteilungsbibliothek. Vorstand Wenning betont, bei schönem Wetter den Laptop mit in den Hof zu nehmen. Auch in der deutschen Zentrale des Kommunikationskonzerns Vodafone soll sich jeder dort niederlassen, wo er am besten erledigen kann, was er machen muss. In der Bibliothek mit Handy-Verbot oder auf der Terrasse mit drahtloser Internetverbindung; auf einem Sofa oder im abgeschirmten Besprechungsraum mit Bildschirm im simulierten Bücherregal, auf den man auch den Kollegen aus London zuschalten kann. Die Arbeit bestimmt den Ort - nicht umgekehrt. "Vorher saß ich zwar auf demselben Gang wie meine Kollegen, aber wir haben uns trotzdem manchmal eine ganz Woche lang nicht gesehen und nur per Mail kommuniziert. In den offenen Büros geht vieles auf Zuruf", sagt Jens Schulte-Bockum, der für Vodafone das deutsche Geschäft verantwortet.
Schulte-Bockum teilt seit etwas mehr als zwei Jahren seinen Schreibtisch mit vier anderen Vorstandskollegen. Und das, was sich normalerweise in so einem Chefbüro stapelt, liegt auf einer Festplatte. Der 48-Jährige arbeitet fast ausschließlich vom Laptop aus. Als das Unternehmen auf den neuen Campus gezogen ist, hat er seinen etwa 5000 Mitarbeitern nicht nur den festen Platz, sondern auch den Papierkorb unterm Tisch weggenommen. "Spätestens, wenn sich all das Papier auf dem Schreibtisch stapelt, merken die Leute, dass das meiste davon unnötig ist", sagte er damals. Die Sache hat sich ausgezahlt: Am neuen Standort kommen sie mit 80 Prozent weniger Papier aus und mit 1000 Schreibtischen weniger als es Mitarbeiter gibt. Eng geworden ist es trotzdem nicht. Die Hälfte ihrer Arbeit dürfen die Angestellten von zu Hause aus erledigen.
Was wie eine gute Nachricht klingt, ist es nur auf den ersten Blick: "Ganz gleich, ob die Unternehmen versuchen, den Mitarbeiter möglichst lange bei sich zu behalten oder ihn zu Hause arbeiten zu lassen, es geht um das gleiche Ziel: Immer mehr in die Privatsphäre einzudringen - und letztendlich die Persönlichkeit zu vereinnahmen", sagt Karlheinz Zauss von der Firma Geramöbel. Wenn der Mitarbeiter sich im Büro wohlfühlt, weil der Filzohrensessel Wohnzimmerstimmung simuliert, bleibt er auch mal länger. Und wenn er den schicken Laptop mit nach Hause nimmt, macht er ebenso auch mal Überstunden.
Ob das tatsächlich funktioniert? Bislang gibt es kaum Untersuchungen über die Wirkung der neuen Büros. Einig sind sich alle aber in einem Punkt: Neue Sessel und neue Laptops reichen nicht. "Wenn es keine Kultur der offenen Kommunikation gibt, hilft auch die schönste Kaffeelounge nicht", sagt Barbara Schwaibold.