Kostenbelastung:Bafin will teure Lebensversicherer überprüfen

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Lebensversicherer langen bei den Kosten für ihre Policen kräftig hin, vor allem wegen hoher Provisionen. (Foto: Christin Klose/dpa)

Lebensversicherer mit außergewöhnlich hohen Kosten müssen künftig mit einer genaueren Prüfung durch die Finanzaufsicht Bafin rechnen. Sie will die Belastung der Kunden reduzieren.

Von Herbert Fromme, Köln

Die Finanzaufsicht Bafin prüft im laufenden Jahr sechs Lebensversicherer, die wegen vergleichsweise hoher Kosten aufgefallen sind, insbesondere durch Provisionen. Die Behörde legt auch erstmals Kriterien fest, wann sie eine solche Prüfung vornehmen kann. In dem entsprechenden Dokument nennt die Bafin die generelle Kostenbelastung, Provisionen an Vermittler und Erträge der Policen als Grundlage. Lebensversicherer, deren Kosten im oberen Viertel der Werte aller untersuchten Gesellschaften liegen, nimmt sich die Behörde von sofort an vor.

"Damit erfassen wir das schlechteste Viertel der Unternehmen im Hinblick auf die Effektivkosten und die Aufwendungen für die Versicherungsvermittler", sagte Frank Grund, Chef der Versicherungsaufsicht bei der Bafin, in einem Interview mit der Fachpublikation Versicherungsmonitor. "Diesen Unternehmen gilt unsere besondere Aufmerksamkeit."

Der Schritt dürfte wütende Reaktionen von Vermittlerverbänden und großen Strukturvertrieben wie der Deutschen Vermögensberatung AG (DVAG) hervorrufen. Sie wehren sich seit Jahren erfolgreich gegen jede Art von Begrenzung bei Provisionen in der Altersvorsorge. Auch viele Versicherer fürchten um ihr Neugeschäft, wenn die Zahlungen an die Vermittler beschränkt werden.

Jedes Jahr geben die deutschen Lebensversicherer etwa acht Milliarden Euro für Abschlusskosten aus, das meiste davon sind Provisionen. Im Jahr 2022 waren es laut Gesamtverband der Versicherer 8,3 Milliarden Euro. Dazu kommen noch 2,1 Milliarden Euro Verwaltungskosten. Diese Summen berechnen die Lebensversicherer zu 100 Prozent den Kunden - deren Rendite entsprechend geringer ausfällt. Bei fondsgebundenen Policen kann das bedeuten, dass die jährliche Rendite um deutlich mehr als drei Prozent geringer ausfällt.

Der Großvertrieb DVAG erzielt den größten Teil seiner Einnahmen von 2,2 Milliarden Euro jährlich mit Provisionen aus Lebensversicherungen. Das Unternehmen lehnt jede Form von Begrenzung kategorisch ab, und es ist politisch gut vernetzt: Im Beirat sitzen die Unionspolitiker Theo Waigel, früherer Bundesfinanzminister, und der EU-Abgeordnete Markus Ferber, der Grünen-Abgeordnete und frühere Chef der Gewerkschaft Verdi, Frank Bsirske, der FDP-Abgeordnete Hermann Otto Solms und die langjährige SPD-Justizministerin Brigitte Zypries.

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In Großbritannien, den Niederlanden, Dänemark, Finnland, Norwegen sowie Australien und Neuseeland sind Provisionen bei der Altersvorsorge verboten. In Deutschland sind dagegen bislang alle Versuche selbst einer Obergrenze fehlgeschlagen. Zuletzt scheiterte der damalige SPD-Finanzminister Olaf Scholz 2021 in der großen Koalition am Widerstand der Union.

Doch das Problem verschwindet nicht so einfach. Die EU-Kommission hatte Anfang des Jahres ein EU-weites Verbot vorgeschlagen. Sie musste den Plan allerdings vorläufig aufgeben, weil er auf heftigen Widerstand aus dem EU-Parlament und von einigen Mitgliedstaaten traf, auch vom deutschen Finanzminister Christian Lindner, FDP.

Jetzt unternimmt die Bafin einen Anlauf für eine moderate Begrenzung auf Basis der EU-Aufsichtsvorschriften. "Eine wesentliche Größe sind für uns die Effektivkosten bei kapitalbildenden Produkten", sagte dazu Chefaufseher Grund. "Die Effektivkosten beschreiben die Kostenbelastung der Produkte als Minderung der jährlichen Rendite in Prozent. Aus Sicht der Kunden ist das natürlich ganz wesentlich."

Bei der Bafin ist klar: So wie bisher kann es nicht weitergehen

Grund war vor seiner Zeit bei der Bafin viele Jahre Versicherungschef und ist kein Freund eines Provisionsverbots. Aber er weiß, dass es so wie jetzt nicht lange weitergehen kann, weil die Belastung der Kunden einfach zu hoch ist. "Wichtig sind uns außerdem die Aufwendungen für die Versicherungsvermittler, die einen wesentlichen Teil der Abschluss- und Vertriebskosten ausmachen", erläuterte er. Daraus könnten Fehlanreize im Vertrieb erwachsen, "insbesondere wenn hohe Abschlussprovisionen gezahlt werden". Grund fürchtet offenbar, dass Vermittler und Vertriebe vor allem solche Verträge verkaufen, mit denen sie die höchsten Provisionen verdienen, und nicht solche, die im besten Interesse der Kunden sind.

Wie teuer der EU-Verzicht auf ein Provisionsverbot in der Lebensversicherung kommt, hat Steffen Sebastian, Inhaber des Lehrstuhls für Immobilienfinanzierung und Direktor des Centrums for Finance der Uni Regensburg, zusammen mit mehreren Kollegen berechnet. Im April 2023 erklärte er, Haushalte in den Ländern mit einem Verbot erzielten eine um 1,7 Prozent höhere Rendite auf ihr Vermögen als die in den Ländern ohne.

Die Studie wurde von der Branche heftig angegriffen. Sebastian habe die bei dem Wegfall von Provisionen anfallenden Honorare für Berater nicht berücksichtigt, so die Kritik. "Man fragt sich, auf welchem Niveau Wissenschaft Gutachten verfasst", holzte Helge Lach, Vorstandsmitglied der DVAG, auf Twitter. Es sei seit Langem evident, dass Honorare bei Renditeverlusten durch Provision zu berücksichtigen seien. "Wer ist Auftraggeber des Gutachtens?", fragte Lach.

Der Schaden in Europa beträgt 375 Milliarden Euro

Unbeeindruckt davon haben die Regensburger Forscher jetzt nachgelegt und erstmals den Vermögensschaden geschätzt, der mit dem Verzicht auf ein Provisionsverbot verbunden ist. "Europaweit entsteht ein Schaden von 375 Milliarden Euro", erklärte Professor Sebastian. "Allein für Deutschland sind dies 98 Milliarden Euro, und zwar Jahr für Jahr." Das entspreche pro Haushalt einem Verlust von etwa 2400 Euro jährlich.

Zudem gingen die Wissenschaftler der Kritik nach, dass aufgrund eines Provisionsverbots Menschen weniger für das Alter vorsorgen. "Nach unseren Berechnungen besteht kein signifikanter Einfluss eines Provisionsverbots auf die Sparrate von Haushalten", sagte Sebastian dazu. "Die Aussage, dass durch ein Provisionsverbot weniger gespart werde, ist nach der Datenlage eine völlig unbelegte Behauptung."

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