Es ist gegen jede Vernunft: Obwohl es auf den Straßen immer enger und Sprit noch teurer wird, steigen die Verkaufszahlen von SUVs weiter an. Ganz so, als gäbe es keinen Klimawandel, als wäre Erdöl eine unendlich verfügbare Ressource. Einige Forscher haben für dieses Phänomen eine erstaunliche Erklärung: Angst! Die Angst vor Veränderung und gesellschaftlichen Umbrüchen. Wer sich und seine Familie schützen will, so die Erklärung, fühlt sich in einem Wagen sicherer, der mehr einem mächtigen Rammbock denn einem niedlichen Käfer gleicht.
So gesehen wäre der klobige Geländewagen ein Bollwerk gegen den Wandel, ein trotziges Aufbegehren gegen die schleichende Entwertung des Statussymbols Auto. (Vor-)Urteile wie dieses gibt es in der Psychologie des Autofahrens zuhauf. Männern im Sportwagen wird gern nachgesagt, sie wollten ihre Potenz zur Schau stellen, Frauen in kleinen, bunten Flitzern auf sich aufmerksam machen. Egal, was da nun dran sein mag. Fest steht: Autofahren ist eine hochemotionale Angelegenheit. Wer zum Beispiel Tempo 30 in Städten oder gar ein Limit auf Autobahnen in Deutschland fordert, dem droht nach wie vor ein Sturm der Entrüstung.
Soll also alles so bleiben wie es ist? Einfach weiter machen wie bisher? In endlosen Staus herumstehen? Runde um Runde im Stadtviertel drehen auf der Suche nach einem Parkplatz? Lärm, verpestete Luft, entnervt zuhause ankommen? Oder geht es vielleicht auch anders, besser, sogar viel besser? Ja, das geht. Was es dafür vor allem braucht: Visionen, Technik, eine passende Infrastruktur - und ganz wichtig, den Willen zur Veränderung.
Verlust an Lebenszeit:Pendeln ist die Hölle
Er ist einer von 18 Millionen Pendlern - doch nach zehn Jahren und vielen tausend Stunden auf der Autobahn hat unser Autor nun endgültig die Nase voll. Eine persönliche Abrechnung.
Da kann es helfen, sich einfach mal zurückzulehnen, die alten Denkmuster für ein paar Momente beiseitezuschieben, um sich einen ganz anderen Alltag vorzustellen. Wie etwa würde sich das Leben in einer staufreien Stadt anfühlen, mit sauberer Luft, mit viel Grün vor der Haustür und jeder Menge Platz für Fußgänger, Radfahrer oder einfach nur zum Draußensein. Eine Stadt, in der man jederzeit schnell und bequem unterwegs sein kann, und das auch noch, ohne dem Klima zu schaden.
Oder wie fühlt sich das Dasein in einem Dorf an, das wieder Lebensqualität bietet, weil es kein Problem mehr ist einzukaufen, zur Arbeit zu kommen, in die Schule oder zum Arzt. Und all das, ohne auf das eigene Auto angewiesen zu sein.
Was lange undenkbar erschien, wird langsam Realität: Die Vormachtstellung des Autos als Verkehrsmittel Nummer Eins bröckelt. Umfragen zeigen deutlich, dass vor allem Städter zwischen 20 und Mitte 30 anders mobil sein wollen. Wenn sie ein Fahrzeug brauchen - egal ob Auto, Fahrrad oder Roller, dann mieten oder teilen sie es. Der Vorteil dabei ist, sie sparen so auch jede Menge Geld für Unterhalt, Versicherung oder Reparaturen.
Das zeigt, wohin die Reise geht: Mobilität bedeutet Service, nicht Besitz. Massentransportmittel wie Zug, S- oder U-Bahn werden wichtiger und werden ergänzt durch ein vielfältiges Angebot an individuell nutzbaren öffentlichen Vehikeln. Sammeltaxis oder autonomfahrende Carsharing-Autos halten auf Bestellung vor der Haustür. Fahrräder, E-Bikes, Roller und andere fahrbare Untersätze sind Teil dieses Systems, sodass auch der letzte Kilometer von der Bahnhaltestelle bis zur Arbeitsstelle abgedeckt ist. Alles eng vernetzt und einfach nutzbar.
Der Autoschlüssel von morgen ist dabei das Smartphone. Eine App berechnet den schnellsten und bequemsten Weg und bietet infrage kommende Verkehrsmittel an. Sie schaltet das Mietrad frei, öffnet das Auto, liefert das Busticket und regelt auch die Bezahlung. Das Verkehrsaufkommen nimmt ab, weil die Fahrzeuge nicht wie Autos heute die meiste Zeit ungenutzt herumstehen, sondern in Bewegung sind. Wenn zugleich die Zahl der insgesamt zugelassen Fahrzeuge drastisch sinkt, entsteht so in den Städten neuer Lebensraum.
Doch wer die Menschen zum Umsteigen bewegen will, muss überzeugende Angebote machen - Diesel-Fahrverbote, wie sie in Stuttgart, Hamburg oder Essen verhängt wurden und nun auch in anderen europäischen Großstädten drohen, helfen da nicht weiter. Sie sind nur ein Symptom für die Hilflosigkeit der Politik. Tatsächlich geht es um das Aus für ein überkommenes Verkehrsmodell, das am Tropf der Ölindustrie hängt und im Bann einer schier übermächtigen Autolobby steht.
Doch der Wandel wird sich nicht aufhalten lassen. Nach dem Kutschen-, Eisenbahn-, und Automobil-Zeitalter steht ein neuer großer Umbruch bevor. Das Verkehrssystem von morgen kann und muss klimaneutral, flexibel und nachhaltig sein. Fest steht auch, dass dieser Umbruch ökonomische und gesellschaftliche Verwerfungen mit sich bringt - es wird Gewinner und Verlierer geben. Deshalb ist es wichtig, diesen Wandel mutig und vorausschauend zu gestalten. Statt über die Zukunft von Dieselautos zu streiten, muss endlich darüber diskutiert werden, was danach kommen soll.
In einigen europäischen Städten wird der Umbau des Transportsystems bereits energisch vorangetrieben. Helsinki führt ein Verkehrsticket ein, bei dem im Preis alles inbegriffen ist, Bus, Bahn, Mietwagen, Taxi, Fähre, E-Bike. Eine App verbindet alle Transportmittel. Madrid hat die Parkflächen für Autos in der Innenstadt drastisch reduziert, mehr Platz für Radler und Fußgänger geschaffen, dafür kommen Bus und Bahn jetzt häufiger. In Mannheim entsteht auf dem Gelände einer ehemaligen US-Kaserne ein neuer Stadtteil, in dem ein eigenes Auto unerwünscht ist. Dafür gibt es breite Wege für Radfahrer und Fußgänger und eine kostenlose Straßenbahn.
Das sind erste Ansätze, doch das allein reicht nicht. Was Deutschland braucht, ist ein nationaler Mobilitätspakt, der die Leitplanken für das Verkehrssystem von morgen setzt. Wer etwa glaubt, dass E-Autos die einfache Lösung aller Probleme sind, irrt gründlich. Batteriebetriebene Fahrzeuge verursachen einen gigantischen Rohstoff- und Energieverbrauch, wollte man Benziner und Diesel eins zu eins ersetzen.
Verkehrsexperten warnen zudem, dass mit autonom fahrenden Autos der Verkehr noch weiter zunehmen könnte. Werden sie bedenkenlos in großer Anzahl zugelassen, verstopfen sie die Straßen noch mehr. Vernünftig eingesetzt, als Teil einer Carsharing-Flotte, können sie das Verkehrsaufkommen dagegen entlasten. Wirklich sicher unterwegs sind die autonomen Wagen auch erst dann, wenn nicht parallel dazu fahrergesteuerte Autos fahren.
Der Wandel wirft Fragen auf, die im gesellschaftlichen Konsens beantwortet werden müssen: Wie sollen Straßen genutzt werden? Bleiben Innenstädte künftig autonomen Autos vorbehalten? Wo und wie viel Platz muss für Radfahrer und Fußgänger freigemacht werden? Welchen Beitrag kann eine CO₂-Steuer für Verbrennungsmotoren leisten, um den Umbau des Verkehrssystems zu finanzieren? Für Geldgeber, Hersteller, Verkehrsdienstleister und auch für Nutzer sind dies wichtige Richtlinien, an denen sie sich orientieren können. Nur so können passende Produkte und Angebote entwickelt werden.
Klar ist auch, dass es den Wandel nicht zum Nulltarif gibt. Deshalb muss auch die Finanzierungsfrage diskutiert und geklärt werden. Noch kommen gut 80 Prozent der staatlichen Verkehrsausgaben dem Auto zugute, etwa für den Ausbau von Straßen, Autobahnen und deren Instandhaltung. Geld, das an andere Stelle fehlt, beim Auf- und Ausbau einer vernetzten Verkehrsinfrastruktur, die nicht mehr das Auto an die erste Stelle setzt, sondern einen Mix an flexiblen Transportmitteln. Voraussetzung für deren Vernetzung ist ein stabiles und leistungsstarkes Mobilfunknetz, das die unzähligen Löcher im Flickenteppich auf der deutschen Landkarte schließt. Ein Kraftakt, den die Politik viel entschiedener fördern muss als bisher.
Denn ohne Digitalisierung wäre das Verkehrssystem von morgen undenkbar. Sie macht es erst möglich, alle Angebote so zu vernetzen, dass Nutzer schnell und einfach darauf zugreifen können. Apps wie der DB-Navigator der Deutschen Bahn oder Google Maps machen es schon jetzt möglich, bei Reisen in fremde Städte Bus, Bahn, Taxi und zum Teil auch Carsharing zu nutzen, zu buchen und zu bezahlen. Die Programme werden jeden Tag besser, weil immer mehr öffentliche Nahverkehrsbetriebe ihre Fahrpläne und Tarife einspeisen, Mietwagenfirmen Einblick in ihre Buchungssysteme geben und sich lokale Anbieter von Mieträdern anschließen. Noch sind längst nicht alle Verkehrsbetriebe angebunden, doch der Anreiz ist vorhanden. Wer seine Fahrpläne mit anderen abstimmt, gewinnt mehr Fahrgäste - und das ist gut fürs Geschäft.
Wenn die Verkaufszahlen von E-Autos wie erwartet bald deutlich steigen, wächst auch der Bedarf an Ladekapazität. Hier weist die App den Weg zur nächsten Ladestation, und die muss nicht unbedingt von einem Stromlieferanten am Straßenrand aufgestellt sein. Auch Privatleute könnten ihren Solarstrom verkaufen, wenn sie eine passende Steckdose anbieten und an ein Abrechnungssystem angeschlossen sind. Autohersteller wandeln sich zu Mobilitätsanbietern, die Carsharing-Flotten managen und zusätzliche Dienstleistungen anbieten, etwa den Transport von Waren.
Dies sind nur ein paar Beispiele, die deutlich machen, dass mit der zunehmenden Vernetzung neue Geschäftsmodelle und Serviceangebote entstehen. Alle zusammen können den Lebensstil und das Verständnis von Mobilität grundlegend verändern. Das eigene Auto wird dann nicht mehr unverzichtbar erscheinen.