Lira in der Krise:Türkischer Finanzminister fordert Firmen auf, Preise zu senken

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Im Schatten von Recep Tayyip Erdoğan: Finanzminister Berat Albayrak. (Foto: Burhan Ozbilici/AP)
  • Der türkische Finanzminister Berat Albayrak hat heimische Firmen dazu aufgefordert, die Preise für ihre Produkte freiwillig zu senken.
  • Die Verbraucherpreise im Land sind im September erneut um 6,3 Prozent gestiegen.
  • Viele Türken können sich das Leben mittlerweile kaum mehr leisten. Sie müssen ihren Lebensstandard drosseln.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Immer wenn die Satire in der Türkei Konjunktur hat, ist die Lage ernst. Die Karikaturenzeitschrift Leman setzte jüngst auf ihre Titelseite einen Höhlenmenschen, der auf Steinwände malt, weil Zeitungsdruck zu teuer geworden ist. Auf Twitter gibt es einen Hashtag, der sich nur mit den hohen Preisen von Toilettenpapier beschäftigt, ein anderer Hashtag lautet schlicht: "Teures Leben" (#hayatpahalı). Kein Witz war es, als jüngst im Istanbuler Einkaufszentrum Metrocity die Rolltreppen abgebaut wurden, wegen unbezahlter Stromrechnungen. Die Verbraucherpreise sind im September um 6,3 Prozent gestiegen, im Vergleich zum Vorjahr beträgt das Plus 24,5 Prozent.

Am Dienstag forderte Finanzminister Berat Albayrak türkische Firmen dazu auf, die Preise für ihre Produkte freiwillig um zehn Prozent zu senken. Sehr viele Unternehmen hätten sich dazu schon bereit erklärt. Firmen, die bei dieser "Anti-Inflations-Kampagne" mitmachen, sollen mit einem Logo belohnt werden. Albayrak versprach zudem, die Preise für Gas und Strom würden bis Jahresende nicht erhöht. Sie waren zuletzt stark gestiegen.

Die Rolltreppen in der Metrocity laufen inzwischen wieder, drei Tage lang aber mussten die Kunden "die Feuertreppen benutzen", erzählt ein Händler. "Die wollten auch den Strom abschalten", sagt der Mann, aber da hätten sich die Ladenbesitzer gewehrt. Fünf Stockwerke hat die Metrocity, auf allen gibt es mehrere geschlossene Geschäfte. "Wegen der hohen Mieten", sagt ein Verkäufer. Ladenmieten mussten bislang oft in Dollar bezahlt werden. Dies hat die Regierung nun verboten, die Mieten müssen auf Lira umgestellt werden. Alle Einkaufszentren zusammen haben, so die Zeitung Hürriyet vom Dienstag, 15 Milliarden Dollar Schulden.

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Christiane Şenol ist froh, dass sie beim Umzug ihrer Textilfabrik vor vier Jahren keine Dollarmiete mehr akzeptiert hat. Wirtschaftlich zu überleben ist auch so schwer genug. "Fast der ganze Textilmarkt wird auf Dollarbasis abgerechnet", sagt sie. "Die Stoffe, die ich kaufe, die Maschinen, mit denen sie verarbeitet werden, die Farben, alles muss in Dollar bezahlt werden." Der Dollarkurs hat gegenüber der Lira seit Jahresbeginn um 40 Prozent zugelegt. "Ich müsste eine Hose, die bislang für 200 Lira verkauft wurde, jetzt für 260 Lira verkaufen, aber dann kauft sie keiner", sagt Şenol. Sie hat sich für einen Preis von 220 Lira entschieden, und musste 35 000 Etiketten ändern.

Şenols Unternehmen liegt in einem Istanbuler Textildistrikt, in der Türkei lassen auch viele berühmte italienische Marken nähen. "Made in Turkey", sagt Şenol, sei in der Branche generell gut angesehen. Aber der Markt ist schwierig geworden, die Löhne steigen, auch wegen der Inflation. Şenol ist seit Langem im Geschäft und hat viel Auf und Ab erlebt. Die Wirtschaftskrise 2001, als die Inflation 80 Prozent betrug. Danach der Boom zu Beginn der Regierung von Recep Tayyip Erdoğan: "Da war alles super, die Wirtschaft brummte, es gab viele Freiheiten, viel Kreativität, fast wie in der Hippie-Zeit in Europa in den 70er- und 80er-Jahren." Dann kam Gezi, der Aufstand gegen Erdoğans konservative Gesellschaftspolitik. Dann der Putschversuch, Anschläge, das Ende der Freiheit.

Ein Problem der türkischen Wirtschaft: Sie ist wenig innovativ

Markus Slevogt ist Präsident der deutsch-türkischen Industrie- und Handelskammer, 900 Unternehmer sind dort Mitglied, die Zahl ist in den vergangenen Jahren ständig gestiegen. Slevogt trifft man auch in einem Einkaufscenter, es gibt viele in Istanbul. In einem Café dort hatte er gerade einen Termin mit dem Vertreter eines Investmentfonds. Slevogt sagt, "die Türkei hat einen hohen Kapitalbedarf, die Finanzierungslücken müssen gedeckt werden". Er glaubt, die jetzige türkische Krise sei der letzte Ausläufer der globalen Finanzkrise von 2008 und 2009. Danach gab es billiges Geld, und die Türkei deckte sich damit ein. "Das hat das Wachstum in bestimmten Sektoren stark angetrieben, in der Bauwirtschaft etwa. Da gab es Geschäftsmodelle, die liefen wie geschnitten Brot."

Seit die US-Notenbank vor zweieinhalb Jahren damit begann, die Zinsen langsam anzuheben, werden Kredite teurer, "ein Problem für alle Schwellenländer". Slevogt war jüngst dabei, als Erdoğan sich in Berlin Sorgen und Ratschläge von Wirtschaftsleuten anhörte. Drei Minuten durfte er sprechen. Er sagte, Putschversuch und Ausnahmezustand hätten auch deutsche Unternehmer erschreckt, Investitionspläne gestoppt. Erst langsam würden sie wieder aus den Schubladen gezogen. Um "letzte Zweifel" zu beseitigen, schlug Slevogt eine engere Kommunikation zwischen türkischer Regierung und Wirtschaft vor. Zuletzt wurden auch die Unternehmer von Entscheidungen aus Ankara meist überrascht.

Ein Problem der türkischen Wirtschaft: Sie ist wenig innovativ, "sie absorbiert Technologie", sagt Slevogt. Erdoğan hat angekündigt, das solle sich ändern. Aber dazu muss das Bildungssystem reformiert werden, der Weg dürfte lang werden.

Gleich neben der Metrocity, die tagelang keine Rolltreppen hatte, gibt es Kanyon, noch eine Shopping Mall, elegant, teuer, voll internationaler Kettenläden. Das Publikum hier kann sich etwas leisten. Die Krise macht die sozialen Unterschiede größer. Es kommt aber auch darauf an, wie man alles betrachtet. Der neueste türkische Youtube-Hit: Ein Fischhändler klagt im regierungskritischen Halk TV: Das Geschäft sei wegen der Krise sehr schlecht. Dann tritt der Mann im Erdoğan-nahen Sender A Haber auf und sagt: "Wir haben keine Krise."

© SZ vom 10.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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