Einzelhandel:Chaostage bei Lidl

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Eigentümer Dieter Schwarz hat wieder den Chefsessel beim Lebensmittelkonzern Lidl in Neckarsulm übernommen. (Foto: Christoph Schmidt/dpa)

Eine Führungskrise und ein Richtungsstreit machen dem viertgrößten Lebensmittelhändler der Welt schwer zu schaffen. Wie Gründer Dieter Schwarz um sein Lebenswerk kämpft.

Von Michael Kläsgen

Was über jemanden geschrieben wird, der sich zeit seines langen Lebens und vielleicht auch aus gutem Grund fern von der großen Öffentlichkeit gehalten hat, ist mit Vorsicht zu genießen. Noch größere Vorsicht ist dabei geboten, wenn es sich um einen der reichsten Menschen Deutschlands handelt, einen wie Dieter Schwarz, 81, Gründer und Inhaber des Lebensmitteldiscounters Lidl oder besser gesagt einer nach ihm benannten Unternehmensgruppe, die viel mehr als Lidl ist, die gut 450 000 Menschen weltweit beschäftigt, weiter wächst und wächst und zuletzt einen Umsatz von gut 125 Milliarden Euro machte. Und dennoch lässt sich einiges rekonstruieren über die Motive, die ihn dazu bewegten, seinem jahrzehntelangen Gefährten, Klaus Gehrig, 73, dem er lange blind vertraut haben soll, die Grenzen aufzuzeigen - und noch einmal selber die Führung des Konzerns zu übernehmen.

Einen Grund für Gehrigs ungeplanten Abgang teilt der Konzern selber mit: Schwarz und Gehrig, der das Unternehmen in den vergangenen 20 Jahren zu seiner jetzigen Größe geführt hat, seien sich in einer für Gehrig "sehr wichtigen Personalie" nicht einig geworden. Dabei schaffen es Konzerne eigentlich immer, Personalien intern zu klären. Gehrig war dabei für seine Robustheit bekannt. In den vergangenen Jahren hatte er eine Führungskraft nach der anderen ausgewechselt und dabei, wie er mal sagte, "immer gut schlafen" können.

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In Wahrheit geht es diesmal um mehr, um die Frage, wie der viertgrößte Lebensmittelhändler der Welt einmal ausgerichtet sein wird, wenn Schwarz und Gehrig einmal nicht mehr sein werden. Das heißt, welcher Führungsstil dann herrschen wird und allgemein, ob Lidl und Kaufland Discounter alter Prägung sein werden oder digitalisierte Glaspaläste. Es geht um das Vermächtnis, das beide Herren hinterlassen werden.

Zerwürfnis nein, Vertrauensbruch ja

Dieter Schwarz trieb dabei die Sorge um sein Lebenswerk um, dass es nicht mehr seinen Vorstellungen entsprechen könnte und unumkehrbare Entscheidungen gefällt werden, wenn er Gehrig allein schalten und walten lassen würde. Ende vergangener Woche kam es zum Krach, weil Gehrig nicht locker ließ und Schwarz sich veranlasst sah, Gehrig in die Schranken zu weisen. Zum Zerwürfnis zwischen beiden kam es zwar nicht, auch nicht zum Rauswurf Gehrigs, aber zum Vertrauensbruch schon. Schwarz traut dem Mann, den er 1976 von Aldi geholt hatte, nicht mehr uneingeschränkt.

Bei Schwarz hatten sich schon vor geraumer Zeit Zweifel breit gemacht, ob Gehrig noch die richtigen Entscheidungen für den Weltkonzern traf, den er, Schwarz, aus dem Betrieb des Vaters nach dem Zweiten Weltkrieg in Heilbronn aufgebaut hatte. Dabei ging es nicht im Kern, aber letztlich auch um Fragen der Frauenförderung und der modernen Unternehmensführung.

Der Streit entzündete sich bizarrer Weise an einer bereits entschiedenen Personalie: an Melanie Köhler, deren Aufstieg Gehrig nach Kräften förderte, die aber im Mai überraschend ihren Ausstieg aus dem Konzern bekanntgab. Gehrig hatte Köhler im Mai 2019 auf einer der extrem seltenen, dann aber gemeinsamen Pressekonferenzen des Konzerns vorgestellt. Während der Veranstaltung in Neckarsulm sagte sie zwar sehr wenig und wirkte auch sonst zurückhaltend, er aber sandte das Signal aus, hier könnte seine Nachfolgerin sitzen. Er bringe ihr bei, "so zu denken wie er", hatte Gehrig gesagt.

Gerd Chrzanowski: Er ist der designierte Chef der Schwarz Gruppe. (Foto: oh)

Dabei galt bis dahin und bis heute Gerd Chrzanowski, 49, als sein Nachfolger. Das bedeute aber nicht, orakelte Gehrig damals, dass Chrzanowski auch automatisch sein Nachfolger werde. Ohnehin bleibe er, Gehrig, mindestens bis zu seinem 75. Geburtstag im Konzern. Zumindest in dem Punkt irrte er sich, wie seit vergangenem Freitag bekannt ist.

Mit der neuen Offenheit des sonst so verschwiegenen Konzerns war es bald nach der Pressekonferenz wieder vorbei - ein Zeichen interner Richtungskämpfe, die Gehrig mit seinen Andeutungen befördert hatte. Aus Dieter Schwarz' Zweifeln an seinem Vertrauten entstanden schließlich Distanz und das Gefühl, die Dinge doch wieder mehr kontrollieren zu müssen. Schwarz kümmerte sich wieder mehr um das operative Geschäft und beobachtete den rasanten Aufstieg Köhlers im Windschatten Gehrigs, so heißt es, zunehmend misstrauisch.

Als es zu einem für das Unternehmen belastenden Konflikt zwischen Köhler und Chrzanowski gekommen war, soll Schwarz Gehrig aufgefordert haben, eine Entscheidung im Sinne der Zukunft des Konzerns zu treffen. Kurz: Chrzanowski statt Köhler. Gehrig tat, was ihm befohlen war, und so kam es zum überraschenden Ausscheiden Köhlers, nur zwei Jahre, nachdem die Presse sie das erste Mal als potentielle Gehrig-Nachfolgerin kennengelernt hatte. Was Schwarz nicht ahnte: Dass Gehrig trotz ihres Ausscheidens an ihr festhielt und intern ihre baldige Rückkehr angekündigt haben soll.

Über Gehrigs Abgang, so wird kolportiert, sollen nicht wenige froh sein, weil der Umgang mit dem "Killerwal" ungeachtet seiner unbestrittenen Verdienste nicht immer leicht gewesen sein soll, auch wenn Gehrig stets betonte, der Killerwal sei ein "soziales Wesen". Unruhe verursachen nun Spekulationen über weitere Abgänge in Folge von Gehrigs Ausscheiden. Andere halten wiederum seine Rückkehr für nicht ausgeschlossen. Denn warum hat Schwarz nicht Chrzanowski direkt zu seinem Nachfolger bestimmt? Chaostage in Neckarsulm.

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