Am Rande des Dorfes erheben sich zwei riesige grüne Hallen aus der langweilig-flachen Landschaft. Die Hangars bei Cardington, einer Gemeinde 80 Kilometer nördlich von London, beherbergten früher eine Zeppelinwerft. Dort wurde das Luftschiff R101 gebaut, das 1930 in Nord-Frankreich abstürzte. Dabei starben 48 Passagiere. Als dann sieben Jahre später auch der deutsche Zeppelin Hindenburg in Flammen aufging, bedeutete dies endgültig das Aus für die leisen Giganten. Sie spielen seitdem keine Rolle mehr in der kommerziellen Luftfahrt.
Doch einer der beiden Hangars in Cardington verbirgt ein ebenso großes wie ungewöhnlich aussehendes Flugobjekt, ein Hybridluftschiff. Das heißt Airlander, und es soll beweisen, dass Zeppelinen in moderner Form durchaus ein wichtiger Platz am Himmel zusteht: für den Transport schwerer Lasten, für die Überwachung von Grenzen, als fliegender Handymast. Der Hersteller, die britische Firma Hybrid Air Vehicles (HAV) hofft, schon im Juni bei der Pariser Luftfahrtmesse den ersten Auftrag verkünden zu können. "Eine Regierung aus dem Mittleren Osten will einen Airlander kaufen, um damit die Staatsgrenze aus der Luft zu beobachten", sagt Vorstandschef Stephen McGlennan. Der Preis liege bei 40 Millionen Dollar.
Größer als ein A 380 und fast 150 Stundenkilometer schnell
In der kühlen, dunklen Halle ruht ein weißer Koloss, mit 92 Metern länger als ein Doppelstock- Airbus und 26 Meter hoch. Die mit Helium gefüllte Hülle hat aber nicht die klassische Zigarrenform. Der Airlander ähnelt eher zwei Zeppelinen, die verbunden und in der Mitte eingedrückt wurden. "Flying Bum", fliegender Popo, wird das Gerät scherzhaft genannt, und dieser Spitzname ist sehr treffend. Zwischen den Pobacken ist unten die Kabine befestigt. Männer mit Schutzhelmen stehen am Pilotensitz und schauen auf die Kontrolleinheiten. Am anderen Ende des Airlander hebt eine Arbeitsplattform einen Monteur hoch zur Hülle.
Hinten und an der Seite hängen vier Diesel-Propeller made in Germany. Sie beschleunigen das Luftschiff auf bis zu 148 Kilometer pro Stunde. Ein normaler Zeppelin schwebt, weil das Helium in der Hülle leichter als Luft ist. Doch beim Airlander steht dieser Effekt nur für 60 Prozent des Auftriebs. Den Rest steuert die gewöhnungsbedürftige Form bei, die wie ein Flugzeugflügel wirkt, sobald Propeller das Fahrzeug antreiben. Daher wird das Gerät Hybridluftschiff genannt. Stoppt der Pilot die Motoren, schwebt der Airlander sanft zu Boden und bleibt dort auch.
Daher soll das Fluggerät schneller, zuverlässiger und deutlich simpler zu handhaben sein als ein klassischer Zeppelin. Die deutsche Firma Cargolifter hatte versucht, einen Lastenzeppelin mit traditioneller Zigarrenform zu entwickeln, ging aber 2002 pleite, auch wegen der technischen Schwierigkeiten. Cargolifters Hangar in Brandenburg beherbergt nun den Freizeitpark Tropical Islands.
Eine noch größere Version ist schon in Planung
Der Airlander kann, anders als Hubschrauber, dank des geringen Spritverbrauchs tagelang am Himmel bleiben - praktisch für Überwachungsmissionen. Telekom-Konzerne könnten das Luftschiff auch als Handymast nutzen, um etwa bei mehrtägigen Musikfestivals den Zehntausenden Besuchern besseren Empfang zu ermöglichen, sagt Firmenchef McGlennan: "Wir bereiten Flugtests über fünf Tage vor, mit drei Piloten und Betten in der Kabine." Fliegende Kreuzfahrten für Touristen seien ebenfalls möglich.
Das Luftschiff im Hangar kann zehn Tonnen transportieren, doch für das kommende Jahrzehnt plant der Manager eine 30 Meter längere Version, die 50 Tonnen schleppen soll. Dann würde der Airlander interessant für Logistikkonzerne, die viele Container auf einen Schlag in unwegsame Gegenden transportieren wollen, zum Beispiel in Afrika oder am Polarkreis. Eine betonierte Landebahn benötigt der fliegende Popo nicht, eine kurze ebene Fläche reicht fürs Beschleunigen beim Start. "Die weltweite Nachfrage nach solchen Hybridluftschiffen könnte bei 700 bis 1000 liegen", sagt der 47-Jährige.
Der Erstflug war in Lakehurst - wo einst die "Hindenburg" brannte
Im Hangar wird der Airlander gerade auf neue Testflüge vorbereitet, die kommende Woche starten sollen. Bisher kreuzte das Hybridluftschiff erst dreimal am Himmel. Die Firma, die 2007 gegründet wurde, erhielt 2010 von der US-Armee den Auftrag, ein neuartiges Luftschiff zu bauen, das lange am Himmel bleiben und Krisengebiete wie Afghanistan überwachen kann. 2012 flog dieser Spionage-Airlander erstmals, ausgerechnet am Marine-Stützpunkt Lakehurst in New Jersey, wo 1937 die Hindenburg in Flammen aufging. Aus Kostengründen stellte die US-Regierung das Programm ein, doch das britische Unternehmen überzeugte das Pentagon 2013, ihm den Prototypen für 300 000 Dollar zurückzuverkaufen.
Das war ein Schnäppchenpreis, schließlich hatte Washington 62 Millionen Pfund, damals knapp 100 Millionen Dollar, in die Entwicklung investiert, wie McGlennan vorrechnet. Seine Firma HAV baute das Spionage-Luftschiff um, damit es mehr Einsatzmöglichkeiten hat. Dieser neue Airlander stieg im vergangenen August zum zweiten und dritten Mal zu Probeflügen in die Luft. Doch beim dritten Flug ging die Landung schief. Der Airlander setzte in einem zu steilen Winkel auf; die Kabine wurde schwer beschädigt, verletzt aber zum Glück niemand.
Luftschiff:Harte Landung für den "fliegenden Hintern"
Eigentlich lief bei seinem zweiten Testflug alles glatt - doch dann setzte der Airlander 10 unsanft auf.
"Wir haben zwei Millionen Pfund in die Reparatur gesteckt und fünf Millionen Pfund in Verbesserungen, damit sich so etwas nicht wiederholt", sagt McGlennan. So befinden sich nun rechts und links der Kabine große aufblasbare Kissen, um die Landung abzufedern. Kommende Woche soll der überholte Airlander zum vierten Flug abheben und dann den Sommer über Hunderte Flugstunden absolvieren. "Die Bruchlandung hat unseren Zeitplan und die Finanzen belastet, aber das passiert eben bei Testflügen", sagt der Chef.
Börsengang im kommenden Jahr geplant
Das Unternehmen mit 110 Beschäftigten musste mehr Geld auftreiben, doch "zum Glück waren einige unser größten Anteilseigner sehr hilfsbereit", sagt der Jurist. Zu den wichtigsten Investoren gehörten zwei deutsche Industriellenfamilien, sagt er. Bekanntester Geldgeber ist allerdings Bruce Dickinson, der flugbegeisterte Sänger der Heavy-Metal-Band Iron Maiden. Daneben hat HAV Kapital über die Internet-Plattform Crowdcube eingesammelt, bei der Kleinanleger in Start-ups investieren können. Insgesamt verfügt die Firma daher über mehr als 2000 Anteilseigner. Bei der Entwicklung des Luftschiffs halfen zudem Fördergelder der britischen Regierung und der EU.
Für das kommende Jahr peilt McGlennan einen Börsengang an. Manche der gut 2000 Investoren wollten vielleicht Anteile verkaufen, und das sei so einfacher, sagt er. HAV wiederum könne sich über die Börse einfach Kapital besorgen, um irgendwann das größere Modell mit 50 Tonnen Tragkraft zu entwickeln. Zunächst gilt es aber, für den Kunden im Mittleren Osten den existierenden Prototypen nachzubauen. Der soll 2018 in die Luft gehen. Die Firma hofft, 2019 von der Europäischen Agentur für Flugsicherheit die Serienzulassung für den Airlander zu erhalten. Das ist der amtliche Nachweis, dass das Luftschiff sicher ist.
"Im Jahr 2020 wollen wir dann zwölf Airlander bauen", sagt der Chef. "Diese Marke ist eine hübsche Herausforderung." Der Hersteller würde bei solchen Verkaufszahlen 70 Millionen Pfund Betriebsgewinn erzielen. HAV soll die Luftschiffe nur montieren, sämtliche Teile sollen Zulieferer beisteuern.
Damit solche Träume wahr werden können, muss der Airlander erst einmal weitere Testflüge meistern. Für den Spätsommer plant McGlennan etwas Besonderes: "Der Airlander soll von London über Rotterdam entlang des Rheins zur Zeppelinwerft nach Friedrichshafen am Bodensee fliegen", sagt er. "Das dauert sieben Stunden." Dann wäre der fliegende Popo auch am deutschen Himmel lang und breit zu bewundern.