Luxemburg-Leaks:Wie ein Pensionsfonds Berliner Mieter aufschreckt

Lesezeit: 9 Min.

Pensionsfonds mit Milliardenvermögen investieren in Immobilien wie hier in Berlin, und versuchen, dabei Steuern so gut wie möglich zu umgehen. (Foto: picture alliance / dpa)

In Berlin verkauft eine deutsche Firma fast 70 Miethäuser an ein Luxemburger Unternehmen. Was die Mieter jahrelang nicht erfahren: Dahinter steckt der kanadische Staat - und spart Steuern.

Von Frederik Obermaier und Bastian Obermayer, Berlin

Der kanadische Staat, er hat sich versteckt vor Frau Raasch und seinen Berliner Mietern. Für sie war ihr Hausbesitzer eine Luxemburger Firma mit einem komischen Namen - und da endete die Spur. "Aber dit is doch nich normal", brummt Frau Raasch, "dass wir nich wissen, wem wir gehören!" Das "wir" meint in diesem Fall eine Schicksalsgemeinschaft, die aus Frau Raasch, 59, Monika der Vorname, Frührentnerin wegen der Hüfte, ihrem Lebenspartner Herrn Eismann, ihrer Mietwohnung, dem ganzen Haus Lehrter Straße 75 und acht weiteren Häusern besteht, nämlich der Lehrter 1 bis 4, und 70 bis 74. Alle elf Häuser, und damit irgendwie auch deren Bewohner, gingen 2008 mehrheitlich in kanadischen Staatsbesitz über. Und zwar ohne dass die Bewohner davon überhaupt erfuhren und ohne dass die Häuser 2008 tatsächlich verkauft wurden.

Erst eines der bislang geheimen Steuerdokumente der Luxemburg-Leaks offenbarte den wahren Eigentümer. Wenn man sich in der dort zu findenden Eigentümerstruktur einer Luxemburger Firma durch eine ganze Kaskade von Firmen nach oben kämpfte, stieß man bis nach Kanada.

Stark vereinfacht führt der Weg über eine deutsche Firma zu einer luxemburgischen Firma, die einer luxemburgischen Firma gehört, die einer luxemburgischen Firma gehört, die einer luxemburgischen Firma gehört, die einer kanadischen Gesellschaft mit dem Namen Public Sector Pension Investment Board gehört. Da ist er, der Staat. Genauer gesagt ist die Firma mit dem sperrigen Kürzel PSPIB eine "Aktiengesellschaft der kanadischen Krone" - gegründet 1999 vom kanadischen Parlament. Sie verwaltet Milliarden-Gelder der staatlichen Pensionskasse, für ehemalige Angestellte des öffentlichen Dienstes, der Streitkräfte und oder der königlichen berittenen Polizei - der berühmten "Mounties".

Was wiederum zu der Frage führt: Warum Luxemburg?

Wenn Kanada sich Berliner Immobilien zulegen will - in diesem Fall 69 Häuser mit rund 4500 Wohnungen -, warum so verschachtelt, warum so anonym? Und warum mit einer Struktur, die offenbar darauf ausgerichtet ist, deutsche Steuern zu vermeiden? Die Antwort lautet, das zeigen etliche Beispiele aus den Luxemburg-Leaks: Weil all das unter den großen Immobilieninvestoren als üblich gilt.

Luxemburg ist ein Standard-Konstrukt.

"Für mich is dit ne echte Schweinerei"

Pensionsfonds mit Milliardenvermögen investieren in Immobilien, und versuchen, dabei Steuern so gut wie möglich zu umgehen. Auch ein südkoreanischer Pensionsfonds, der das Berliner Sony-Hochhaus gekauft hat, ging über Luxemburg - und sparte Millionen. Pensionskassen deutscher Ärzte gingen für ihre Auslandsinvestments über Luxemburg. In Deutschland gelten sie als Körperschaften öffentlichen Rechts und zahlen deshalb keine Steuern. Sie machen keinen Hehl daraus, dass sie diesen Status bei ihren Investments in anderen Ländern auch erreichen wollen.

Staatliche oder staatsnahe Institutionen vermeiden Steuern in anderen Staaten, und alles ist ganz normal?

"Für mich is dit ne echte Schweinerei", sagt Frau Raasch, "aber hier finden se immer mehr Luxemburger Firmen jetzt, und daran hat das Land Berlin ooch ne Mitschuld, sach ick mal."

Vom Land Berlin verkauft nach Kanada: Die Wohnung von Monika Raasch in der Lehrter Straße. (Foto: Regina Schmeken)

Aber der Reihe nach: Die Dinge nahmen Anfang des vergangenen Jahrzehnts ihren Lauf, schon damals war Berlin eine Stadt mit einem Problem. Sie war nämlich pleite. Also wurden landeseigene Wohnungen zu Geld gemacht. Selbst wenn es sich um ehemals sozialen Wohnungsbau handelte - wie die Häuser in der Lehrter Straße, die 1970 am Rande West-Berlins erbaut wurden. Grundsolide Wohnhochhäuser mit sieben bis 13 Stockwerken. Heute, 44 Jahre später, ist aus Moabit eine spektakuläre Lage geworden: Wer mit Frau Raasch vor ihrer Lehrter 75 steht, schaut auf die glänzende Fassade des neuen Berliner Hauptbahnhofs, und auf den Neubau der Hotelkette Motel One - wo einmal ihr Parkhaus stand. "Schoko-Lage mit Sahne obendrauf", sagt Frau Raasch. Es ist ein anderes Berlin geworden.

Als die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM) Ende 2004 erste Verkaufsverhandlungen um die Häuser Lehrter Straße führte, organisierte Monika Raasch den Protest. Sie organisierte eine große Versammlung mit den Verantwortlichen der WBM und des Landes Berlin und sorgte dafür, dass nicht nur ein paar besorgte Mieter, sondern quasi die vollständige Mieterschaft im Saal war. "Dann ham wa denen richtig Feuer jemacht, wa?", sagt sie. Das Resultat: Ein umfassender Mieterschutz für zehn Jahre. Nur moderate Mieterhöhungen, keine Modernisierung, Kündigungsschutz, solche Sachen. Das war im Februar 2005.

Wenig später bekam Monika Raasch den Brief einer Hausverwaltung ("Sehen Se, hier"), durch den Raasch und die anderen Mieter erfuhren, dass der neue Besitzer eine Luxemburger Firma namens JP Residential V war. "Da hat es bei mir geklingelt", sagt Frau Raasch, "da war klar, dass es jetzt richtig ums große Geld geht."

Frau Raasch war kampfesbereit

Monika Raasch und ihre Mitstreiter machten sich im Internet auf die Suche nach den wahren Eigentümern und wurden auch fündig: Die JP Residential war ein Vehikel einer auf Immobilien spezialisierten Investmentfirma namens Jargonnant Partners. Firmensitz: Luxemburg. Die Geschäftsführer damals: Karl-Erbo Graf von Kageneck und Daniel Graf von Schulenberg. Zwei Grafen. Frau Raasch war kampfesbereit. Wer auch immer die sind, sagte sie sich, sie haben ihre Rechnung ohne die Frau Raasch gemacht.

Das Geschäftsmodell der Grafen ist schnell erklärt: Hinter der Firma steht eine Anzahl internationaler Investoren, mit deren Geld Jargonnant Partners Immobilien kaufen geht. Unter den Investoren, so erzählt es Kageneck, seien auch eine große US-Universität und eine kalifornische Stiftung. Was er damit offenbar sagen will: Keine Heuschrecken, sondern ehrbare Investoren. Die Häuser werden dann, meist nach wenigen Jahren, mit Gewinn verkauft.

Für die neun Anwesen in der Lehrter Straße bezahlten die Grafen 2005 etwa elf Millionen, für das gesamte Berliner Portfolio von 69 Häusern, erzählt Kageneck, habe man rund 210 Millionen Euro bezahlt: 300 000 Quadratmeter, gelegen unter anderem in Friedrichshain, Prenzlauer Berg, Wilmersdorf und Charlottenburg, unterteilt in 4652 Einheiten.

(Foto: N/A)

In einer dieser Einheiten, in der Lehrter Straße 75, siebter Stock, wohnt seit fast 40 Jahren Monika Raasch. Im fünften wohnt ihr Bruder. Als Frau Raasch drei war, zog ihre Mutter mit ihr nach Moabit, und 1976 in die Lehrter 75. Im Jahr darauf starb die Mutter, und Monika Raasch übernahm die Wohnung. Seitdem wohnt sie da, alleine oder mit Partner, "je nachdem". Seit Längerem schon mit Partner, mit Herrn Eismann eben, der seit 1991 mit ihr hier wohnt. Und das soll sich auch nicht mehr ändern.

Die einzelne Wohnung, etwa die von Frau Raasch, spielt bei derartigen Immobilientransaktionen keine Rolle. Die Masse ist entscheidend, die Lage und die Zukunft. Im Falle der Lehrter Straße beispielsweise etliche hundert Einheiten, deren Mietpreise in den nächsten Jahren automatisch steigen werden. Gut für das Investment. Sieben Euro kalt sind besser als sechs, das rechnet sich schön, wenn man 300 000 Quadratmeter hat.

Tatsächlich ist der Fall der Häuser Lehrter Straße eine Art Blaupause dafür, wie der Berliner Immobilienmarkt in den vergangenen Jahren von Großinvestoren übernommen wurde. Und in anderen Großstädten ist das nicht grundlegend anders, die Privatisierungswelle hat kaum eine größere deutsche Stadt verschont. Hat ja nicht nur Berlin Geldsorgen, wa?

Die Angst der Bewohner der Lehrter Straße jedenfalls war keine unreale. Im Berlin der Nullerjahre versuchten auch unseriöse Investoren ihr Glück. Berichte über Luxussanierungen, vertriebene Mieter und schamlose Mieterhöhungen häuften sich.

Großinvestments wie das Berliner Portfolio der Grafen sind immer interessant für institutionelle Anleger. Hier kommt Kanada ins Spiel: Im Frühjahr 2008, zu einer Zeit, als die Bewohner der Lehrter Straße sich gerade an die Grafen gewohnt hatten - die sie aus unerfindlichen Gründen "die Brüder" nennen -, machten die sich daran, die Häuser wieder zu verkaufen.

Beziehungsweise: Die Anteile der Luxemburger Firmen, denen die Häuser gehörten. Sie kommen ins Geschäft mit der New Yorker Investmentfirma Lincoln Equities. Deren Geldgeber: Die staatliche kanadische Pensionskasse. Der Deal geht über die Bühne, der Verkaufspreis liegt, so hört man, bei 260 Millionen Euro.

Frau Raasch und die anderen Mieter erfahren von all dem nichts. Sie merken nur, dass es eine neue Hausverwaltung gibt. Der Eigentümer im Grundbuch bleibt pro Forma derselbe: Die JP Residential V.

Dahinter steht eine hochkomplexe Struktur, die einen staunen lässt. Der größere Sinn des Ganzen, das erklärt ein PSPIB-Sprecher einem ICIJ-Journalisten erstaunlich offen, ist folgender: Da man als Pensionskasse in Kanada steuerbefreit sei, habe man via Luxemburg versucht, eine Struktur zu finden, die auch Investments in Europa "steuerneutral" ermöglicht.

"Steuerneutral" - ein schönes Wort.

Berlin ist nicht zu verkaufen - das gilt nicht für Kanada. (Foto: Prisma Bildagentur)

Grundsätzlich muss, wer deutsche Immobilien kauft, in Deutschland Erwerbsteuer bezahlen. Auch, wenn die Immobilien in Luxemburger Firmen liegen. Ausnahme: Man kauft weniger als 95 Prozent an einer solchen Firma. Also sucht man sich einen Co-Investor für die restlichen fünf Prozent. RETT-Blocker nennt man dieses legale Steuersparmodell, RETT steht für "Real Estate Transfer-Tax": Grunderwerbsteuer. Der Co-Investor des kanadischen Pensionsfonds war eine Firma Dritte Eurolinque Felicity, die rund sechs Prozent an den fünf Luxemburger Firmen hielt, in die 69 Häuser lagen.

Wenn man sich nun in den Papieren des Luxemburg-Leaks die Übersicht von Beteiligungen ansieht, entdeckt man, dass diese Dritte Eurolinque Felicity wiederum zu 95 Prozent einer der Luxemburg-Firmen gehörte, die wiederum - am Ende der Kaskade - dem kanadischen Pensionsfonds gehören. Durchgerechnet kaufte der kanadische Staat damit eben nicht weniger als 95 Prozent, sondern etwa 99,7 Prozent an den Gebäuden. Derartige Konstrukte wurden inzwischen als Missbrauch eingestuft - weil sie dem Geiste des Gesetzes klar widersprechen - und per Gesetzesänderung im vergangenen Jahr verboten.

Damals aber ging es um die Papierform, und die war gewahrt. Der Kauf blieb, ganz legal, frei von Grunderwerbsteuer. Bei einem Preis von wohl 260 Millionen Euro entgingen dem Staat so fast zwölf Millionen Euro. Rund zwei Millionen Euro mehr als das Land Berlin für die neun Häuser in der Lehrter Straße 2005 überhaupt bekam.

"Unsret hamse ja nu schon, wa?"

Generell könnte man auf die Idee kommen, dass es aus Landessicht keine sonderlich gute Idee war, die Häuser zu verkaufen. Die Gegend direkt am Hauptbahnhof wird auch in den nächsten Jahren eher nicht im Wert sinken: Ein Hotelgroßbau nach dem anderen wird fertiggestellt. Investoren kämpfen hier um jedes Grundstück. "Unsret hamse ja nu schon, wa?", sagt Monika Raasch und lacht.

Auf dem Parkplatz trifft sie ein Ehepaar, das seit 44 Jahren in der Lehrter Straße 74 wohnt. Erstbezieher. "Sach ma, habt ihr hier irgendwann mal Kanadier jesehen?, ruft Monika Raasch ihnen zu. Die beiden lachen. "Nee. Haben sich uns nicht vorgestellt." Dann erzählt Monika Raasch von der Eigentümerstruktur der Kanadier, von den Firmenkaskaden, die aus Panama über Luxemburg nach Deutschland führen - und das soll man jetzt erklären, auf dem Parkplatz. Wo doch allein dieser Stapel der Dokumente etliche Kubikmeter Redaktionsraum füllt. Aber man versucht es, und erwähnt sogar die bislang außen vor gelassenen Fünf-Prozent-Beteiligungen einer Firma mit Sitz im US-Bundesstaat Delaware, einer Steueroase. Eine Firma, die offenbar letztlich der New Yorker Investmentfirma Lincoln Equities gehört. Genau wie die Firma aus Gibraltar, der wiederum 3,3 Prozent von drei weiteren Luxemburger Firmen der Kanadier gehören, und die. Und man versucht zu erklären, dass ein Darlehen über 70 Millionen Euro von ganz oben, also Kanada, bis weit nach unten gereicht wird, während gewinnorientierte Zinsen den Weg umgekehrt gehen und - . . .

"Hörn se schon uff!", sagt Frau Raasch, "ick hab ja verstanden, dass dit kompliziert ist. Sajen Se mir lieber, warum man dit allet macht!" Gute Frage.

Wem auch immer man diese Kaskaden von Firmen anonymisiert vorlegt, Steuerbeamten, Steueranwälten, Steuerfahndern, alle sind sich einig, dass es dafür nur den einen Grund geben kann: aggressive Steuervermeidung. Offenbar wurden die Schulden respektive die Zinsen gegen die Gewinne und das Vermögen gerechnet - und damit Luxemburger Steuern umgangen. Besteuert wurden in Luxemburg demnach nur 0,125 Prozent der Gewinne.

Ein Sprecher der PSPIB sagt, man habe sich stets an geltende steuerliche Regelungen gehalten. Ein Sprecher der kanadischen Regierung lässt erklären, dass Kanada engagiert gegen Steuervermeidung kämpfe, verwies ansonsten an die PSPIB.

70 Millionen Euro in fünf Jahren, und das Ganze weitgehend "steuerneutral"

Dabei wird der kanadische Staat mit solchen Vorwürfen nicht zum ersten Mal konfrontiert. Erst vor einigen Monaten berichtete die Financial Times über ein Investment einer anderen staatlichen Pensionskasse*, das in die Kritik geraten war: Es war bekannt geworden, dass die Millionengewinne von Europas größtem Shopping Center, der Westfield Stratford City in London, mit gerade mal einem halben Prozent besteuert wurden. Die Kanadier hielten an der Gesellschaft damals 25 Prozent der Anteile. Auch damals beteuerten sie, ihren Steuerverpflichtungen weltweit nachzukommen.

Inzwischen hat die PSPIB die Häuser in der Lehrter Straße und mit ihnen das gesamte Berliner Portfolio aus 69 Häusern im Herbst 2013 für etwa 330 Millionen Euro weiterverkauft: An zwei große deutsche Immobilieninvestoren - die sich in wenigen Wochen nicht mehr um die Mieterschutzklauseln kümmern müssen, die Frau Raasch vor gut zehn Jahren ausgehandelt hat. Die Kanadier haben keinen schlechten Schnitt gemacht: 70 Millionen Euro in fünf Jahren, und das Ganze weitgehend "steuerneutral".

Übrigens wurden die Häuser an der Lehrter Straße genau genommen natürlich nicht verkauft. Verkauft wurde die Gesellschaft, der die Häuser seit 2005 gehören. Und so wohnen Frau Raasch und Herr Eismann in einem Haus, das in den vergangenen 44 Jahren laut Grundbuch genau einmal den Besitzer gewechselt hat, nämlich 2005. Frau Raasch grüßt den Postboten, schüttelt den Kopf und murmelt: "Dit soll eener verstehn."

Mitarbeit: Harvey Cashore, Jan Strozyk, Frédéric Zalac

*Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version hieß es, die Pensionskasse PSPIB war am Shopping Center Westfield Stratford City in London beteiligt. Es war aber eine andere kanadische Pensionskasse.

© SZ vom 08.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: