Kassel:„Ahle Wurst“: Kultobjekt zwischen Tradition und Innovation

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Die "Ahle Wurst" hat ganzjährig Kultstatus. Aber um Weihnachten und Silvester herum ist die nordhessische Spezialität besonders beliebt - sowohl zum Verzehr als...

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Calden/Kassel (dpa/lhe) - Die „Ahle Wurst“ hat ganzjährig Kultstatus. Aber um Weihnachten und Silvester herum ist die nordhessische Spezialität besonders beliebt - sowohl zum Verzehr als auch als Mitbringsel. „Das sind die stärksten Wochen im Jahr“, sagt Katharina Koch, Geschäftsführerin der Landfleischerei Henry Koch in Calden. Der Betrieb im Landkreis Kassel produziert die luftgetrocknete Mettwurst, die ihren Ursprung in den früher üblichen Hausschlachtungen hat, bereits seit 1877.

Das Besondere an der luftgetrockneten Rohwurst aus gewürztem Schweinefleisch sind die Warmverarbeitung und die Naturreifung. „Deshalb hat sie ihre spezielle Konsistenz und ihren intensiven Geschmack“, erklärt Koch, die das Familienunternehmen in der fünften Generation führt. Wenn frisches Fleisch verwurstet wird, wird viel körpereigenes Wasser zwischen den Eiweißen festgehalten. Es entsteht eine gelartige Masse. In ihr kann sich Fett besonders gut und gleichmäßig einlagern. Das bindet die natürlichen Aromastoffe.

Wie der nordhessische Begriff „Ahle“ für „alte“ schon erahnen lässt: Die Wurst muss sehr lange gelagert werden, um den Namen „Ahle Wurst“ zu verdienen. Im Wurstehimmel der Landfleischerei Koch - einer von Lehmwänden umgebenen Kammer - reifen die Würste zwischen vier Wochen und zwölf Monaten. Schnellreifemittel kommt dabei nicht zum Einsatz. Warmverarbeitung und Naturreifung seien typisch handwerklich und ein Alleinstellungsmerkmal, betont Koch. „Das machen Industriebetriebe nicht.“

Die Fleischerei schlachtet selbst. „Die Schweine beziehen wir von Landwirten aus der nahen Umgebung“, erläutert die Fleischermeisterin. Dabei legt der Betrieb laut Koch großen Wert auf die Haltung und Fütterung der Tiere. „Wir arbeiten ausschließlich mit Bauernhöfen zusammen, die ihre Schweine auf Stroh halten und sie mit ausgesuchtem, hofeigenem Futter versorgen.“

Andere Metzgereien in Nordhessen hingegen sind für ihre Ahle-Wurst-Produktion auf Schlachthöfe in der Region angewiesen, von denen sie das noch schlachtwarme Fleisch schnell genug beziehen können. Als 2018 der Kasseler Schlachthof Insolvenz anmeldete, waren Betriebe und Ahle-Wurst-Fans deshalb in Sorge.

Die Produktion habe darunter aber nicht gelitten, sagt Obermeister Dirk Nutschan von der Fleischer-Innung Kassel Stadt und Land. Schlachthöfe in Schwalmstadt (Schwalm-Eder-Kreis) und im nordrhein-westfälischen Warburg (Kreis Höxter) versorgten die Metzgereien seither. Die Wege seien zwar etwas weiter. „Aber es klappt.“

Nutschan sieht aber eine andere Bedrohung für das nordhessische Traditionsprodukt. Wegen Personalmangels würden immer mehr Metzgereien schließen. Habe es im Jahr 2003 in Stadt und Landkreis Kassel noch 45 Betriebe gegeben, seien es aktuell gerade noch 11, sagt er. Weder Nachfolger noch Angestellte seien zu finden. „Der Markt ist leer.“ Manche Kollegen arbeiteten mit bis zu 18 Stunden am Tag am Limit. „Die haben irgendwann auch keine Lust mehr“, fürchtet der Obermeister. Der Rückgang sei enorm, ein Ende nicht absehbar.

Für die Verbraucher bedeute das, dass sie langfristig vermehrt auf abgepacktes Fleisch aus industrieller Herstellung zurückgreifen müssten. Dabei habe sich ihr Konsumverhalten spürbar geändert. „Schweinefleisch wird deutlich weniger gekauft“, erläutert Nutschan. Beliebter geworden seien stattdessen Wildspezialitäten, Rindfleisch und Geflügel.

Auch Katharina Koch berichtet, die Kunden legten zunehmend mehr Wert auf Qualität und Nachhaltigkeit. „Viele essen weniger Fleisch, aber dann welches mit sehr guter Qualität. Dafür sind sie auch bereit, mehr Geld auszugeben.“

Gefragt sind auch innovative Produkte. Im Wurstehimmel der Landfleischerei Koch, der ein Fassungsvermögen von 50 000 Stück hat, hingen früher zwei verschiedene Sorten: die Dürre Runde Ahle Wurst und die gerade Ahle Wurst, genannt Stracke. „Heute produziert wir etwa 20 verschiedene Varianten“, sagt Koch. Darunter Sorten mit regionalem Gin, Bier und Honig. In den Wintermonaten, der Produktionshochzeit, stelle der Betrieb ein bis zwei Tonnen Ahle Wurst pro Woche her.

„Die Klassiker sind schon noch das stärkste Produkt, aber auch die Variationen kommen sehr gut an“, sagt die Fleischermeisterin. Der Betrieb beliefere Kunden bundes- und ab und an auch weltweit. Für Katharina Koch ist die Ahle Wurst „einzigartig“ und muss sich hinter dem weltberühmten Parmaschinken nicht verstecken. „Sie steht ihm qualitativ in nichts nach. Nordhessen muss seine Wurst nur noch besser vermarkten.“

© dpa-infocom, dpa:211230-99-540046/3

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