Eine Reihe von Lebensversicherern verweigert ihren Kunden die Rückabwicklung von bestehenden oder bereits gekündigten Lebensversicherungen, obwohl diese nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) darauf ein Anrecht haben. Verbraucherschützer werfen den Gesellschaften vor, sich dabei fragwürdiger juristischer Methoden zu bedienen.
Seit einem Urteil des BGH im Jahr 2014 können Kunden von ihren Lebensversicherern verlangen, dass diese Altverträge rückabwickeln - wenn sie beim Abschluss nicht oder fehlerhaft über ihr Widerrufsrecht aufgeklärt wurden. Durch die Rückabwicklung, eine Art Stornierung, erhalten sie oft mehr Geld als bei Kündigung des Vertrages. Etliche Versicherte, die dies in den vergangenen Monaten versucht haben, stoßen allerdings auf Widerstand.
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Versicherungen begründen Ablehnungen mit Verfassungsbeschwerde
Mehrere Versicherer, darunter Ergo, Generali, Aachen Münchener und Provinzial Rheinland, setzen sich über das Urteil hinweg und verweigern die Rückabwicklung. Das berichtet der Marktwächter Finanzen. Das Netzwerk aus Verbraucherschützern wird vom Justizministerium finanziert und soll auf strukturelle Missstände im Finanzbereich aufmerksam machen. Bei der Verbraucherzentrale Hamburg, die innerhalb des Marktwächter-Systems für Versicherungen zuständig ist, laufen Erkenntnisse der bundesweit 16 Verbraucherzentralen über Fehlentscheidungen zusammen. Die Marktwächter haben etliche Briefe erhalten, in denen Versicherer den Wunsch nach Rückabwicklung abgelehnt haben.
Die Gesellschaften begründen ihre abweisende Haltung mit einer Verfassungsbeschwerde, die der größte Lebensversicherer Allianz gegen das BGH-Urteil eingereicht hatte. Deshalb sei es "derzeit unklar, ob das Urteil vom 7. Mai 2014 überhaupt Bestand haben wird", heißt es in einem Schreiben der Ergo. "Sie werden daher sicherlich nachvollziehen können, dass wir Ihre Ansprüche erst anerkennen können, wenn diese höchstrichterlich durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt wurden", schreibt die Provinzial Rheinland.
Sandra Klug, Juristin und Leiterin des Hamburger Marktwächter-Teams, hält das Vorgehen für rechtlich bedenklich: "Eine Verfassungsbeschwerde hemmt nicht die Rechtskraft eines BGH-Urteils." Zudem verweist Klug darauf, dass die Allianz ihre Verfassungsbeschwerde inzwischen zurückgezogen hat. Das gab der Versicherer am 1. März 2016 bekannt. Die anderen Gesellschaften, die sich auf die Allianz berufen, scheint das nicht zu stören: Auch Mitte März und Anfang April lehnten sie die Rückabwicklung noch unter Berufung auf die Allianz ab. "Es ist schwierig, sich auf eine Verfassungsbeschwerde zu beziehen, die es nicht mehr gibt", sagt Klug.
Allerdings verweisen die Gesellschaften darauf, dass die Verfassungsbeschwerde der Allianz nicht die einzige war. Von Ergo heißt es, gegen andere Urteile des BGH zum Thema seien beim Bundesverfassungsgericht Beschwerden anhängig. Generali weist darauf hin, dass ihre Tochter Aachen Münchener eine Verfassungsbeschwerde gegen ein BGH-Urteil eingereicht hat, das den umstrittenen Richterspruch vom 7. Mai 2014 präzisiert. Die Versicherung behauptet, im Sinne der Kunden zu handeln: Man warte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ab, "weil wir Zahlungen zu Lasten aller unserer Versicherten vermeiden wollen, auf die eventuell kein Anspruch besteht", sagt ein Sprecher.
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Ein nachträglicher Widerspruch kann erhebliche Nachzahlungen einbringen
Für den einzelnen Versicherten ist das ärgerlich. Es kann im Einzelfall um viel Geld gehen. Ein Recht auf Rückabwicklung haben alle, die zwischen 1995 und 2007 eine Lebens- oder Rentenversicherung abgeschlossen haben, sofern sie bei Vertragsabschluss nicht ordnungsgemäß über ihr Widerrufsrecht aufgeklärt wurden. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn die Belehrung in den Unterlagen gefehlt hat oder sie nicht drucktechnisch hervorgehoben war. Auch für Versicherte, die ihren Vertrag bereits früh gekündigt haben, kann der nachträgliche Widerruf des Vertrags eine Option sein.
Wegen der hohen Abschlusskosten, die in den ersten Jahren aus dem Vertrag entnommen wurden, haben sie meist nur einen geringen Teil ihrer eingezahlten Beiträge zurückerhalten. Ein nachträglicher Widerspruch kann ihnen erhebliche Nachzahlungen einbringen. Denn bei einer Rückabwicklung werden die Versicherten weitgehend so gestellt, als sei der Vertrag nie geschlossen worden. Sie erhalten die verzinsten Prämien zurück, abzüglich der Kosten für einen Todesfall- oder Berufsunfähigkeitsschutz. Die genaue Höhe der Nachzahlung hängt vom individuellen Vertrag ab. So hat das Oberlandesgericht Stuttgart einer Frau, die 30 000 Euro eingezahlt und 16 000 Euro Rückkaufswert bei Kündigung erhalten hatte, 4200 Euro zusätzlich zugesprochen.
Der Marktwächter Finanzen hat seine Erkenntnisse an die Finanzaufsicht Bafin weitergeleitet, die das prüft. Den betroffenen Kunden bleiben zwei Möglichkeiten: "Sie können sich beim Ombudsmann über ihren Versicherer beschweren oder ihren Versicherer verklagen", sagt Kerstin Becker-Eiselen von der Verbraucherzentrale Hamburg. Der Ombudsmann schlichtet bei Streitigkeiten zwischen Kunden und Versicherern. Bis zu einem Streitwert von 10 000 Euro kann er verbindliche Entscheidungen aussprechen.