SZ: Lycos Europe gehörte zur großen Internet-Aufstellung des einstigen Bertelsmann-Chefs Thomas Middelhoff. Nach der Abwicklung zieht der Gütersloher Konzern im Online-Geschäft endgültig blank. Keine gesunde Entwicklung.
Jürgen Richter leitete mehrere große Medienhäuser - darunter auch Bertelsmann.
(Foto: Foto: dpa)Richter: Die heutige Strategie von Bertelsmann kann ich nicht nachprüfen. Zu bedauern ist, dass es jetzt so gut wie kein durchschlagendes Angebot für neue Medien gibt. Der Konzern hat immer überlegt, bei Computerspielen aktiv zu werden, doch attraktive Firmen kosten heute einige Milliarden Euro, und nicht mehr 500 Millionen. Die Einstiegshürden sind groß. So wie Bertelsmann aufgestellt ist, hat nur die Fernsehtochter RTL ein überzeugendes Branding. Die anderen Marken sind eher schwächer.
SZ: Bertelsmann lobte vor einem Jahr die Online-Lernfirma Scoyo aus - und verkaufte sie einige Monate später. Warum?
Richter: Fachinformationen sind nach wie vor ein Wachstumsmarkt, der weit in die neuen Medien hineinreicht. Eine gute Gelegenheit, im Internet mit Bezahlmodellen vorwärts zu kommen, wären die Fachverlage von BertelsmannSpringer Science gewesen. Doch die hat Bertelsmann 2003 verkauft - was für die Gesamtausrichtung nachteilig war. Damals hat man sich wegen der Belastung aus der Zomba-Put-Option im Musikgeschäft in Höhe von rund drei Milliarden US-Dollar und der Erhaltung des Kreditratings für diese De-Investition entschieden. Schade, dass der damals neue Vorstandsvorsitzende sich nicht gegen Überlegungen seines Finanzkollegen durchsetzen konnte.
SZ: Haben Sie als Aufsichtsratschef von Lycos Europe und Mentor Christoph Mohns Fehler gemacht?
Richter: Wenn ich in den Spiegel schaue, kommen mir ständig solche Gedanken. Man hätte beispielsweise das Management anders strukturieren müssen. Christoph Mohn ist ein hochanständiger, integrer Mann, dessen Managementfähigkeiten man aber hätte ergänzen müssen. Es gab zeitweise einen zweiten Vorstand, das hat aber in der Kombination mit Christoph Mohn nicht funktioniert. So haben wir uns im Aufsichtsrat für die Alleinstellung von Herrn Mohn entschieden.